Jeder Musikfreund hat ein kleines peinliches Geheimnis, das er nur mit wenigen anderen teilen mag. Ich schaue bspw. fast täglich "disco", halb acht auf ZDF Kultur. Vorzugsweise, wenn die Sendungen aus den Jahren 1971/72 wiederholt werden... Bei Richters krampfhaften Scherzen bekomme ich zwar regelmäßig Schmerzen, entschädigt wird man aber mit ein, zwei Perlen pro Sendung... bspw. mit She Flies On Strange Wings oder Hot Love!!
Vor ein paar Tagen lief doch tatsächlich - ich fiel fast von der Couch - Fireball (die Aufzeichnung aus dem Beatclub!) mit einem herrlich schrägen Moment, als Herr 'Mehr Schwarz' seine Fender Strat umgedreht 'spielte', um den Playback-Charakter der Sendung zu verhohnepiepeln. Vor einigen Jahren wären einem da die Äuglein vor Wehmut übergelaufen, aber nun haben wir ja Siena Root!!!
Mit "Pioneers", ihrem neuen Longplayer, scheinen die fünf Schweden allen Pionieren der Hardrockszene ihre Referenz zu erweisen. Das klingt dermaßen unverschämt nach Deep Purple aus den Frühsiebzigern, dass es mancher vielleicht als Frechheit empfinden mag. Dieser (oder jene) möge allerdings bedenken: Siena Root kupfern hier nix ab, sondern sie leben diese Zeit mit Haut und (vielen langen) Haaren. Wer sie aber dennoch als Plagiatoren bezeichnen mag, sollte seine Meinung dahingehend noch mal für fünf Cent überdenken...
Ich weiß natürlich, dass es keine Band gerne hört, wenn es heißt, sie würden wie diese oder jene Kollegen klingen. Doch bei Siena Root wäre ich mir nicht sicher, ob sie es als respektlos empfänden, wenn die 'ohren'- und augenscheinliche Nähe zu Deep Purple hervorgehoben würde. Bereits das Cover von "Pioneers", mit den schemenhaft angedeuteten Charakterköpfen, erscheint - mal wieder "Fireball" - wie eine Hommage an diese (wahrhaftige) britische Legende...
Drei Leute prägen den Sound von "Pioneers": Jonas 'Joe Nash' Ahléns erstklassig ausgebildete Powerstimme, Matte 'MG West' Gustafssons Blackmore-Gedächtnisgitarre und Erik 'Errka' Peterssons Reminiszenzen an den großen Hammond-Magier, ohne die phantastische Arbeit der dynamisch treibenden Rhythmusfraktion hier abwerten zu wollen.
"Between The Lines" erinnert mit seinen psychedelischen Bezügen an Conveniently Blind - die Single, die Siena Root vor zehn Monaten quasi als Appetizer veröffentlicht hatte. Ein konsequent beibehaltenes 'Stop-and-go-Riff' stürmt in den Hardrocker "7 Years" - Errkas Hammond brüllt, faucht und flirrt, dass es eine helle Freude ist. Sehr heavy ausgelegt geht es danach auf den "Spiral Trip", das von einem irrwitzigen Hammondsolo und einer anschließenden Zwiesprache zwischen Tasten und Sechssaiter gekrönt wird. Dieser Dialog setzt sich nicht nur in "Root Rock Pioneers" fort, sondern er kristallisiert sich hier als stilprägendes Grundelement des gesamten Albums heraus.
"The Way You Turn", sehr abwechslungsreich für knapp fünf Minuten arrangiert, setzt tatsächlich ein Sahnehäubchen auf die ersten vier, überaus starken Songs. Nachdem mit "Keep On Climbing" ein ultraschwerer Heavy Blues das Tempo gedrosselt hat, drückt der Stampfer "Going Down" noch mal gewaltig, "Strange Kind Of Woman"-mäßig auf die Tube.
Der atmosphärische Zehnminüter "In My Kitchen" taucht zum Ausklang noch einmal tief in psychedelische Gefilde ein. Errka spielt hier ein mit Effektgeräten extrem verfremdetes Hohner Clavinet und tupft dazwischen die typischen Glockenklänge des Rhodes. MG West bringt gar jazzige Metriken in seinen Vortrag und wird dabei oft vom Rhodes gedoppelt. Freiheit den Improvisationen und raus mit der Sau, ist man begeistert geneigt, Siena Root zuzurufen.
Das beste Deep Purple-Album seit Machine Head, oder was? Quark mit Soße, natürlich... aber dafür das allerbeste aller fünf Studioalben Siena Roots. Haut den ganzen Retrokram der letzten Jahre in die Tonne und legt Euch lieber "Pioneers" zu. Das war keine Bitte, hahaha...
Line-up:
Jonas 'Joe Nash' Ahlén (lead vocals, oscillator)
Matte 'MG West' Gustafsson (guitars)
Erik 'Errka' Petersson (Hammond, Fender Rhodes, Hohner Clavinet)
Sam Riffer (bass, vocals)
Love 'Billy' Forsberg (drums)
Tracklist |
01:Between The Lines (5:15)
02:7 Years (5:21)
03:Spiral Trip (4:40)
04:Root Rock Pioneers (3:58)
05:The Way You Turn (4:43)
06:Keep On Climbing (4:27)
07:Going Down (3:13)
08:In My Kitchen (9:53)
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