Vanden Plas / The Seraphic Clockwork
The Seraphic Clockwork Spielzeit: 73:11
Medium: CD
Label: Frontiers, 2010
Stil: Prog Metal

Review vom 10.06.2010


Boris Theobald
»Aber Jesus ist nicht den Kreuztod gestorben und niemand hat ihn je verraten. Das ist Ketzerei! Die Apostel haben damals wie eine Wand vor ihm gestanden und ihn beschützt. So steht es in der Bibel.«
Liebhaber schaurig-mysteriöser Vatikan-Thriller aufgepasst - Vanden Plas-Geschichtenschreiber Andy Kuntz könnte mit der Story zum neuesten Konzeptwerk Dan Brown & Co. mal locker den Wind aus den Segeln nehmen. "The Seraphic Clockwork" - 'Das Göttliche Räderwerk' - lässt uns die Geschichte Tios, eines Uhrmachers im Rom des 16. Jahrhunderts miterleben, dessen Schicksal zum Dreh- und Angelpunkt göttlicher Vorhersehung werden soll.
Man stelle sich vor: Jesus ist nicht am Kreuz gestorben und konnte 'die Sünden der Welt' niemals hinwegnehmen, die Menschen (bzw. die Christen - Definitions-/ Glaubenssache!) dadurch nicht 'vom Bösen erlösen'. Und das Böse könnte eines Tages die Weltherrschaft übernehmen ... Tio empfängt die Vision dieser dunklen Zukunft und wird dadurch in einen Jahrtausende alten Kampf zwischen Gut & Böse hineingezogen, erfährt in einer geheimnisvollen, verborgenen Welt tief unter den Katakomben Roms von unerfüllten Prophezeiungen, die sein Weltbild im Innersten erschüttern ... ein Weltbild, das es so nie hätte geben dürfen...
Schon die Story macht klar: "The Seraphic Clockwork" ist mehr als jedes Werk zuvor geprägt von der Theater-Affinität der Band. In den Jahren seit dem letzten Meisterwerk Christ 0 waren Vanden Plas vor allem damit beschäftigt, selbiges und andere Stücke (u.a. die Latein-Oper "Ludus Danielis"; davon stammt der Live-Bonus-Track "Eleyson") auf die Bühnenbretter zu bringen. Eigentlich unglaublich, wie sie unterdessen die Zeit gefunden haben, "The Seraphic Clockwork" zu kreieren, ein bis ins kleinste Detail durchdachtes Epos, das schon jetzt danach schreit, ebenfalls aufgeführt zu werden.
Auch die musikalische Umsetzung ist 'theatralischer' denn je, ohne dabei die Vanden Plas-Trademarks nur annähernd aufzuweichen. Die Songstrukturen auf dem Album scheinen sich dabei von ersten bis zum letzten Track immer komplexer zu entfalten, auszubreiten in Breite und Tiefe. Der Opener "Frequency" kommt mit einem schaurig düsteren ultra-heavy Riff der Marke Symphony X - Paradise Lost daher. Die Bridge baut Spannung bis kurz vorm Zerbersten auf, und dann dieser atmosphärische, hypnotisierend-fesselnde Chorus. Hier erkennt man Vanden Plas unter 100 anderen Bands heraus!
Bei "Scar Of An Angel" wird Andy Kuntz zusätzlich von einer brillanten Gaststimme unterstützt: Charlotte Baumann, die schon auf der Abydos-CD zu hören war, sorgt für einen magischen Moment. Nach ein paar kompakteren Stücken zu Beginn wird spätestens mit Nummer fünf so eine Art 'zweite Stufe' gezündet und es gibt nur noch Stücke zwischen neun und 13 Minuten Länge. "The Final Murder" dürfte Queensrÿche-Kennern heiße und kalte Schauer über den Rücken jagen, erinnert die Entwicklung von spannungsgeladenem Akustik-Intro hin zu cineastisch-dramatischer Power-Atmo doch zuweilen an das große Suite Sister Mary.
Weiter geht es mit Longtracks, die tendenziell ins Schema 'Rock Musical' passen, streckenweise an Abydos erinnern. Mit klassischen Instrumenten angereichert pendeln diese Kompositionen zwischen lyrischen, nachdenklichen Stimmungen und orchestralem Bombast, zwischen Ballade und kompromisslos hartem Heavy Metal. Die Marke 'Rock Musical' hat also nichts mit Weichspüler zu tun, und ebenso wenig mit leicht konsumierbarer Schonkost. Das Gegenteil ist der Fall. "Quicksilver", "Rush Of Silence" und vor allem das finale "On My Way To Jerusalem" gehören mit zu den komplexesten, aufwändigsten und am Schwersten zu entschlüsselnden Kunstwerken, die Vanden Plas jemals zusammengebastelt haben.
Klar gibt es sehr eingängige Hooklines, vor allem in "Rush Of Silence". Bis der Hörer dahin zurückgeführt wird, werden aber außergewöhnlich weite Spnannungsbogen aufgebaut. Nie zuvor wurden dem Hörer mehr immer und immer wieder kurzweilige Hördurchläufe abgerungen, ehe sich die gesamte Tiefgründigkeit der Stücke erschließt. "The Seraphic Clockwork" ist daher auf eine andere Weise genial als "Christ 0", wo sofort eine Hand voll hochklassiger Stücke hängen geblieben sind. Über-Songs der Marke "Wish You Where Here" (Vanden Plas'sches Wortspiel, kein Tippfehler!) sind so spontan nicht auszumachen, dafür besticht das Album in seiner kompositorischen Geschlossenheit und weiß über einen langen Zeitraum viele neue Facetten preiszugeben.
Technisch bewegt man sich auch dieses Mal wieder auf einem famosen Level knapp unterhalb der Decke, mit gekonnt unaufdringlichen, aber wirkungsvollen Rhythmus- und Tempowechseln (genial: der retardierende Refrain bei "Sound Of Blood"), tighten Parallelläufen, genau dort, wo es die Dramatik der Stücke nochmals befeuert, und natürlich einer ganzen Reihe reiner Instrumental-Exerzizien. Bemerkenswert sind unter anderem das an Kansas erinnernde Doppelsolo aus Keyboard und Gitarre in "Frequency" und die gut zweieinhalbminütige Instrumentalpassage in "Sound Of Blood" mit aufwühlenden musikalischen Stimmungsschwankungen. Inklusive ein paar für Vanden Plas ungewönlicher neo-barocker Harmonien und Cembalo-Klängen.
Noch ungewöhnlicher sind manche der vielen Gesichter des Schluss-Epos "On My Way To Jerusalem", das mit teils rhapsodischer Anmutung daherkommt - ein sperriges Stück Musik, an dem man sich so schnell nicht satthören kann und das im letzten 'Akt' der Geschichte gipfelt, dem erlösenden Judaskuss, der Gottes Wille wieder herstellt. "The Seraphic Clockwork" ist eine musikalisch meisterhafte Inszenierung anspruchsvoller Kost. Die Storyline zu verstehen, bedarf es schon der 'Libretto'-Lektüre, die eine mit Fantasie und Verstand durchdachte Geschichte offenbart - vielleicht das Beeindruckendste, was Andy Kuntz bis dato zu Papier gebracht hat. Man darf also gespannt sein, wann "The Seraphic Clockwork" - 'Das Göttliche Räderwerk' - zur Aufführung kommt. Die Frage sollte wirklich nur 'wann' sein, nicht 'ob'.
»Diese Schriften hier, in denen du gelesen hast, wurden versteckt, da sie eine Wahrheit verkünden, die sich so nie erfüllt hat. Du hast Recht - Jesus ist nicht am Kreuz gestorben. [...] Jedoch sollte genau dies die gottgewollte Bestimmung sein. Denn wäre Jesus den Opfertod für die Menschheit gestorben, so wäre der Tod für uns alle nicht das Ende - nicht das unbeschreiblich, unabwendbare Böse, so wie wir ihn erfahren. Wir dürften also auf ein Leben nach dem Tod hoffen.«
Line-up:
Andy Kuntz (vocals)
Stephan Lill (guitar)
Günter Werno (keyboard)
Torsten Reichert (bass)
Andreas Lill (drums)

Gueast musician:
Charlotte Baumann (vocals - #3)
Tracklist
01:Frequency (6:18)
02:Holes In The Sky (5:34)
03:Scar Of An Angel (7:30)
04:Sound Of Blood (6:51)
05:The Final Murder (9:55)
06:Quicksilver (9:01)
07:Rush of Silence (9:29)
08:On My Way To Jerusalem (12:54)
09:Eleyson [Bonus Track] (5:32)
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