Wieso kann man eigentlich traurige Musik soooo schön finden?
Weil es Bands wie Sylvan gibt, die die Musik gewordene Melancholie so unwiderstehlich machen. Prog Rock oder Art Rock - egal, wie man das nun nennen mag, die Hamburger sind längst Meister ihres Fachs. "Home" ist schließlich ihr neuntes Studioalbum. Aber wie das mit 'Meistern' nun mal ist - sie müssen sich im Verlauf ihrer Schaffensphase zunehmend von anderen Meistern oder gar ihren eigenen Lehrlingen herausfordern lassen - der kreative Druck wird nicht geringer, auch nicht bei Sylvan. Den Druck erhöht hat auch der Abgang von Gitarrist Jan Petersen, der der Gruppe auf den vergangenen Alben wirklich gut getan und das Einflussspektrum erhöht hat.
Gut, dass die Band sich nicht aus der Bahn werfen lassen und die Fertigstellung des neuen Albums konsequent durchgezogen hat - mit einem Gast an der Gitarre, Jonathan Beck. Die Gitarrenarbeit sorgt bei mir zwar für weniger Gänsehautmomente als zuletzt, aber die unterkühlt-harten Momente sind weiter Teil Sylvans, und das ist gut so. Und auch ansonsten müssen wir nichts von dem vermissen, für was Sylvan steht und für was wir Sylvan lieben. Auch nicht deren Qualität! "Home" bietet einen wunderbar durchhörbaren Mix aus Kompaktheit und Epik - aus Nummern, die sofort 'zünden' und das Blut in Wallung bringen und solchen, die ganz sachte anfangen, sich in der Magengrube einzunisten und sich entweder nach und nach oder ganz plötzlich zu bombastischen Kraft-Atmosphärikern entwickeln.
Ganz zu Beginn und ganz am Schluss ist eine Art 'Rahmen' erkennbar. Der Opener "Not Far From The Sky" baut sich rein orchestral auf, noch ohne Zutun von Rhythmussektion oder Gitarre. Es wirkt wie eine Art Filmmusik - eingetrübt, leicht verstört und zerbrechlich. Vorsichtig entfalten sich Klavierarpeggien und Sänger Marco Glühmann setzt sachte und behutsam mit seiner klagevollen Stimme ein. Die Orchesterklänge erhöhen schließlich die Dramatik, erhöhen Druck und Dynamik und 'zwingen' Marco Glühmann dazu, recht schnell auch seine kraftvolle und expressive Seite in höheren Tonlagen zu zeigen. Ein feiner Einstieg, der unter die Haut geht.
Ähnlich 'im Fluss' statt in starren Songstrukturen präsentiert sich auch der Schlusspunkt des Albums, der Titeltrack "Home". Gedrückter Gesang zu fragilen Pianoklängen ebnen den Weg für ein orchestrales Crescendo, das wie ein wohlig-warmer Schwall daherkommt und in dem Fall die ganze Band zu einem sehr emotionalen Finale mit einspannt - mit einem ausgedehnten, einfühlsamen Gitarrensolo als Höhepunkt.
Ein anderer Ansatz sind Stücke mit markantem Refrain - was aber noch lange nicht bedeuten muss, dass Sylvan daraus simple Liedchen stricken. Am 'einfachsten' gehalten ist noch "With the Eyes Of A Child", eine traurig-romantische Ballade und ein klasse Beispiel dafür, wie Marco Glühmann mit seinem Gesang den Rest der Musik 'mitzureißen' scheint. In dem zauberhaften Refrain geht er mit Tempo eilig vorweg; und die Band muss mit ihrem dagegen nahezu stoisch wirkenden Drive regelrecht 'nachziehen - das erzielt eine faszinierende Bannwirkung.
"Shine" ist eine weitere Ballade und ein weiteres Highlight - geradeaus und eingängig startet der Song mit Klavier und Drumsticks, die nur den Rand der Trommel treffen. Der Chorus kommt dann recht plötzlich und um so eindringlicher in kraftvoll-expressiver, aber dennoch atmosphärisch warmer, schwebender Weise daher. "Shine" ist ein Track, der radiotauglich ist, aber alles andere als 'platt'. Auf der anderen Seite der Skala gibt es dann etwas wie das neuneinhalbminütige "The Sound Of Her World" mit einem epischen Mix aus Bombast, idyllischen Breaks und sich lang entwickelnden Spannungsbögen. Trotz komplexerer Struktur brennen sich repetitive Muster im Nu in den Gehörgang ein; das ist stark gemacht.
Im positivsten Sinn 'auffällig' sind auch die Nummern auf "Home", die von schwermetallischen Riffs markiert werden. Das kompakte "Point Of No Return" pendelt hin und her zwischen unterkühlter Stakkato-Heaviness (großartig: der sehr proggige und höllisch groovende Instrumentalteil!) und einem getragenen Chorus in einer spacig-verklärten Keyboardatmo. Und auch "In Between" lebt von überdurchschnittlich harten Gitarren und lässt sich von einem recht simpel anmutenden Hard Rock-Riff antreiben, kombiniert mit zahlreichen Effekten und auch offensiv mit-dominierenden Synthies. Da steckt sogar ein bisschen New Wave mit drin. Heavy-Psychedelik.
Die zahlreichen krass guten Momente lassen ein paar Schwächen des Albums nicht groß ins Gewicht fallen. So verliert sich "All These Years" beispielsweise in einer sehr erwartbaren melodischen Wellenbewegung - hier wird die ansonsten so schöne Sylvan-Melancholie ein bisschen klischeehaft. Auch das insgesamt durchaus stärkere "Shaped Out of Things" zeigt ein paar Symptome von 'genau so schon mal von gehört' (allerdings herrlich pariert von Sänger Marco Glühmann). Ein paar Minuten weniger als die 77 Minuten hätte "Home" also dauern dürfen, dann wären minimale Durchhänger leicht vermeidbar gewesen. Das mindert aber nicht die große Klasse der vielleicht besten Sylvan-Scheibe seit Posthumous Silence - traurige Musik, soooo schön, so aufwühlend, so fesselnd!
Line-up:
Marco Glühmann (vocals)
Matthias Harder (drums)
Sebastian Harnack (bass)
Volker Söhl (keys)
Guest musician:
Jonathan Beck (guitars)
Tracklist |
01:Not Far From The Sky (6:30)
02:Shaped Out Of Clouds (6:02)
03:In Between (10:50)
04:With The Eyes Of A Child (4:19)
05:Black And White (7:14)
06:The Sound Of Her World (9:23)
07:Sleep Tight (5:31)
08:Off Her Hands (3:42)
09:Shine (6:18)
10:Point Of No Return (5:25)
11:All These Years (5:40)
12:Home (6:05)
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