Eine Biografie über Tom Waits zu schreiben ist offensichtlich so vergnüglich, wie einem Stinktier Locken in den Schwanz zu brennen. Jedenfalls hält der Autor dieses über 700 Seiten umfassenden Wälzers erstmal einen ellenlangen Prolog, in dem er ausführlich die Schwierigkeiten dieses Unterfangens schildert. Der streitbare Waits ist nicht nur gegen jede Darstellung seines Privatlebens, sondern behindert auch aktiv die Nachforschungen dazu.
Der Kalifornier schottet sich von Karrierebeginn an konsequent vor der Öffentlichkeit ab, konstruiert dafür als Alter Ego den saufenden Underdog, fabuliert bei Interviews, führt bewusst in die Irre und belegt auch sein Umfeld mit einem restriktiven Schweigegebot. Wer das missachtet, wird vom Antistar und seinem Stab gnadenlos verstoßen. Dass es trotzdem genug 'Zeitzeugen' gibt, die mehr oder weniger bereitwillig über ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Unnahbaren reden, zeigt sich an der enormen Stoffsammlung, die der renommierte britische Rock-Schreiber Barney Hoskyns in jahrelanger Recherche zusammengetragen hat. Zwei Jahre dauerte die eigentliche Arbeit, allerdings ist er schon viel länger beruflich auf den Spuren des skurrilen Sängers, Multiinstrumentalisten, Komponisten, Bühnen-Autors und Schauspielers und hat deshalb genügend eigene Erfahrung, um die jeweiligen Aussagen verifizieren zu können.
Dass sein Versuch, trotz aller Restriktionen, eine möglichst objektive Haltung im Sinne des Vorhabens zu behalten, nicht ganz gelingen wird, war ihm aber auch klar. Vor allem mit der Ehefrau und Co-Autorin Kathleen Brennan hat er so seine Probleme, die er nicht immer verhehlen kann. Hoskyns stellt sich auch durchaus die Frage, ob er das Recht hat, im Leben eines Anderen herumzuschnüffeln, selbst wenn der professionell im Rampenlicht steht. Zu welcher Antwort er kam, ist ja offensichtlich. Und im Sinne des Musikfans, der nicht nur die selbstgeschaffene 'Kunstfigur' Tom Waits erleben, sondern mehr über den eigentlichen Menschen, gerade weil er so ein unangepasster, kauziger und äußerst kreativer ist, erfahren möchte, gehen wir damit konform.
Warum sich Waits nicht porträtieren lassen will, darüber gibt er in einem lesenswerten Interview mit dem ZEITmagazin vom Dezember 2009 eine Antwort:
»Die Autoren sind oft Leute, zu denen ich gar keine Beziehung habe und mit denen ich nicht übereinstimme. Es ist so, als ob man stirbt, und der Pfarrer, der die Trauerrede hält, hat einen noch nie getroffen.«
Ob er damit auch Barney Hoskyns meint, bleibt offen, ist jedoch aus seiner generellen Grundeinstellung heraus anzunehmen. Das Buch bewegt sich chronologisch durch den Werdegang. Auch wenn es dank der Verschleierungstaktik Waits' die tatsächliche Lebensgeschichte nicht komplett durchleuchten kann, wird diese dank der Begleiter ausführlich erzählt (oft auch unnötig langatmig) und belegt. Darüber hinaus und das macht das Werk wirklich interessant, bietet es umfassende und für das Verständnis des Waits'schen Gesamtkunstwerks sehr aufschlussreiche Einblicke in jede einzelne der bis 2006 offiziellen Platten- und sonstigen Produktionen. Dazu jede Menge Details über die jeweilige Mannschaft und Geschichten aus dem Umfeld obendrein. Ergänzt wird der Erzählteil u.a. von einem über 50-seitigen Sachanhang, einer kompletten Werkschau und einer persönlichen Top 40 Hoskyns' der Waits-Songs.
Die reale Person bleibt wohl weiter diffus, aber seine Arbeit, seine Arbeitsweise und auch seine Rolle als extravaganter Künstler werden nachvollziehbar porträtiert und das birgt wohl selbst für die ausgesprochenen Fans viel Neues. Waits lässt sich nicht wirklich fassen, aber Hoskyns kommt ihm schon sehr nahe. Zumindest hat man als Leser den Eindruck.
Zu den Interviewpartnern zählen Kollegen, frühere Mitmusiker, Produzenten, Arbeitgeber, ... eine ganze Reihe von bekannten, darunter Jack Tempchin, David Geffen oder Herb Cohen. Andere, wie die Regisseure Jim Jarmusch oder Francis Ford Coppola, in deren Filmen Waits mitspielte, werden aus dritten Quellen zitiert. Der Autor hat selbst als Musikredakteur für verschiedene große Magazine mit Waits Gespräche geführt.
Hoskyns ist seiner Rolle als trotz aller Widerborstigkeiten des Waits-Umfeldes möglichst akribischer und authentischer Biograf gerecht geworden und hat mit vielen Belegen und Zeugen seine Recherchen untermauert (wohl auch um gegen Rechtsstreitigkeiten gewappnet zu sein). Dass darunter mitunter der Lesefluss leidet und das Buch schon allein wegen seines Umfangs kaum als Unterhaltungslektüre für die kleine Auszeit geeignet ist, sollte nicht überraschen. Dennoch ist es über weite Strecken unterhaltsam und insgesamt sicher eine der besten (unautorisierten) Rock-Biografien auf dem Markt - für Waits-Fans sowieso eine Pflichtanschaffung.
An der Aufmachung lässt sich die mäßige Bildqualität bemängeln, auch der Titel für die deutsche Ausgabe ist nicht unbedingt treffend übertragen (womit das Bühnen-Loser-Image weiter forciert wird, was Waits sicher gefallen wird). Ansonsten wirkt die Vorlage gut übersetzt und sorgfältig redigiert. Bereits im Mai soll eine Taschenbuchausgabe erscheinen.
Und was gibt es Neues vom Maestro selbst, der am 7. Dezember 2009 Sechzig wurde? Auf musikalischem Gebiet relativ wenig. Nach der Zusammenstellung seiner "Orphans: Brawlers, Bawlers & Bastards" aus früheren Jahren folgte das Live-Album Glitter And Doom Live dazu kündigt er auf seiner Homepage ein neues Musical mit noch unbekanntem Titel an, das im nächsten Jahr in Paris Premiere haben soll. Dafür dürfen sich die Kino-Besucher freuen. In dem Terry Gilliam-Film "Das Kabinett des Dr. Parnassus" (angelaufen Anfang Januar) spielt Waits eine ihm nach eigenem Bekunden sehr vertraute Rolle: die des Verführers, des Täuschers - des Teufels.
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