Aus kriminalistischer Sicht ist die Schuldfrage nicht unerheblich. Auf die Musik bezogen steht das United Jazz + Rock Ensemble (UJRE) in der Schuld, denn als der Mitschnitt ihres Konzertes im Alten Schützenhaus auf keine Gegenliebe bei führenden Plattenfirmen stieß, wurde das Label Mood Records gegründet. Im Nachhinein eine lobenswerte Entscheidung, denn so ist "Live Im Schützenhaus" »bis heute die bestverkaufte Jazzveröffentlichung Deutschlands.«
Die Gründung der Formation ist dem Regisseur Werner Schretzmeier zu verdanken.
Für seine TV-Serie "11 ½" war er auf der Suche nach passender Musik und so nahm er Kontakt zum Pianisten Wolfgang Dauner auf. Zunächst benannte sich der Nukleus der Gruppierung nach der Serie: The Eleven And A Half Ensemble. Durch ein erweitertes und zugleich beeindruckendes Line-up wurde dann das United Jazz + Rock Ensemble geboren. Mit einer fünf Leute zählenden Bläserabteilung hatte die Gruppe fast Bigband-Charakter. Dazu kamen noch der Gitarrist Volker Kriegel, Jon Hiseman am Schlagzeug sowie Eberhard Weber am Bass und natürlich Wolfgang Dauner. Barbara Thompson (auch Manfred Mann, Colosseum, Osibisa) spielte Querflöte und Saxofon. Ihre eigene Band Paraphernalia sollte natürlich auch erwähnt werden. Ian Carr (Mitglied unter anderem von Nucleus) war zusammen mit Ack van Rooyen, der für Stan Getz, Miles Davis oder Peter Herbolzheimer spielte, an der Trompete zu hören. Der unvergleichliche Albert Mangelsdorff blies das Posaune und Charlie Mariano (Nagashwaran, Saxofon) rundete die Abteilung der Holz- sowie Blechbläser ab. Alleine schon zu den Künstlern könnte man viel schreiben, aber diesen herausragenden Musikern würde man in der Kürze nicht gerecht werden.
Nach dem überaus erfolgreichen Debüt folgten dreizehn weiter Veröffentlichungen, darunter auch Sampler und zuletzt waren es "The UJRE Plays Wolfgang Dauner" beziehungsweise "The UJRE Plays Volker Kriegel", die Anfang des neuen Jahrtausends auf den Markt kamen. Unter den Alben befinden sich auch viele Liveplatten und zwei davon wurden vom Label inakustik unter dem Titel "2 : 1 Edition" der Hörerschaft zur Verfügung gestellt.
Mit einem ganz persönlichen Blick auf die Dinge stellt sich auch jetzt noch eine Dauergänsehaut ein, da ich das UJRE Ende 1992 in der Rheinberger Stadthalle live erlebt habe. Zu der Zeit hatte die Gruppe auch ihre damals aktuelle CD "Na Endlich!" im Gepäck. An dieser Stelle soll es allerdings um die beiden Silberlinge "Live Im Schützenhaus" sowie "Live In Berlin", die in einem Abstand von vier Jahren erschienen, gehen.
Mit ihrem Line-up und der von unterschiedlichen Mitgliedern komponierten Musik ist das UJRE wohl etwas ganz Besonderes in der Szene des Jazz mit Rock kombinierten Genres und dabei vermögen die beiden genannten Stile noch nicht einmal Auskunft über die Vielfalt der Einflüsse geben. Sie stehen vielleicht als allgemeingültige Aushängeschilder da. Wenn es zum von Charlie Mariano geschriebenen "South Indian Line" kommt, weiß der Hörer, welche anderen Glocken hier klingen. Ein von Rhythmus in Hochgeschwindigkeit angekurbeltes Stück stellt gleich seinen fernöstlichen Charakter zur Schau, bei dem Eberhard Weber mit seinem Bass ins Thema einleitet. Aus der Bläsersolidarität schälen sich die Klänge von Marianos Nagashwaran heraus und in der Folge fließt alles in eine Art belebtes Treiben wie auf einen Basar hinein. Einerseits ist das Spiel, zuweilen auch bei anderen Tracks unlimitiert und man trifft nicht selten auf avantgardistische Ausläufer der Musik. Anderseits wird der Hörer bei den mittlerweile über dreißig Jahre alten Aufnahmen Zeuge von fast mainstreamigen Teilen, wie zum Beispiel die mitreißende Melodie in "Hypnotic Pignose". Hier ist es Kriegel, der mit seinen Griffbrettfahrten brilliert.
Natürlich geht es auch anders.
Dauners "The Love That Cannot Speak Its Name" ist eine herrlich angelegte Ballade, in der Thompsons Querflöte eine Stimmung aus Chiffon erzeugt. Ein ums andere Mal setzen die Musiker immer wieder andere Akzente und Weber präsent ausgiebig seine Virtuosität in einem Bassaolo. Auch "Hey Day", von Ian Carr geschrieben, zählt zu den getragenen Nummern der Platte. Der pointierte Bläsersatz befindet sich im Zwiegespräch mit Kriegels Gitarre und schließlich ist es ein durch Effekte verfremdet klingendes Blasinstrument, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Liebe Leser, dieser Teil des Doppeldeckers hat immer noch keinen Staub angesetzt und schließlich hat hier Hans-Jörg Maucksch Hand angelegt, denn beide CDs wurden von ihm remastert.
1981 erschien dann "Live In Berlin".
Die Bühne ist das Spielfeld dieser beeindruckenden Combo und die Geschichte der ersten Platte setzt sich quasi auf gleich hohem Niveau fort. Die Atmosphäre in Berlins Quartier Latin ist luftiger. Wie Dauner in den Linernotes schreibt, war das Schützenhaus, ein ehemaliges Vereinsheim, so voll, dass man mit Mühe und Not Platz auf der Bühne fand. "Red Room" sowie "Des'sch Too Much" sind zwei Longtracks, in denen natürlich wesentlich ausgiebiger improvisiert werden konnte. Im letztgenannten Titel trommelt Hiseman ein hervorragendes Drumsolo.
Es gibt auch ein Wiederhören mit Kriegels "Storyboard" von seinem Album Journal. Da kann man Mal sehen, wie eine andere Instrumentierung den Song beeinflussen kann. Auch so macht die Fusion-Nummer richtig Spaß. Dauners "Trans Tanz" wird vom Publikum schon zu Beginn mit Beifall bedacht und diese Nummer ist wirklich großes Kino. Es ist nicht nur wegen seiner Rhythmik das etwas andere Stück auf "Live In Berlin". Nach einem Break groovt der Song durch ganz Berlin.
Das Doppelalbum repräsentiert eine Zeitreise der besonderen Art und ist immer noch höchst aktuell.
Line-up:
Barbara Thompson (flute, saxophone)
Ian Carr (trumpet)
Wolfgang Dauner (piano, clavinett, synthesizer)
Jon Hiseman (drums)
Volker Kriegel (guitar)
Albert Mangelsdorff (trombone)
Charlie Mariano (nagashwaran, saxophone)
Ack Van Rooyen (trumpet, flugelhorn)
Eberhard Weber (bass)
Tracklist |
Live Im Schützenhaus:
01:Circus Gambert (6:01)
02:Hey Day (7:40)
03:Steps Of M.C. Escher (8:39)
04:South Indian Line (7:18)
05:Hypnotic Pignose (4:28)
06:The Love That Cannot Speak Its Name (8:34)
07:Be-Bop Rock (5:13)
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Live In Berlin:
01:Ausgeschlafen (6:45)
02:Red Room (11:30)
03:Storyboard (4:30)
04:Out Of The Long Dark (7:30)
05:Freibad Süd (7:30)
06:Des'sch Too Much (10:22)
07:Simply This (4:00)
08:Trans Tanz (7:00)
09:South Indian Line (8:10)
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Externe Links:
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