Liebe Leute, es gibt Ereignisse, die werden genossen und anschließend mehr oder weniger schnell vergessen. Es gibt aber auch Ereignisse, die einen dermaßen in Erstaunen versetzen, dass das mit dem Genießen so eine Sache ist, dafür aber umso nachhaltiger im Gedächtnis haften bleiben.
Letzteres widerfuhr dem Schreiberling dieser Zeilen bereits am 07.11. im Bremer 'Schlachthof'. Ein geradezu martialischer Name für ein Kulturzentrum unweit des Hauptbahnhofs und Gastgeber eines weiteren denkwürdigen Konzertes in diesem an musikalischen Live-Höhepunkten nicht armen Jahr, welches sich das Etikett 'Kultur' aber so was von berechtigt ans Revers heften darf.
Ich habe doch glatt knapp 2 Wochen gebraucht, um die auf mich eingestürzten Reize einigermaßen verarbeiten zu können.
Was war geschehen?
Nun, nachdem die Allman Brothers Band für europäische Auftritte offenbar astronomische Summen verlangt hat, kommen deren Mitglieder eben einzeln über den großen Teich und bringen gleich ihre musikalischen Nebenprojekte mit. Den Anfang machte dieses Jahr Gitarrist und Songschreiber Warren Haynes mit seinen Government Mule, dieses ja sogar gleich zweimal ( Köln), da wollte der andere ABB-Saitenartist in Gestalt von Derek Trucks natürlich nicht hintenan stehen und kam daher Anfang November mit seiner eigenen Band auf europäische und somit auch bundesdeutsche Bühnen, um uns davon zu überzeugen, dass es neben dem musikalischen Kosmos der ABB auch noch vieles andere gibt.
Während Warren Haynes und seine Combo dabei eher den (klassisch)rockenden Jam-Hammer auspackten (okay, natürlich sehr vereinfacht ausgedrückt), verschmolz die Derek Trucks Band die unterschiedlichsten Stile zu einem wahren Rausch der Sinne und Töne, so dass eigentlich jeder/jede, der/die diesem Ereignis beiwohnte, noch heute benebelt sein muss. Allerdings setzt das voraus, dass mensch sich überhaupt auf diesen nichtstofflichen Rausch einlassen konnte.
Ich konnte es und spüre die Folgen bis heute. Ich fragte mich ja schon nach Hamburg, was nun eigentlich noch kommen kann; nach der DTB habe ich keine weiteren Fragen mehr!
Aber der Reihe nach.
Auf Initiative des 'Nordwestradios', einer Koproduktion von 'Radio Bremen' und dem 'NDR' wurde die DTB in Bremen für ein sogenanntes Radiokonzert verpflichtet. Karten sollte es nur über den Sender geben, nicht im sonst üblichen freien Vorverkauf.
Für diese Anlässe verfügt 'Radio Bremen' über einen sogenannten Sendesaal mit nur sehr begrenzten Kapazitäten. Die Nachfrage der auch in Deutschland stetig wachsenden Jam-Rock Gemeinde war dann aber offenbar doch so groß, dass das Konzert in den 'Schlachthof' verlegt wurde, weil der einfach mehr Kapazitäten aufweisen kann. Zudem verfügt die sogenannte Kesselhalle dieses Kulturzentrums über eine ausgewachsene feste Tribüne direkt gegenüber der Bühne, so dass beste Sicht für alle quasi garantiert ist. Ganz nebenbei bemerkt ist das auch ausgesprochen Fotografenfreundlich.
Zum Konzertabend selbst gab es dann noch eine Abendkasse mit dem atemberaubend sozialverträglichen Kult(ur)preis von 10,00 €. Dafür war die Kesselhalle dann auch sehr gut besucht, zumindest die Tribüne erfreute sich regen Zuspruchs. Das Publikum erschien mir durchaus gemischt, dass die Jugend überwiegend fehlte, kann angesichts der vorherrschenden Medienlandschaft nicht weiter verwundern.
Im Vorprogramm spielte eine Formation namens Sister Euclid mit dem kanadischen Slidegitarren-Könner Kevin Breit als Frontmann.
Hier wurden nicht nur angejazzte Rock-Improvisationen, sondern vor allem Neil Young - Tunes mit interpretatorischen Freiheiten geboten. Immerhin handelt es sich beim aktuellen Plattenprojekt dieser mir bis dato völlig unbekannten Band um ein Neil Young Tribute mit dem nicht unwitzigen Titel "Run, Neil, Run". Und in der Tat, ohne dass ich mich im Youngschen Kosmos auskennen würde, Kevin Breit und seine Mannen zerpflückten die Musik sehr manierlich in ihre Einzelteile, um sie dann fein säuberlich wieder zusammenzusetzen. Das kam einerseits ziemlich rau, aber doch flüssig und melodisch rüber, so dass diese Combo sehr gut in den musikalischen Kontext dieses Abends passte.
Denn alle die hier waren, wussten sicherlich warum und zeichneten sich zwangsläufig durch offene Ohren aus.
Die waren auch vonnöten, denn als schließlich die Derek Trucks Band völlig unspektakulär auf die relativ große Bühne schlurfte, waren absolut keine musikalischen Grenzen mehr in den Köpfen gefragt.
Derek Trucks, seines Zeichens Neffe des Gründungsmitglieds und Schlagwerkers der Allman Brothers Band, Butch Trucks, hat sich in den letzen Jahren einen hervorragenden Ruf als Slidegitarrist per excellence erworben, nicht nur bei der ABB, der er seit 1999 angehört, nein, auch mit seiner eigenen Formation, die er seit ungefähr 10 Jahren unter seinem Namen betreibt. Vor 8 Jahren erschien das gleichnamige erste, noch rein instrumentale Album der Band, der auch damals schon Todd Smallie (bass & vocals) und Yonrico Scott (drums, percussion & vocals) angehörten.
Derek Trucks darf getrost als erwachsen gewordenes Wunderkind bezeichnet werden, sorgte er doch mit seinem Instrument schon im zarten Alter von 11 Jahren für (bezahlte!) Bühnenfurore. Als Vorbilder gibt er selbst so illustre Namen wie John Coltrane, Eric Clapton, Ali Akhbar Khan und Wes Montgomery an, was unweigerlich auch die musikalische Ausrichtung des Helden vorzeichnet.
Dass dieser Mann mit seinen nunmehr gerade mal 26 Lenzen bereits unzählige Live-Gigs hinter sich hat, ist von der ersten Sekunde an zu hören. Er spielt sein Instrument auf einem Niveau, dass mir als Volllaien einfach nur die Spucke wegbleibt. Ich muss mich krampfhaft bemühen, dass mir nicht die teure Fotokamera aus der Hand fällt!
Und da es genug Leute gibt, die sich bezüglich Instrumente und technischem Spielkönnen besser auskennen als ich, möchte ich an dieser Stelle Michael Stepien von der deutschen Southern Rock Mailing-Liste zitieren:
"Dereks Gitarre war bei der Nummer (und nicht nur da) sensationell. Phantastisch schon sein Sound/Ton. Dabei war sein Setup extrem puristisch: Ein Fender Super Reverb, ein Kabel, eine Gibson SG, zehn
Finger und ein Glasröhrchen. Derek spielt ohne Plek. Sein Fingerpicking ist extrem dynamisch. Allein die Intensität seines
Anschlages (plus der gezielte Einsatz des Volume-Reglers seiner Gibson) steuern, wie stark der Ton verzerrt wird. Vor allem dann, wenn er Slide spielt, kann man nur über die Virtuosität seines Spiels staunen. (...) Bei aller ausgefeilter Spieltechnik stehen bei seinen Improvisationen immer melodische Einfälle im Vordergrund."
In der Tat, auch ich komme aus dem Staunen den ganzen Abend lang nicht heraus.
Musikalisch bewegt sich die Band in den weiten Sphären von Jazz, Rock, Blues, Soul, Funk, Latin und explizit arabischen bzw. fernöstlichen Einflüssen, so dass aus diesem Konglomerat eine geradezu grenzenlose und brodelnde 'Worldmusic' entsteht.
Am 07. Februar 2006 soll der nächste Studio-Longplayer der Derek Trucks Band unter dem Titel "Songlines" herauskommen und es werden immerhin 5 Stücke aus diesem Werk vorgestellt.
Am nächsten Abend spielte die Band übrigens in der Hamburger 'Fabrik' und stellte dabei 4 neue Songs vor, von denen sich aber nur einer mit dem Programm von Bremen überschnitt. Wie überhaupt die Setlist dieser beiden Auftritte, ganz in der Tradition der Jam-Bands, kaum Parallelen hatte. Wäre ich am nächsten Tag nach Hamburg gefahren, ich hätte ein fast vollständig anderes Programm genießen können und würde annähernd das ganze neue Album kennen!
Hier und heute startet die Band mit dem ersten neuen Titel namens "Volunteered Slavery", ein jazziger Roland Kirk Klassiker, macht weiter mit dem nächsten Neuling namens "I'll Find My Way", ein Hammond B3 - Groover, der uns auch gleich das nächste Mitglied der Band schmackhaft macht, nämlich Kofi Burbridge (keyboards, flute, vocals), seit immerhin 1999 in der Band und ein Magier an seinem Instrument. Junge, was lässt der Mann für Läufe aus den Tasten perlen (hä?)!
Weiter geht's mit einem weiteren Titel des noch erscheinenden Albums, dem Bluestraditional "Crow Jane", dem hier eine gehörige Portion Funk verpasst wird. Spätestens hier verfalle ich in einen transzendentalen Zustand, die Band spielt bei aller ausführlichen instrumentalen Zelebrierung mit einer Kompaktheit und Bodenständigkeit, dass es geradezu zum Fürchten ist. Das muss an der Mörder-Rhythmsection Todd Smallie und Yonrico Scott liegen. Todd Smallie ist vermutlich kleiner (ha, ha, welch Wortwitz!) als sein Fenderbass, wenn er diesen hinstellen würde, zupft mit spitzbübischen Dauergrinsen die dicken Saiten, ohne dabei groß die Finger zu bewegen und hält doch gemeinsam mit Yonrico Scott den ganzen Laden zusammen als wäre das nichts. Absolut beeindruckend!
Letzterer ging in seiner Vergangenheit durch die Motown-Schule und begeistert mit einem präzisen, dynamischen, luftigen, rhythmischen, groovigen Schlagwerk, dass mensch der Meinung sein könnte, der Mann verschmilzt mit seinen Fellen und Becken zu einer Einheit. Wiederum absolut faszinierend und ganz nebenbei strahlt der Mann die Bühnenpräsenz aus, die einem Derek Trucks völlig abgeht. Der nämlich ist der sprichwörtliche Ausbund von enthusiastischer Hyperaktivität, und wenn sein linker oder rechter (nie zusammen!) Fuß mitwippt, so kommt das einem Vulkanausbruch gleich!
Gar nicht erwähnt habe ich bisher das jüngste Mitglied der DTB (seit 2002 dabei), Sänger Mike Mattison, was eigentlich unfair ist, denn der Mann begeistert durch eine ausdrucksstarke Soulstimme, die durchaus mal durch Mark und Bein gehen kann.
Allerdings spielt er bei der improvisationsfreudigen und instrumentalastigen Musik der Band insgesamt gesehen eher eine untergeordnete Rolle, begibt sich folglich häufiger ins Abseits der Bühne und staunt wohl genauso wie das Auditorium über die Dinge, die sich auf selbiger ereignen. Trotzdem sind seine hervorragenden Gesangseinlagen wertvolle und willkommene Farbtupfer im Gesamtkontext des Vortrags.
Ich wiege fast nur noch den Kopf hin und her, nippe geistesabwesend am Bierbecher (der wievielte ist das überhaupt?) und stelle gerade noch fest, das die DTB keine Party im eigentlichen Sinne befeuern könnte, mit Status Quo, AC/DC, Rolling Stones oder auch Molly Hatchet hat das hier soviel zu tun, wie die real praktizierte Globalisierung mit sozialer Gerechtigkeit!
Begeistert nehme ich noch auf, dass "Goin' Down Slow" intoniert wird, ehemals von St. Louis Jimmy (1941), viel später dann gecovert von Leuten wie Howlin'Wolf (1962), John Hammond (1964), Canned Heat (1967) oder Alexis Korner (1967), bis es dann Eric Clapton 1998 schaffte, diese Nummer vollkommen zu verhunzen.
Jetzt wird sie in überragender Manier gerettet und Derek Trucks tritt den Beweis an, dass es von Eric Clapton sehr mutig wäre, selbigen für seine Band für die nächstjährige Tour zu verpflichten, wie es gerüchtehalber kolportiert wird.
Immerhin steht fest, dass Derek Trucks mit Herrn Slowhand gemeinsam im Studio war. Vielleicht macht die DTB nächstes Jahr zur Promotion von "Songlines" auch den Anheizer für Eric. Mir soll's recht sein, wie das lahme Mainstreampublikum darauf reagieren würde, steht auf einem anderen Blatt.
Ich habe dafür inzwischen das Gefühl, dass das heutige Publikum verschmolzen ist mit der fantastischen Musikalität der exorbitant inspiriert agierenden Musiker und allerspätestens beim arabisch/orientalisch beeinflussten Mega-Jam von "Sahib Teri Bandi / Maki Madni" (wird auch auf "Songlines" erscheinen) spielt sich die Band in einen kollektiven Rausch, der mich einfach mitreißt und gefangen hält, bis plötzlich Klänge ertönen, die mich an das alte Weihnachtstraditional "Greensleeves" denken lassen. Oh Mann, shit, so genial habe ich dieses Stück noch nie gehört und wir haben schließlich auch nur noch 1 ½ Monate bis Weihnachten.
Nur ist danach plötzlich Schluss, dabei war doch eben erst die Mitte des Konzerts erreicht gewesen!
Unglaublich, die zweite Hälfte des Sets hat mich doch tatsächlich in einen nicht mehr irdischen Zustand versetzt und ich habe kaum noch die Kraft, um die Zugabe zu klatschen. Diese kommt selbstverständlich und das Publikum, so scheint es mir, ist fast erschöpfter als die Band, so vielfältig und intensiv sind die musikalischen Reize in uns eingedrungen. Und das ohne jeden optischen Effekt auf der Bühne!
Das Volk tobt trotzdem, soweit es die Kräfte überhaupt noch zulassen, und ich weiß endgültig etwas mit dem Begriff anzufangen, den die Band für ihre Musik kreiert hat:
'Progressiv Roots Music' - yes, I love it!
Bleibt noch sehr positiv zu erwähnen, dass die Band anschließend dem Publikum ca. eine halbe Stunde für Autogramme und Nachfragen zur Verfügung stand und die Preise am Merchandising-Stand erstaunlich günstig waren, denn eine 2004er Live - Doppel-CD der Band ("Live At Georgia Theatre") sollte verbraucherfreundliche 10,00 € kosten!
Fazit:
Zusammen mit Gov't Mule und der jungen Newcomer-Band Siena Root das Live-Highlight dieses Jahres, vielleicht auch gerade deswegen, weil musikalische Vergleiche sich komplett erübrigen.
Muss mensch einfach gesehen und gehört haben!!!
Und wir möchten uns ausdrücklich für die vorzügliche Zusammenarbeit mit 'Radio Bremen' bedanken.
Setlist:
Volunteered Slavery
I'll Find My Way
Crow Jane
Cheesecake
Leavin' Trunk
Going Down Slow
Sahib Teri Bandi / Maki Madni
To Know You Is To Love You
I Wish I Knew
Fourty Four
Up Above My Head
My Favourite Thing
Greensleeves
Encore
Bilder vom Konzert
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