Progressive Metal, made in Germany - das verspricht Qualität! Vor allem, wenn eine Band aus dem Reigen zahlloser Dream Theater-Trittbrettfahrer ausbricht und mithilft, ein ganzes Genre zu beleben, modernisieren und nach vorn zu treiben - wie Tomorrow's Eve! Die haben sich spätestens mit Mirror Of Creation 2 - Genesis II an die nationale wie internationale Speerspitze des Progressive Metal herangearbeitet.
Dieses Monster-Album würde kaum zu toppen sein, das war klar. Und doch können sich die Saarländer, die zwischendurch im Anhang von Circle II Circle professionelle Tourluft geschnuppert haben, mit "Tales From Serpentia" ganz weit oben etablieren und lassen Fans von Gruppen wie Circus Maximus, Mind's Eye, Andromeda oder Vanden Plas praktisch keine andere Wahl als auch Tomorrow's Eve in den erlauchten Kreis ihrer Favoriten aufzunehmen.
Doch die Band klingt auch auf ihrem vierten Studioalbum wieder sehr eigen. Der Klang von Tomorrow's Eve ist geprägt von hartem und düsteren Riffing, von packenden, nahezu hypnotisierenden Atmosphären, einem enorm druckvollen wie technisch hochklassigen rhythmischen Unterbau. Gibt's schon alles, das mag wohl sein. Doch ihre individuelle Stärke ist die Kombination all dessen, was Prog Metal mit einem gehobenen Schwermetallanteil so hörenswert macht...
Einzigartig ist der Zusammenklang von Keyboard- und Gitarre. Die feiern hier ein kreatives Fest aus kleinen und großen, genial ineinander verflochtenen Melodien, wechseln sich im Vordergrund und der Begleiterrolle ab, spielen parallel, und das zuweilen in halsbrecherischer Präzision, kreieren gemeinsam spannungsgeladene Harmonien und rhythmisch komplexe und dennoch geradlinig nach vorn preschende Drives.
Und auch im Songwriting macht den Jungs kaum einer was vor. Meist im Sechs-Minuten-Bereich bewegen sich die detailverliebten Stücke, die voller Überraschungen stecken und gleichzeitig sehr direkt ins Ohr gehen. Straight und heavy und doch sehr technisch und 'verproggt' im Stile von Symphony X oder Evergrey kommen die Strophen daher, oder mit knisternd spannenden Clean-Gitarren-Arpeggien im Stile von Queensryche. Die Energie entlädt sich zwischendurch in atmosphärischen, schwebenden Refrains.
Tomorrow's Eve arbeiten ganz exzellent mit Gegensätzen: Urgewaltige Riff-Ungetüme verwandeln sich binnen Sekunden in anmutvoll schwebende Gänsehautnummern und umgekehrt. Der rote Faden geht dabei nicht verloren; kurze und lange Spannungsbögen greifen nahtlos ineinander. Längere werden unter anderem bei "Remember" gespannt, das inklusive Klavierparts an eine Savatage-Powerballade erinnert. Noch epischer kommt das schon beinahe musicalhaft-theatralische "The Tower" daher, in dem die Band in sieben Minuten verschiedenster Tempi, Rhythmen, Stimmungen und Atmosphären ein wahres Prog Metal-Feuerwerk abfackelt. Klingt all zu komplex, geht aber mit fabelhafter Bannwirkung direkt ins Hirn!
Nicht unschuldig daran sind die durchweg außergewöhnlich weit schweifenden Melodien. Sänger Martin LeMar, der übrigens unlängst auch bei den Ultra-Proggern Mekong Delta eingestiegen ist, setzt die Melodien emotional und kraftvoll in Szene. Sein Charisma ist als eines der wichtigsten Markenzeichen der Band - ein lebender Kopierschutz!
Wie könnte es anders sein: "Takes From Serpentia" ist ein Konzeptalbum, und - wie man es als Prog-Head liebt - nicht all zu einfach gestrickt. Im Grunde geht es um einen Protagonisten, der sein halbes Leben als Junkie dahingesiecht ist. Der Name der fiktiven Droge, die er sich mit seiner Freundin teilt: Serpentia. Er kommt davon los, sie nicht - die Beziehung platzt mit einem Riesenkrach. Die Vergangenheit holt den Protagonisten ein, als ihm eines Tages beim Aufräumen lose Blätter in die Hand fallen - es sind Geschichten, die er damals unter Drogen, ermuntert von seiner Freundin, geschrieben hat.
Die Tracks 2 bis 10 stellen diese Kurzgeschichten da. Sie stehen jede für sich - und doch erkennt der Schreiber in seinen düsteren Geschichten und ihren subtilen Botschaften stets Warnungen an sich selbst. Das Intro "Nightfall" und das knapp 20-minütige Finale "Muse" spannen einen Rahmen - die 'wahre' Story um die beiden, jenseits der Kurzgeschichten. Am Ende trifft der Protagonist wieder mit seiner Ex zusammen. Wie es ausgeht, wird hier aber nicht verraten. Nur so viel: Das hier ist keine Liebesgeschichte...
Spannend, wie die Fäden in "Muse" zusammenlaufen - nachzuvollziehen anhand der von Schauspielern eingesprochenen Sprech-Parts, die wiederum offenbaren, wie die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen... ein intelligentes Psycho-Puzzle über menschliche Abgründe und Unzulänglichkeiten, dessen Spannungskurve genial von der Musik unterstützt wird! Von daher ist "Tales Of Serpentia" wahre Kunst - ein Album, in das man ganz tief eintaucht.
Line-up:
Martin LeMar (vocals)
Rainer Grund (guitar)
Oliver Schwickert (keyboard)
Chris Dörr (bass)
Tom Diener (drums)
Tracklist |
01:Nightfall
02:The Years Ahead
03:Dream Diary
04:No Harm
05:Remember
06:Succubus
07:Warning
08:The Curse
09:The Tower
10:Faces
11:Muse
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