Wenn im vergangenen Jahr von Stratovarius die Rede war, dann ging es dabei meist um Zwietracht, Streit und wechselseitige Vorwürfe. Timo Tolkki, mehr als zwei Jahrzehnte lang der kreative Kopf der Band, und der Rest der skandinavischen Power Metal-Institution, waren ein für alle Mal geschiedene Leute und lieferten sich eine unsägliche Schlammschlacht.
Auch finanziell ging es den einst so erfolgreichen Nordlichtern durch den Kollaps ihres Ex-Labels dreckig. Es war kaum daran zu denken, dass es jemals wieder neue Musik unter der Marke Stratovarius geben könnte. Doch Tolkki verzichtete auf mögliche Namensrechte; ein neuer Gitarrist wurde gefunden und eine neue Plattenfirma auch - und Stratovarius melden sich anno 2009 mit einem unerwartet starken Werk zurück!
"Polaris" - immerhin schon das zwölfte Studioalbum der Kultband - reiht sich mühelos in die besten Plätze der bandeigenen Diskografie ein und lässt vor allem den vorherigen gleichnamigen Output der Band aus dem Jahr 2005 vergleichsweise schwach dastehen. Das ist um so bemerkenswerter, als dass bislang fast die komplette Musik und auch der Großteil der Lyrics stets aus der Feder Timo Tolkkis stammte.
Dieses Mal haben sich Stratovarius das Songwriting aufgeteilt. Und "Polaris" ist der eindrucksvolle Beweis, dass es - ganz im Gegensatz zu Tolkkis Mutmaßungen - eine Band ohne ihn geben kann, die des Namens Stratovarius würdig ist.
"Polaris" ist 'klassischer' als sein experimenteller und (meiner Meinung nach) ziemlich uninspirierter Vorgänger. Und unkomplizierter, weniger mit Pathos überladen als die davor gewesene "Elements"-Doppel-Veröffentlichung. "Polaris" ist einfach ein frisch klingendes, ambitioniertes Stück Stratovarius in Ur-Form.
Die 56 Minuten bieten alles, was das traditionell veranlagte Fan-Herz sich wünscht. Erstens: druckvolle, melodisch-optimistische Mid-Tempo-Hymnen wie der formidable Opener "Deep Unknown" oder das Keyboard-lastige "Falling Star". Zweitens: Progressiv angehauchte, epische Bombast-Schwergewichte, ihres Zeichens die zweigeteilte "Emancipation Suite" - oder auch das tonnenschwere, düstere "King Of Nothing". Drittens: Powerballaden - "Winter Skies" und "Somehow Precious", deren losgelöste Melodien mit Schlenkern in atemberaubende Tonhöhen für Gänsehaut sorgen.
Und - was natürlich auf keiner Stratovarius fehlen darf - Speed-Hymnen allererster Kajüte finden als fester Bestandteil des Band-Repertoires auch auf "Polaris" statt. "Forever Is Today" und "Higher We Go" sind zwar keine "Against The Wind" oder "Hunting High And Low", aber auch nicht weit davon entfernt! Lediglich mit "Blind" ist eine weitere Uptempo-Nummer auf dem Album enthalten, die leider nur mit einer durchschnittlichen Schunkel-Metal-Melodie ausgestattet ist.
Das stört aber nicht groß, zumal "King Of Nothing" in einem Aspekt genau so punkten kann wie der Rest der Scheibe: Technisch ist das wirklich famos! Der neue und blutjunge Gitarrist Matias Kupiainen, den die Band gern als finnisches 'Wunderkind' bezeichnet, hat mächtig was auf der Pfanne und schüttelt sich in ausgedehnten Instrumentalpassagen viele supermelodische Frickel-Soli in bester Malmsteen-Tradition aus dem Ärmel.
Besonders blüht der 'Neue' aber im Zusammenspiel mit dem 'alten Hasen' Jens Johansson auf: Die beiden liefern sich Duelle und Duette zum Niederknien. Insgesamt ist Johansson auf diesem Output wieder viel 'hörbarer' als zuletzt; nicht nur bei einem ganz besonders Keyboard-getriebenen Stück wie "Falling Star" - der Klang-Vielfalt der Band ist das sehr zuträglich. Stratovarius kann sich rühmen, einen der besten Tastenflitzer im ganzen Business in den eigenen Reihen zu haben - und nach dem Split mit Tolkki scheint hier viel kreative Energie freigesetzt worden zu sein.
Coole Basslines, neobarocke Melodien und Harmonien inklusive ein paar Cembalo-Sounds, wie von den guten alten Stratovarius bekannt und geliebt, sind nur noch das Sahnehäubchen auf einem gelungenen 'Comeback'-Album der 'klassischen' Stratovarius. Und gegenüber dem Vorgänger gibt es noch lobend zu erwähnen: Der Double Bass ist zurück!!!
Dass der klare, hohe Gesang Timo Kotipeltos samt seines kultigen Finnen-Akzents als eines der Markenzeichen der Band nichts von seiner alten Frische verloren hat, ist fast nur noch eine Randnotiz. Ein starkes Album, auf das ein Großteil der Stratovarius-Fangemeinde sehnsüchtig gewartet haben dürfte - von dem Zwist um Tolkki sollte sie sich nicht spalten lassen.
Line-up:
Timo Kotipelto (vocals)
Matias Kupiainen (guitar)
Lauri Porra (bass)
Jörg Michael (drums)
Jens Johansson (keyboard)
Tracklist |
01:Deep Unknown
02:Falling Star
03:King Of Nothing
04:Blind
05:Winter Skies
06:Forever Is Today
07:Higher We Go
08:Somehow Precious
09:Emancipation Suite, Part I: Dusk
10:Emancipation Suite, Part II: Dawn
11:When Mountains Fall
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