»Suddenly, he finds himself between the fronts of two worlds: in the middle of the eternal raging war between heaven and unending darkness ...«
Es tobt der klassische Kampf Gut gegen Böse; mystische Gottheiten buhlen um die Seele eines im Innersten zerrissenen Sterblichen und locken mit Unsterblichkeit. Das ist der Stoff in Wolfgang Hohlbeins Fantasyzyklus "Chronik der Unsterblichen", auf 5000 Seiten. Das war auch der Stoff für die Vanden Plas'sche Rockoper-Version Blutnacht im Pfalztheater Kaiserslautern, mit einer Dauer von drei Stunden. Und zwei Jahre später gibt es das Vanden Plas-Album "Chronicles Of The Immortals - Netherworld [Path One]". 'Path One' ist der 'erste Akt' und dauert circa eine Stunde. Es ist eine Stunde, die sich von der Vorlage ein Stück weiter entfernt, Charaktere bündelt und die Strory verdichtet, um erzählbar zu bleiben. Und es ist eine Stunde, die zweifelsfrei ein Prog Metal-Konzeptalbum ist und damit weit mehr als eine Tonkonserve des Theaterstoffs.
Und doch können sich die "Blutnacht"-Besucher auf ein großes Wiederhören freuen. Die Songs sind jene, die das Trio Lill/ Kuntz/ Werno für das Bühnenstück geschrieben hatte. Bis auf eine Ausnahme: "Son Of Utopia" war eine Red Circuit-'Leihgabe' aus fremder Feder. Dafür entstand mit "New Vampyre" ein brandneues Stück. Die meisten männlichen und weiblichen Stimmen des Theaters werden zu einer, nämlich der von Andy Kuntz - sonst wäre es kaum ein authentisches Vanden Plas-Album geworden. Aus dem Protagonisten Andrej Delany wird ein anonymer Erzähler ... der aber nicht ganz allein bleibt. Mit Julia Steingaß, die schon in der "Blutnacht" Andrejs Angebetete Maria verkörperte, steht auch auf "Chronicles Of The Immortals" eine starke weibliche Stimme an Kuntz' Seite - sie taucht gleich auf mehreren Tracks auf. Auch ein Chor setzt starke Akzente.
So hat man auf der einen Seite wichtige Momente der Rockoper herübergerettet, andererseits wird dieses nunmehr siebente Album der Band dennoch ganz dick mit 'Vanden Plas' unterschrieben. Die Trademarks der Nummer-eins-Prog-Band aus Deutschland werden gepflegt, und zwar ohne Kompromisse für Theaterbesucher; und zahlreiche instrumentale Prog-Verlängerungen, die zuvor nur im Kopf der Komponisten ihre Bahnen gezogen hatten, werden endlich zu Gehör gebracht. Günter Werno und Stephan Lill glänzen mit Doppelsoli und Parallelläufen, Andreas Lill mit bemerkenswerter Detailarbeit; und auch Basser Torsten Reichert hat seine Momente wie beim großen Groove in "Soul Alliance" ... und immer wieder ist es faszinierend, mit welcher Kohäsion Vanden Plas ihre langen Nummern durchkomponieren statt in Stückwerk zu investieren.
Bestes Beispiel ist "The Black Knight" - sicher einer der überzeugendsten Songs der Bandgeschichte. Eine mystisch-spannende Keyboard-Hookline, düster-druckvolles Heavy-Riffing und die Vocals, die bereits in der Strophe vor Energie und Emotion glühen. Power pur. Die Bridge hebt ab, und der Chorus schwebt. Eine packende Dramaturgie: erst dramatisch, dann lyrisch, dann episch, mit einem unheilschwanger pushenden B-Part und herrlich verschachtelten und zugleich doch immer zielstrebigen Prog-Spielereien. »... and the children dancing on their graves - singing«, heißt es; und punktgenau taucht ein Chor auf, der wie ein Kinderchor klingt, aber aus hellen und klaren Frauenstimmen besteht. Dazu die zahlreichen brillant ausgetüftelten Orchestrierungen, ohne dass je zu dick aufgetragen wird - es ist traumhaft gut!
Ein weiteres Glanzlicht komplexer Natur ist das aufwühlende "New Vampyre", das alleine bis zum Refrain schon unglaublich viele energetische Ebenen erlebt; und später zeigt das gedankenversunkene Gitarrensolo, wie ergreifend Vanden Plas auch können, ohne ein Technikfeuerwerk abzubrennen. Noch eine wahrlich 'große' Nummer: "The King And The Children Of Lost World" (hieß im Theater "The Children Of London"). Das kugelrunde, klingenscharfe Riffing macht unglaublich Dampf und Tempo, die Keyboards klingen furchteinflößend. Und der expressive, genial retardierende Chorus ist derart atmosphärisch, expressiv und raumgreifend groß, dass sich um Andy Kuntz herum die Wände in Nichts auflösen würden, hätten Stephan Lill und die Rhythmusabteilung sie nicht zuvor schon gepflegt eingerissen.
Ein amtliches Kraftpaket, randvoll mit Klangdetails und voller kleiner und großer technischer Feinheiten und Großartigkeiten ist auch "Soul Alliance" - noch so ein Beispiel für raffinierte Prog-Kunst und gleichzeitig Hooklines, die hundertprozentig hängen bleiben. Der straighteste 'Brecher' des Albums ist dagegen "Godmaker", ein edles Stück Power Prog Metals - 'Dark Fantasy' mit dämonischer Düsternis und drückendem Double Bass. Streckenweise streifen einem hier und auch bei "The King And The Children Of Lost World" mal Symphony X die Gedanken; bei "The Black Knight" ist es im ausgedehnten Abschnitt zwischen den Refrains dank der Gitarrenarbeit erstaunlicherweise Queensrÿche zu besten Mindcrime-Zeiten, und bei Doppelsoli auch mal Dream Theater, klar ...
... doch alle Vergleiche erübrigen sich stets nur Takte später. Die bestechend gute und niemals überbetonte Orchestrierung, der individuelle Klang der Band, nicht zuletzt auch dank Andys Stimme, und die atmosphärische Komplexität machen Vanden Plas unverwechselbar. Und ein Stück weit 'Theater' hat schon vor der "Blutnacht"-Adaption dazugehört. An mehreren Stellen des Albums - vielleicht etwas mehr als früher, aber nie übertrieben - wird das erneut deutlich, vor allem mit dem bezaubernden und sich ergreifend steigernden Gesangsduett "Misery Affection". Und mit "A Ghosts Requiem", das Julia Steingaß, den Chor und Andy Kuntz gleichermaßen in den Mittelpunkt stellt - sinnlich, elegisch und ein bisschen bombastisch. Interessanterweise hat die Nummer viel von Andy Kuntz' sehr intimem Nebenwerk "Abydos".
Unterm Strich sind es zwar mehr musicalhafte Versatzstücke - und kein einziges Mal sind sie kitschig - die den Weg auf "Chronicles Of The Immortals - Netherworld" gefunden haben. Keinesfalls haben sich Vanden Plas jedoch in ihrem Songwriting kompromittieren lassen. Das hier ist ein Prog Metal-Album mit Fantasy-Konzept, keine Fantasy-Rockoper in Form eines Albums. Ein 'typisches' Vanden Plas-Album plus x, und immer noch klar auf Wolfgang Hohlbeins Ideen basierend. Daher hat der deutsche 'Fantasy-Papst', sehr zum Stolz der Band, für das Booklet auch ein Vorwort verfasst zu dieser verproggt erzählten Zwickmühle zwischen trauerbeladenem Menschendasein und trügerisch-verführerischer Unsterblichkeit:
»... But which is a ghost light, which is true illumination? Who wants to help Andrej and who seeks to deceive and destroy him? He must choose which vision to follow. For in the end the truth lies solely within him.«
"Chronicles Of The Immortals - Netherworld [Path One]" ist ein Pflichtkauf im Prog-Lager von einer Band, die schon lange deutlich mehr als nur selbstbewusst ihr Ding macht, sondern vorneweg ein Genre mitbestimmt. Ist es vielleicht sogar das bislang beste Vanden Plas-Album überhaupt? Nun, falls nicht, dann liegt es nicht an etwaigen eigenen Schwächen, sondern höchstens daran, dass bei dieser Frage u. a. The Seraphic Clockwork noch ein Wörtchen mitzureden hat. Und überhaupt: Die Chroniken sind ja noch nicht zu Ende erzählt - wo 'Path One' ist ...
Line-up:
Andy Kuntz (vocals)
Stephan Lill (guitars)
Günter Werno (keyboards)
Andreas Lill (drums)
Torsten Reichert (bass)
With:
Julia Steingaß (vocals - #4,5,7,8,10)
Manuel Lothschütz, Christian Köbler (backing vocals)
Dave Esser (spoken words)
Sarah Bohnert, Heike Dechert, Julia Hach, Stephan Hugo, Lisana Hunsinger, Christian Köbler, Jutta Mitschke, Ines Pawlowski, Johannes Zimnol (choir)
Tracklist |
01:Vision 1ne (3:52)
02:Vision 2wo - The Black Knight (8:29)
03:Vision 3hree - Godmaker (5:33)
04:Vision 4our - Misery Affection Prelude (1:39)
05:Vision 5ive - A Ghosts Requiem (4:03)
06:Vision 6ix - New Vampyre (6:16)
07:Vision 7even - The King And The Children Of Lost World (7:53)
08:Vision 8ight - Misery Affection (5:17)
09:Vision 9ine - Soul Alliance (6:50)
10:Vision 10n - Inside (6:53)
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