»Die Zeit, die alte Sau! Von Jahr zu Jahr rinnt sie mir schneller durch die Finger.«
Tja lieber Dirk, wem sagst du das.
Im Juni 2012 begeht Dirk Zöllner seinen 50. Geburtstag. Zeit, um Rückschau zu halten und endlich ein Buch über seine bewegte Lebensgeschichte aufzuschreiben, auch wenn das Leben mit 50 noch lange nicht zu Ende ist, im Gegenteil, man in der Blüte des Lebens steht.
Wie schnell jedoch das bisschen Leben zu Ende sein kann zeigt der Prolog in seiner Biografie, den Zöllner zum Tod seines Freundes, dem Gitarristen und Produzenten Thomas Maser geschrieben hat. Er starb im April 2011 an Krebs, gerade mal 41 Jahre alt geworden.
»Die Religion meines Vaters ist ein kunterbunter Mix aus Rudimenten. Bisschen Marx und bisschen Lenin, ein wenig Jesus und paar andere Volksweisheiten. Gern zitiert er Limericks und Liedtexte. Alles im Dienste seines eigenen Herzens, das die Größe eines ausgewachsenen Schnitzels hat.«
Als ich die ersten Zeilen zur Biografie las, war mir sofort klar, hier wirst du deinen Spaß haben. Dieser begnadete Musiker und Autor kann wunderbar mit Worten umgehen, er versteht es von Anfang an amüsant zu schreiben und damit seine Leserschaft zu fesseln. Ob es nun um sein Faible für Musik geht, ob über seine Frauengeschichten, die Politik oder sonstige Anekdoten und Anekdötchen.
Dirk Zöllner, am 13. Juni 1962 geboren und im östlichen Teil Berlins aufgewachsen, hat natürlich von Anfang an den DDR-Alltag miterlebt. Jedes Detail, seien es nun die 60er-Jahre-Neubaublöcke, die Erlebnisse mit den Offizierssöhnchen der Roten Armee, die sogenannten 'Russenmagazine', das Leben auf dem Lande im Spreewald mit Plumpsklo, der Einzug zur 'Fahne' (Nationale Volksarmee) und die dortigen, oftmals völlig sinnlosen Befehle, "Der schwarze Kanal" mit 'Sudel-Ede', das alles kommt einem ehemaligen Ostkind wie mir doch sehr bekannt vor. Somit entstehen Bilder aus einer 'längst vergangenen Zeit' vor meinem geistigen Auge, die man fast selber schon vergessen hat (sag mal Dirk, trug Deine Oma auch immer die wunderschönen, bunten Dederon-Kittelschürzen?).
Zöllner vergisst dabei auch nicht die oftmals unangenehmen Dinge des Alltags, denn natürlich bekommt es auch ein Musiker schon mal mit Mielkes 'Horch und Guck'-Truppe zu tun, wenn er sich nicht entsprechend DDR-konform verhält.
Dirk Zöllner hat sich schon von klein auf der Musik verschrieben, er wusste, für ihn gab es nur eins: Er wollte Musiker werden. Kein leichtes Unterfangen in der ehemaligen DDR. Denn den Ausweis für Berufsmusiker musste man sich hart verdienen. Am ehesten bekam man das begehrte Teil nach einer Ausbildung an der Staatlichen Musikhochschule.
Und wie kam Zöllner zur Musik? Bands wie The Sweet, Gary Glitter, Suzi Quatro, aber auch Udo Lindenberg standen bei Klein- Dirk und dessen Freunden hoch im Kurs. Da Gitarren das »Männlichkeitssymbol schlechthin« sind, musste eine Gitarre her. Opa wusste Rat und baute eine aus Sperrholz. Denn mit einer Gitarre in der Hand kann man bei den Mädels punkten. Und da die Klassenschönste auf The Sweet stand, wurde die erste eigene 'Band' logischerweise eine Sweet-Karaoke-Band. Später dann, als er zur Armee eingezogen wurde, gründete man die Band Saumässig. Nach der Entlassung von der 'Fahne' wurde Chicorée ins Leben gerufen. Mit Chicorée gab es sogar Aufnahmen für den Rundfunk der DDR sowie eine Spielerlaubnis, was bedeutet, dass man öffentlich vor größerem Publikum auftreten konnte. Nach dem vom Staat auferlegten Musikstudium folgte die Einstufung zum Profimusiker. Auftritte im In- und sozialistischen Ausland waren somit möglich. Chicorée war jedoch irgendwann ausgebrannt, was natürlich zu Verstimmungen innerhalb der Band und zu deren Auflösung führte. Die Geburtsstunde der Band Die Zöllner nahte. Und der umtriebige Namensgeber spielte nicht nur auf einer, sondern auf 'mehreren Hochzeiten': Er ging mit André Herzberg ( Pankow) und Dirk Michaelis ( Karussell) auf DreiHIGHligentour, spielte im Projekt Club der toten Dichter (hier wurden Gedichte von Heinrich Heine vertont), und bekam sogar die Rolle des Jesus in der Rockoper "Jesus Christ Superstar" von Andrew Lloyd Webber. Außerdem gründete er sein eigenes Plattenlabel ZuG-Records.
Begegnungen mit Musikern der damaligen DDR-Szene (u.a. mit der unvergesslichen Tamara Danz von Silly) und nach der Wende mit Musikern aus dem 'Westen' waren natürlich vorprogrammiert. Sogar sein Traum, den großartigen Udo Lindenberg einmal persönlich zu treffen, sollte in Erfüllung gehen.
Sein Leben genießt Dirk Zöllner aber nicht nur in musikalischer Hinsicht in vollen Zügen, nein auch der Damenwelt ist er ganz offensichtlich höchst zugetan. Er liebt die Musik, er liebt die Frauen, beides mit Hingabe bis zur völligen Erschöpfung. Kein schlechtes Wort ist über die von ihm dereinst geliebten Damen zu lesen, selbst dann nicht, wenn auch ab und zu mal zwischen den Zeilen etwas von privatem Krieg und Eifersüchteleien zu lesen ist, im Gegenteil.
Seine aktuelle Frau wird sogar liebevoll als 'Muse' bezeichnet.
Dieses Buch bietet einen großartigen Einblick sowohl in die damalige als auch heutige Musikszene, gerade im östlichen Teil Deutschlands, denn viele Bands mussten sich nach der Wende völlig neu orientieren. Ungeschminkt mit klaren Worten, so wie ihm der Schnabel gewachsen ist, 'erzählt' Dirk Zöllner über Erfolg und Misserfolg, über Absturz und sich Wiederfinden, denn es war und ist nicht alles eitel Sonnenschein hinter den musikalischen Kulissen.
Natürlich wird auch die Zeit des gesellschaftlichen Auf- und Umbruchs in den Achtzigern bis zur Wende nicht ausgespart und Dirk macht keinen Hehl aus seiner Sicht der Dinge.
Gewürzt ist das Buch mit vielen lustigen Anekdoten, die mir vor Lachen die Tränen in die Augen getrieben haben. Zum Beispiel der erste 'The Sweet-Gig'. Bewaffnet mit Plastik-Mikrofon, Sofakissen die zum Drum umfunktioniert worden sind und 'aufgeheizt' durch Hagebuttenwein wurde im heimischen Wohnzimmer ordentlich abgerockt, bis der Nachbar Alarm schlug.
Aber auch die ersten Cannabiserfahrungen oder die Episode, als er im 'Adamskostüm' über den Balkon des Nachbarn klettert weil er sich ausgesperrt hat und dieser Dirks nackten Hintern vorbeihuschen sieht, reizen die Lachmuskeln.
Seit Lemmys Biografie endlich mal wieder ein Buch, dass man nur ungern aus der Hand legt, weil es sich flüssig, lustig und unkompliziert liest und nicht nur eine stoische Abhandlung von Jahreszahlen ist. Alles in allem eine wunderbare Lektüre, nicht nur für ehemalige Ostkinder.
Dicke Kaufempfehlung!
Externe Links:
|