Zugegeben, ich bin einer dieser von meinem sehr geschätzten Kollegen Moritz zitierten Spießer, die auf den Pussy-Metal von Winger und Konsorten gestanden haben, immer schon, irgendwie. Zwar waren im subjektiven Empfinden die Scheiben auch alle immer mit einigen Tiefen ausgestattet, aber grundsätzlich gefiel mir das sehr, tut es immer noch. Und ja, auch ich fand die 2009-er "Karma" geil. Kaum zu glauben, dass der Release schon wieder fünf Jahre her ist.
Umso mehr freute ich mich über die Ankündigung eines neuen Rundlings von Kip & Co., der nun auch seit kurzer Zeit käuflich zu erwerben ist. Gespannt konnte man ja durchaus sein, ob die Band denn den Streifen im Stil ihres letzten Albums weiter machen würde oder, ob es eine Rückkehr zum weniger harten Rock der früheren Jahre geben würde. Lasst mich mal eine kleine Einschätzung vorweg nehmen: ja und nein.
Ich weiß, ich weiß, eine Frage mit 'oder' kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten. In diesem Fall jedoch ist das Ja durchaus berechtigt, denn es gibt ein paar dieser härteren Tracks. Direkt der Opener, "Midnight Driver Of A Love Machine", haut voll in die Kerbe, als unsere Band noch ganze Arenen füllen konnte. Allein der Songtitel spricht ja schon Bände und wir müssen nicht näher auf den Inhalt eingehen.
"Queen Babylon" überzeugt den Rezensenten schon bei ersten Spin. Da passt erneut alles zusammen, coole Melodieführung, feines Riffing (überhaupt ist diese Gitarrenarbeit mal wieder vorzüglich) und eingängiger Gesang. Aber es kommt noch besser: "Rat Race" treibt unglaublich nach vorne, die Rhythmusabteilung, speziell Rod Morgenstein (u. a. Dixie Dregs), tut ihre Arbeit mit Hingabe und lässt kaum Zeit zum Verschnaufen. Unterstützt wird das von abermals überzeugenden Läufen auf der (den) Sechssaitern. Zudem kann der gute Kip auch mit über fünfzig Lenzen auf dem Buckel seine Stimmbänder immer noch eindrücklich in Schwingungen versetzen.
Der Titelsong teilt mich dann erstmals in zwei Fraktionen: Während die instrumentale Arbeit richtig auf den Punkt geht, lässt der mehrstimmige Gesang mit dem dutzendfach wiederholten Refrain meine Assoziationen in Richtung 'happy clappy people' in einer farbigen Kirchengemeinde wandern. Okay, weiter im Text…und es wird proggig! Yep, richtig gelesen, und so schließt sich der Kreis zum oben genannten Nein. Die Sounds, die uns nämlich bei "Tin Soldier" geboten werden, hätten auch bei Kollegen eines anderen Genres entstehen können - sehr komplex und überzeugend arrangiert, eine mögliche Fortführung dessen, was sich schon auf IV angedeutet hatte.
”Ever Wonder” ist eine softe Pop Rock-Ballade, "So Long China” zieht das Tempo wieder an und überzeugt mit einem tollen Riffing und vor allen Dingen dem Gesang, der einem Zwanzigjährigen gut zu Gesicht stehen würde - Hut ab. "Storm In Me" vermag mit Soundeffekten im Vokalbereich und einer ansonsten etwas rohen Instrumentierung erneut zu überzeugen und bei "Be Who You Are, Now" dürfen noch einmal die Feuerzeuge geschwenkt werden, gaaaanz langsam. Der Rausschmeißer, "Out Of This World", präsentiert sich als überzeugende Power-Ballade, die ein weiteres, letztes Mal ganz ausgiebig mit toller Gitarrenarbeit aufwarten kann.
Hart? Ja. Soft? Ja. Langweilig? Nein, nie! Winger 2014 machen nicht den Fehler, krampfhaft an alten Zöpfen festzuhalten, sondern sie beweisen den Mut, selbstverständlich mit der notwendigen gekonnten technischen Finesse, ein abwechslungsreiches Hard Rock-Album zu schmieden, das in nahezu allen Belangen zu überzeugen weiß. Sollen wir den Albumtitel als gutes Omen würdigen?
Muss ich unbedingt mal wieder live sehen!
Line-up:
Kip Winger (vocals, bass)
Reb Beach (guitars)
John Roth (guitars)
Rod Morgenstein (drums)
Tracklist |
01:Midnight Driver Of A Love Machine
02:Queen Babylon
03:Rat Race
04:Better Days Comin'
05:Tin Soldier
06:Ever Wonder
07:So Long China
08:Storm In Me
09:Be Who You Are, Now
10:Out Of This World
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