Stier / Geisterschiff
Geisterschiff Spielzeit: 50:39
Medium: CD
Label: SPV/Steamhammer, 2014
Stil: Deutschrock

Review vom 27.03.2014


Steve Braun
Es gibt Bands, die man unmöglich 'objektiv' besprechen kann. Schließlich ist man nebenbei auch noch Fan und hat halt so seine Lieblinge. Und das kann, darf, muss und soll auch so bleiben!
Stier ist so eine Formation, die mich seit den Törner Stier Crew-Zeiten begleitet und in all den Jahren tief mit dem Herzmuskel verwachsen ist. Neben Martin Stier sind noch Charlie Steinberg und Diesel Stöver aus diesen Tagen dabei, verstärkt durch zwei jüngere Musiker. Frisches Blut für die alten Hasen! Tom Günzel war schon bei Reden dabei - Peter Koller ist erstmals via Tonträger mit von der Partie und hat sich gleich als einer der maßgeblichen Komponisten bei den Stieren etabliert.
Die Songs für das neue Album waren schon seit Monaten fertig - es fehlte einzig ein angemessenes Label. Gut, dass man nicht auf Schnellschüsse gesetzt hat, denn das dreijährige Warten hat sich ausgezahlt. Mit SPV/Steamhammer fand man einen sicheren Hafen für das "Geisterschiff" und - um im Bild zu bleiben - SPV angelte sich einen ganz dicken Fisch aus dem Netz. Die neuen Songs waren derart gut, dass man sogar eine Doppelveröffentlichung ans Tageslicht förderte: Die ursprünglichen Versionen segeln "Hart am Wind" - das "Geisterschiff" hat ein paar davon in halbakustischen Versionen und einige 'unverstöpselte' Live-Takes - u. a. vom Vorgänger "Reden" - an Bord. Beide Alben erscheinen zeitgleich Ende März. Zunächst wollen wir uns mal dem "Geisterschiff" widmen...
Martin Stier ist also noch ganz offensichtlich von seiner Zeit als Seemann geprägt. Nicht nur die Titel künden davon, auch in den Texten - wie in "Jeden Tag hinaus" oder "Leinen los" - brummt nach wie vor der alte Seebär.
Kürzlich hatte ich an anderer Stelle die schwammige Vagheit der Texte von Bands, die sich der 'Neuen Deutschen Härte' zurechnen lassen, gegeißelt. Die Stiere lassen da keine unklaren Standortbestimmungen zu, fischen auch von ihrem "Geisterschiff" aus alles andere als im Trüben - auch wenn man diese Scheibe, anders als das 'Schwesterschiff' "Hart am Wind" nicht der NDH zurechnen kann.
Diese 'weicheren' Varianten zeigen deutlich, dass Stier neben dem 'Auf-den-Haufen-hauen' ihre Stücke auch sehr filigran mit dem Ziselierhämmerchen umarbeiten können. "Jeden Tag hinaus" kleidet den Alltag eines Fischers, "Der Frost" den eines Obdachlosen, in ganz zauberhafte akustische Gewänder. "Mein Gott"... »...ist die Musik« - Stier lässt da keinen Zweifel. Sehr schön stechen hier die funkig-hackende Untermalung durch Steinbergs Clavinet D6 unter der Strophe sowie eine ganz herrliche Bridge mit einem angedeuteten Akustikgitarrensolo Kollers hervor.
Der Titelsong ist auch (weitgehend) 'unverstöpselt' ein echter Brecher. "Schwarz" brilliert durch seinen intelligenten, metapherngeschwängerten Text, der von Martin Stier mit schauspielerisch geschulter Sprache interpretiert wird. Bizarr wird es, wenn in "Mein Schatz" ein leicht psychopathischer Vater seine Tochter nicht aus dem 'Goldenen Käfig' entlassen mag. "Leinen los" beschließt vorerst die neuen Songs auf "Geisterschiff", allerdings ist dieser nicht auf "Hart am Wind" vertreten. Schade, die Nummer entpuppt sich mit seinen Klängen vom 'Schifferklavier' als richtig feiner Ohrwurm.
Zwischen 'Baum und Borke' - den neuen Stücken und den Live-Takes - hängt der "Johnny", ein sehr schönes Remake von Stiers Vorgängertruppe, den Kahlen Mönchen und deren Album "Tanzen" aus dem Jahr 2009.
Die Live-Aufnahmen wurden größtenteils während einer Unplugged-Show in Münster aufgezeichnet. Da in der Universitätsstadt die 'Heimatbasis' der Törner Stier Crew war, hat die Band dort noch eine ansehnliche Fangemeinde. Der stampfende Rocker "Wonderworld" entpuppt sich in der akustischen Fassung als mindestens genauso glutvoll. Ein 'Anstaltbewohner' betrachtet träumend die Welt hinter den Gitterstäben - wirklich klasse gemacht, wird in der Intensität allerdings noch vom "Fenstergucker" getoppt. Richtig 'unangenehm' kriecht hier die Einsamkeit in den großen Städten ganz tief unter die Haut. "Die Gier" war schon eines der Highlights von "Reden" und fällt hier garantiert nicht ab. Auch der Auftritt beim 2011er W:O:A findet mit "Übers Meer" endlich eine Berücksichtigung auf einer offiziellen Veröffentlichung, bevor die Longversion des Liebesliedes "Der Morgen" den Reigen auf "Geisterschiff" - wie auch auf "Hart am Wind" - beendet.
Die Analogie zum Schwesterschiff trifft es - glaube ich jedenfalls - recht gut: inhaltlich wie optisch gleichermaßen, wie ein Blick auf beide Cover und Booklets zeigt. Mit "Geisterschiff" zeigt der Stier seine samtweiche Nase, mit "Hart am Wind" seine Hörner. In aller Kürze werden wir auch dieses, ebenfalls beachtliche Album unter die Lupe nehmen. Ein weiterer 'Festtag' für den Rezensenten bahnt sich an...
Line-up:
H. Martin Stier (Gesang)
Charlie Steinberg (Gitarre, Keyboards, Knöpfe, Gesang)
Peter Koller (Gitarre, Gesang)
Walter 'Diesel' Stöver (Bass)
Tom Günzel (Schlagzeug)

Gastmusiker:
Michael Rheinländer (Akkordeon - #4,11)
Nicole Enste (Gesang - #4)
Jochen Rehm (Trompete - #4)
Tracklist
01:Jeden Tag Hinaus (3:35)
02:Der Frost (2:54)
03:Mein Gott (3:58)
04:Leinen los (2:55)
05:Mein Schatz (3:35)
06:Geisterschiff (3:19)
07:Johnny (3:15)
08:Schwarz (4:25)
09:Wonderworld [live] (4:36)
10:Die Gier [live] (3:19)
11:Der Fenstergucker [live] (3:06)
12:Nachtschicht [live] (3:12)
13:Übers Meer [live] (4:44)
14:Der Morgen (3:00)
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