Überraschung! Mit ihrem siebten Studioalbum überrumpeln
Symphony X die progressive Metalwelt mit einem selten erlebten Härtegrad, der gleichzeitig den gesamten Sound der Amis beeinflusst. Schon das Intro, "Oculus Ex Inferni", empfängt den in Ehrfurcht erstarrten Hörer mit dramatischem Orchester-Bombast und vereinzelten unheilschwangeren Goth-Chören. Dunkel eingefärbte, monumentale Atmosphären ziehen sich dann auch durch die gesamten 60:66 Minuten (zur 'Hölle'mit dem CD-Spieler, der stattdessen 61:06 anzeigt!) von "Paradise Lost". Zahlreiche Thrash-Einlagen und ein voller Inbrunst shoutender
Russell Allen sorgen für mehr Aggressivität denn je. Zart besaitet waren
Symphony X ohnehin nie, man denke nur an Songs wie "Eyes of Medusa" oder "Inferno (Unleash the Fire)". Im Verhältnis zu den ruhigeren Tönen haben die brachial-gewaltigen aber merklich an Spielzeit hinzugewonnen.
Zeit zum Durchschnaufen bieten noch die anmutvollen Power-Balladen "The Sacrifice" und "Paradise Lost", das leicht an das große "The Accolade" erinnert. Ansonsten geben eher schwermetallische Nummern den Ton an, seien es Up-Tempo-Stücke wie "Eve Of Seduction" und "Seven" oder der Angstmacher "Domination", der das mit Abstand härteste Material in der bisherigen Bandgeschichte darstellt. Aber keine Sorge - Symphony X haben trotz härteren und dunkleren Gewandes nichts von ihrer Brillanz in Technik, Klang und detailverliebtem, abwechslungsreichem Songwriting eingebüßt.
Michael Romeo und Michael Pinnella frönen nach wie vor ihrer Vorliebe für neo-barocke Klänge und Harmonien. Das wird schon beim Opener "Set The World On Fire" deutlich, einem echten Brecher in bester Tradition von "Smoke And Mirrors", "Inferno (Unleash The Fire)" & Co.
Und auch die majestätischen Gesangsmelodien und begnadeten Solo-Duelle lassen nicht lange auf sich warten. Trotz des dichten, düster Bass-betonten Metal-Sounds bleiben alle Feinheiten bis hin zu druckvollen Frickelbässen klar hörbar. In etlichen mehrminütigen Instrumentalstrecken wird erwartungsgemäß deutlich, dass die wohl versiertesten High-Tech-Feinmechaniker neben
Dream Theater am Werk sind. Und das wie immer ohne sich von jenem Genre-Krösus sonderlich beeinflussen zu lassen - eine wahre Seltenheit in diesem Business. Klar gibt es auch hier raffinierte Parallelbewegungen zwischen Keyboard und Gitarre, überirdisches Gefrickel und ebenso unaufdringliche wie geniale Rhythmuswechsel. Genau so könnte das Riff von "Serpent's Kiss" von
Judas Priest und das zu Beginn von "Revelation" von
Jag Panzer stammen. Eines haben alle Referenzen aber gemein: Nach ein paar Takten sind sie wieder vorbei. Denn ständig entwickeln sich die Songs weiter, überraschen mit ungeahnten Facetten, wenn plötzlich inmitten drängender, ultraharter Abschnitte so manche atmosphärische Aufhellung für überraschende Gänsehaut-Momente sorgt, Wiedererkennungsmerkmale inklusive.
Nicht dabei ist dieses Mal ein Riesen-Epos im Stile von "The Odyssey". Dafür überschreitet das wunderbare "The Walls Of Babylon", einer der Höhepunkte des Albums, dank eines dreiminütigen Instrumental-Intros locker die Acht-Minuten-Marke. Und das dramatische Finale "Revelation" dauert mehr als neun Minuten. An dessen Schluss zitiert
Michael Romeo plötzlich das Gitarrenthema von
The Divine Wings of Tragedy. Entsprechend auch der Untertitel des letzten Stückes auf Latein: "Divus Pennae Ex Tragoedia".
Tatsächlich ist das ganze Album eine Art Fortsetzung des Band-Klassikers aus dem Jahr 1997 - es geht erneut um die Vertreibung aus dem Paradies, aber viel, viel düsterer. Alles in allem ist "Paradise Lost" eine überzeugende Weiterentwicklung der Band, die sich in fast allen Bereichen erstaunlich verändert hat - deutlich mehr als mit dem Vorgängeralbum "The Odyssey" (2002) - und doch ihre Trademarks niemals über Bord wirft. Das fünf Jahre lange Warten, bedingt u.a. durch gesundheitliche Probleme von Bassist
Michael Lepond und die ungeplante Teilnahme an der Gigantour zusammen mit
Dream Theater und
Megadeth, hat sich also gelohnt. Dieses Album ist ein Paukenschlag - dämonisch düster und hemmungslos heavy!