Was macht ein - zugegeben etwas despektierlich beschrieben - in die Jahre gekommener, gesundheitlich seit langem angeschlagener Musiker, um trotz mangelnder neuer Ideen nochmals auf sich aufmerksam zu machen? Er geht 'Back to the roots' und besinnt sich seiner musikalischen Vergangenheit, indem er genretypische Klassiker, die einst seine Vorbilder zum Besten gegeben haben, nunmehr selbst einspielt. Am besten bedient er sich zudem namhafter Begleitmusiker, denen bei den einzelnen Songs eine hervorgehobene Rolle zuerkannt wird.
Genau diesen Weg ist Johnny Winter mit dem vorliegenden Album "Roots" gegangen: Elf altbekannte Blues-Standards, 'featuring' eine ebensolche Zahl namhafter Kollegen, und schon wird ein Album daraus, das im Plattenladen meines Vertrauens, Mr. Music in Bonn, mit einem 'Chef-Tipp' die Auslagen ziert. So etwas lasse ich natürlich nicht links liegen. Zugleich werden bei mir Erwartungen geweckt, die - ich kann es vorwegnehmen - nicht enttäuscht werden.
In den USA ist die Platte bereits im März dieses Jahres veröffentlicht worden. Wieso sie hierzulande erst seit Anfang Oktober erhältlich ist, erschließt sich mir nicht; vielleicht hat man - wie anderswo auch - das VÖ-Datum mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft in den Herbst gelegt; sei's drum!
Die Erwartungen an die vorliegende CD darf man natürlich nicht zu hoch stecken. Hier wird der Blues nicht neu erfunden, und auch die Kombinationen mit den unterschiedlichen Begleitern sind weder neu noch irgendwie sensationell. Herausgekommen ist jedoch ein Album, das eine erfrischende musikalische Vielfalt präsentiert: flotte, groovige Songs, ruhigere, besinnliche Tracks und - gerade durch die Gastmusiker veranlasst - trotz genretypischer Gemeinsamkeiten stilistisch sehr unterschiedlich.
Natürlich lässt es sich der Protagonist nicht nehmen - soweit der Gastmusiker ebenfalls den 6-Saiter bedient - für das '1st Solo' verantwortlich zu zeichnen und den Kollegen zunächst nur die 'fills' bzw. das '2nd Solo' zuzuweisen; dennoch bekommen sie ausreichend Gelegenheit, die ihnen zugewiesene 'Hauptrolle' zu spielen. Denn ansonsten nimmt sich Johnny Winter durchaus zurück, und das ist - ohne deshalb seine musikalische Leistung schmälern zu wollen - gut so!
Um direkt mit einer Kritik einzusteigen: Leider enthält die CD kaum weitergehende Informationen. Lediglich die einzelnen Titel werden aufgeführt unter Angabe der sie interpretierenden Musiker. Dass die Laufzeit der Tracks nicht angegeben ist - geschenkt! Aber Angaben zu den Komponisten bzw. Erstinterpreten bzw. nähere Informationen darüber, wieso gerade diese Songs so wichtig für Johnny Winter sind, dass sie auf einem 'Roots'-Album Eingang finden, wären schon sinnvoll gewesen.
Dass der Starter (komponiert von T-Bone Walker ) so richtig shuffelig daherkommt, versteht sich bei dessen Titel ja von selbst. Sonny Landreth lässt hier mal wieder seine 'Voodoo-Gitarre'
aufheulen - das fängt ja gut an! Stilistisch ähnlich folgt "Further On Up The Road": Wer denkt da nicht sofort an die zahlreichen Einspielungen des Songs durch Eric Clapton, nicht zuletzt zusammen mit Joe Bonamassas Live From The Royal Albert Hall, zumal der Gesang Johnny Winters hier durchaus Ähnlichkeiten aufweist.
Mit dem ersten Aufheulen der jaulenden Gitarre weiß man, wer bei "Done Somebody Wrong" mit dabei ist. Niemand anderes als Gov't Mule-Axeman Warren Haynes gibt sich die Ehre. Und da hat sich Johnny Winter genau den Richtigen geholt, hat dieser doch den Song bereits mit den Allman Brothers gespielt. Bemerkenswert ist zudem der Gesang Johnny Winters, erinnert dieser doch stark an Rory Gallagher (obwohl dieser den Song m.W. nicht gespielt hat).
Und wenn selbst unmittelbar aufeinander folgende Aufnahmen, die aufgrund der gästeweisen Unterstützung durch jeweils einen Harmonica-Spieler eine gewisse Gleichtönigkeit erwarten lassen, so unterschiedlich daherkommen wie vorliegend "Got My Mojo Workin'" und "Last Night", dann ist das schon große Klasse! Das liegt zum einen an der Unterschiedlichkeit der Songs selbst (der erste stark Drums-getrieben, rhythmisch flott, der zweite ein klassischer Slow-Blues), zum anderen insbesondere an dem genialen Harp-Stil John Poppers, der dem zweiten Song das richtige Blues-Feeling mit auf den Weg gibt.
Das insbesondere durch Chuck Berry bekannt gewordene "Maybellene" wird als klassischer, flotter Rock'n'Roll dargeboten; Vince Gill gibt dem Track mit seinen Beiträgen einen gewissen Country-Touch. Dennoch: Für mich wäre dieser Song hier nicht nötig gewesen, aber zum Glück ist er mit der (vorliegend kürzesten) Spielzeit von unter drei Minuten schnell vorbei.
Weitere Abwechslung bringt "Bright Lights, Big City" mit dem einzigen weiblichen Gaststar Susan Tedeschi. Das Original von Jimmy Reed vor exakt 50 Jahren war als Sologesang angelegt, den lediglich eine zweite Stimme im Hintergrund ergänzte. Ähnlich haben auch Omar Kent Dykes & Jimmy Vaughan den Song bereits im Jahr 2007 On The Jimmy Reed Highway interpretiert. Susan Tedeschi gibt sich - neben ihren Gitarrenparts - mit einer nachgeordneten Rolle vokalistisch nicht zufrieden, sondern singt hier als gleichberechtigte Partnerin im Duett mit Johnny Winter . Das bietet einen guten Kontrast und bekommt dem Song wirklich gut.
Und endlich kommt auch Johnnys Bruder Edgar, mit dem er über Jahre hinweg zusammengespielt hat, in gewohnter Manier zu Wort, nämlich mit eindringlichem Saxofon-Spiel. Zunächst nur mit eingeworfenen Fills, übernimmt er nach dem ersten Gitarren-Solo die Stimme - das allerdings im übertragenen Sinne, denn das Stück ist das einzige Instrumental auf der CD. Wo Tedeschi drauf ist, darf natürlich Trucks nicht fehlen! Und so slidet der Ehemann einen der meistgecoverten Blues-Songs nicht nur ein, sondern begibt sich in ein Duell mit dem hier ebenfalls slidenden Johnny Winter, dass es eine wahre Freude macht zuzuhören.
Bei "Short Fat Fannie" übernimmt schließlich Paul Nelson die Hauptrolle, der den Protagonisten seit langem - wie auch vorliegend - produziert und zudem auch in der ständigen Begleitband die Gitarren zupft. Als weiterer Gastmusiker wird hier noch Joe Meo mit dem Bariton-Saxophon vermerkt, doch der hält sich leider (zu) sehr im Hintergrund.
Den Abschluss der vorliegenden CD bildet der Slow-Blues "Come Back Baby", eine über 70 Jahre alte Komposition (und Ersteinspielung) von Walter Davis, die aber in erster Linie durch Ray Charles bekannt wurde. Und ähnlich wie dieser röhrt Johnny Winter den Gesangspart heraus. Wirklich erstaunlich, was er diesbezüglich noch zu leisten imstande ist. Und auch sein Solo-Spiel ist wirklich nicht von schlechten Eltern. Musikalisch geprägt wird der Song hier weniger durch den als 'Hauptdarsteller' angegebenen John Medeski (obwohl dieser eine herrliche Schweineorgel spielt) als vielmehr durch starkes Gebläse (wiederum durch Joe Meo [ »all saxes «] sowie Don Harris als [wirklichen einzigen?] Trompeter). Mit dieser Zusammenarbeit ist wirkliches Gänsehaut-Feeling angesagt; der längste Song der CD ist mein eindeutiger Anspiel-Tipp.
Und insgesamt? Ob man die - gefühlte - 99. Einspielung von "Maybellene" oder auch "Dust My Broom" tatsächlich braucht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Das Gleiche gilt auch für die Frage, ob man die CD für würdig befindet, in die lange Reihe der Klasse-Scheiben von Johnny Winter aufgenommen zu werden. Ich jedenfalls freue mich darüber - unabhängig von der Frage, wer denn hier die Hauptrolle spielt - nach langer Zeit wieder ein Lebenszeichen von ihm bekommen zu haben und etwas Neues von ihm zu hören (auch wenn es halt alte Songs sind). Das Ganze ist gut arrangiert und klanglich hervorragend produziert. Daher bedanke mich ausdrücklich bei 'Mr. Music' Bernd für seinen Tipp, den ich hiermit gerne weitergebe.
Line-up:
Johnny Winter (vocals, guitar)
Paul Nelson (guitar, all rhythm guitars)
Mike DiMeo (organ, piano)
Scott Spray (bass)
Vito Liuzi (drums)
(die Gastmusiker sind im Review angegeben)
Tracklist |
01:T-Bone Shuffle (4:54)
02:Further On Up The Road (4:19)
03:Done Somebody Wrong (4:47)
04:Got My Mojo Workin' (5:10)
05:Last Night (5:47)
06:Maybellene (2:49)
07:Bright Lights, Big City (4:28)
08:Honky Tonk (3:43)
09:Dust My Broom (6:03)
10:Short Fat Fannie (4:07)
11:Come Back Baby (6:29)
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