Rettungsschirme für Saure Gurken!
Gern hätten wir uns diesen Medien-Sommer samt seiner alljährlich wiederkehrenden sowie hanebüchenen Begleiterscheinungen etwas anders erwünscht. Angesichts der Konfrontation mit menschgemachter Wirklichkeit und einer sich scheinbar an deren hässlichen Fratze voyeuristisch-weitenden Medienlandschaft, erflehten wir uns händeringend unseren Couch-Potato-Seelenfrieden nebst den ansonst üblichen Saure-Gurken-Zutaten.
Wer sich keine budgetsprengenden Gnadenwochen seiner Dienstherren und Realitätsflüchte in fernste Strandkolonien leisten vermochte, versuchte sich im vermeintlich blechernen Lindwurm am Autobahnbaustellen-Hopping, strebte als völlender Grill-Gladiator in seine Grünparzelle oder allenfalls zur volksnahen Biergarten-Kampfsitzung. In der Hoffnung seinen Termine sowie problemeverschleißten Geist zu reseten, rast jedoch diese dringlichst herbeigesehnte Jahreszeit am gehetzten Bürger ständig vorbei, halten mobile Daddelbüros und vom eigenem Ego befeuerte Projekte diesen im Überforderungsmodus.
Tauchte unsere rar gesäte Sommersonne auch all die zunehmend religiös-bekloppten und friedensbedrohenden Flächenbrände, zudem noch Knarren-Pakete 'Made In Germany' samt gelegentlicher Betroffenheits-Zuckungen in ein schönmalerisches Tageslicht, so gab es kein Entrinnen. Umso säuerlicher das Bäuerchen, wenn es der medialen Sommerloch-Berieselung inklusive seiner erlebnisorientierten Nebensächlichkeiten immerfort gelingt, den in unserem Geist wohnenden Realitätssinn garantiert und mehr als nur einen gefühlten Wimpernschlag lang kurzzuschließen. Zuverlässige Sommer-Komponenten unserer ach so bunten digitalen Weltenschau, wie selbstdarstellerische Eiskübel-Spielchen sowie sacknäsische Eigengesicht-Fotografen, ferner noch tonnenweise Silikon-Möpse unter alltagsuntauglichen Sponsorenfummel und Privatfernsehens nächtliche Schlüpfrigkeiten für masturbierfreudige Zielgruppen, propagierten oberflächenpolierte Sehnsuchts-Schablonen, jedoch auch akuten Hirnfraß als bedrohlichere Seuche.
Aber angesichts totalitärer Digitalisierung, klassenspaltender Zuckerbrot-und-Peitschen-Politik, zudem immer rasanter rotierender Casinokugeln verwegener Investment-Dagoberts, bieten uns Jahrzehnte bewährte sowie ungebeugte Oasen für unsere Seelen und Hüllen, nachhaltige Zuflucht. So verbindet Musik, als Jahrtausende-gereifte Kunst 'organisierter Schallereignisse' sowie grenzenloser Ausdrucksformen, und ihre quasi universelle Schlüsselposition im menschlichen Gefühls-Wirrwarr, sowohl den dauerbekifften Totalverweigerer oder die Yogamatten-verknotete Filzträgerin in den Wechseljahren, als auch den Maßanzug-uniformierten Bürostreber oder Schlabberhosen gezierten Kauderwelscher mit Migrationshintergrund gleichermaßen. Mit den Kräften der musischen Glücksdroge und deren emotionsbeschleunigenden Nebenwirkungen schlossen schon Generationen ihren Frieden, begleiteten aufrüttelnde Hymnen historisch gewichtige Veränderungen, versteinerten zu geballten Fäusten in ihrer Zeit.
Erscheint unserer rundum-vernetzten und in imaginären Freundeskreisen verkehrenden Jugend ein 69er 'Sommer der Liebe' heutzutage als ergraute Comedy, glauben unsereins an das Gute, umkrampfen unsere Arthrosefinger sehnsuchtsvoll die einst erkämpften Friedenszeichen und gemeinsamen Ideale. Als Gegenzug vorgekauter Jubelfeiern für überbezahlte Gaucho-Knacker, tummelten sich glücklicherweise auch diesen Sommer wieder Tausende auf schlammigen Woodstock-Gedächtnis-Festen sowie gut durchgehärteten Kollektiv-Schlachten oder übten, wie in der weiten Wüste Nevadas, eigene Lebensutopien und wahrhaftige WIR-Gefühle.
Noch umso besser, wenn uns unsterblich erscheinende Musik-Methusalems wie der einst begehrteste Rock-Starschnitt mannstoller Jägerinnen und heute nicht gänzlich Gesichts-knitterfreie Robert Plant, mit seiner Verbrüderung ausgefeilter Folk Rock-Melangen sowie von fernöstlichem Rauchzeug vernebelter Rhythmen und Buschlauten, zuverlässige Konstanten zu unserem endlichkeitsverdrängenden Alltagskrämpfen abliefern.
Zahlreiche vom erwachsenen Misstrauen und Ängsten geplagte Individuen salbten ihre strapazierten Seelen mit Sicherheit mittels fleischgewordener Unterleibsvibratoren und wundenpflegender Sinnstiftungen aus Leonard Cohens neuestem Liederreigen, und gedachten einem bescheidenen Achtzigjährigen ein hoffnungsspendendes "Hallelujah". Als wohl gegenwärtlich eindringlichstes Vermächtnis, und gleichwohl ehrwürdiges Testament bluesbetriebenen Lebenswillens, dürften Schnellfinger Johnny Winters allerletzten Saitenbekundungen zum künftigen Standardwerk aller Nachwuchsklampfer gereichen. Dieses von gar königlicher Blues Rock-Garde kondolierte Endwerk jenes Zeitlebens Gehandicapten sowie vom rastlosen Virtuosentum Besessenen, erwecken altsäckige Erinnerungen, sei es Essens andachtsvolle 79er-Rockpalast-Nachtmesse vor Eurovision-begünstigten TV-Glotzen oder jene vom teuflischen Highspeed-Slide seiner Gibson Firebird V zersägte "Highway 61 Revisited"-Version zu umlichteten Augenblicken.
Gleichsam einem Griff nach dem Strohhalm sucht unsereiner im 'besten Alter', nicht nach falschen Glanz versprechenden Modeklunkern, sondern den Ewigkeitsgaranten Juwelen. Desto tröstlicher erscheint manch musische Aufhellung zwischen alldem gehetztem Dasein, manipulativen Verblödungsmechanismen und unentwegt vorgegaukelter Jugend. Nur zu gern zündeln wir noch reichlich gedachte Kerzen vor unseren HiFi-Altären, wenn uns "Elektrolurch" Mani Neumeiers ergraute Krautrock-Agitatoren linker Kernkompetenzen Guru Guru oder Gary Moores Hardrock-verräterische Saitenvirtuositäten, als gut aufgebügelte Konzertkonserven kurzweilige Glorienscheine auf Löchrigkeits-drohende Erinnerungen werfen und unsere Verlusttränen nach Jimi Jamisons Beständigkeits-Rockschmonzetten wie "The Search Is Over" immer langsamer trocknen.
Scheinen sich dem Rock and Roll seine einst idealebildenden sowie euphorisierenden Visionen auch langsam zu verflüchtigen zudem noch zu verkonsumieren, versprechen die balsamierten Zitzen der übermächtigen und vergänglichkeitsresistenten Krawallmutter, dem Gitarrenschwert nebst Laptop-schwingenden Nachwuchs, weiterhin genügend Nahrung
Und während krachtlederne Suffköppe ihren Restverstand fluten und sich selbsternannte Wiesn-Promis an Eigenarroganz erbrechen, liegen mir die unheilvollen Schatten der 'schönsten' Jahreszeit noch schwer im Magen. Wie vermisse ich doch die Sommer, als wir noch zu Hunderttausenden mit mauerbrechenden Losungen wie »Wir sind das Volk« und zornigem »Gitarren statt Knarren« unsere Ärsche erhoben, anstatt die wohlportionierten Angstpillen bunter Medien sowie Krupp-gestählten Reden eines Zonenpfaffen zu schlucken.
Im Zweifel nur der Wahl und nicht Musikverdrossen, wäre es dennoch ein schöner Traum besäßen wir die Gabe, mittels Kraft gebündelter Schallwellen sämtlicher Fischer-Chöre dieser Erde sowie dem pazifistischen Mantra "Give Peace A Chance", die Hirne aller Kalten Krieger und Massenmörder hollywoodreif platzen zu lassen.
Bleibt nur die Frage: Tanzt unsere reglementierte Welt von 'Shares' und 'Likes' sprichwörtlich »mit sich selbst schon im Fieber« und kapituliert unser Innerstes, gleichsam der Laubbäume im Herbst, vor dem Unabwendbaren?
Brennt auch die Antwort gleichwohl unserer Lieder in uns selbst, so war uns die Hoffnung auf einen unbeschwerten Sommer und dessen kleinstes Übel, die Sauren Gurken, noch nie so wertvoll wie heute.
Euer Ingolf
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