No 'Krauts'!
Krautrock Von der Unmöglichkeit eines Begriffs und seines vermeintlichen Inhalts



Zwischenruf vom 18.11.2007


Norbert Neugebauer
Wer immer diese abfällige Bezeichnung für uns Deutsche erfunden hat, den sollen gewaltige Blähungen bis in alle Ewigkeit plagen. Und wenn John Peel für den Begriff 'Krautrock' als Gattungsnamen für deutsche Rockmusik verantwortlich ist, soll sein Himmel der Musikanten-Stadl sein. Und wer ernsthaft meint, dass sich mit diesem Begriff eine einheitliche Musikform oder gar eine besonders hochqualitative Machart verbindet und glaubt Bands wie Can oder Birth Control in denselben Sack stecken zu können, dem möchte ich liebend gern eine Gehirnwäsche mit allen Tangerine Dream-Alben am Stück in Endlosschleife verpassen. Ergänzt mit Dauereinläufen abwechselnd von Cluster- und Kraftwerk-Spülungen!
Egal, was da heute hineininterpretiert und -spekuliert wird, so eine große Schublade gibt es gar nicht. 'Krautrock', 'krautrockig' oder 'krautig' (warum nicht gleich 'verkrautet' oder als Gegenteil 'unkrautig') sind belanglose und eigentlich abwertende Begriffhülsen, auch wenn sie von Vermarktungsstrategen und von den betreffenden Bands inzwischen gern (und vor allem im Zuge des aktuellen Revivals) verwendet werden. Aber da spielt der nostalgische Verkaufsfaktor eine große Rolle. Und selbst wenn ich wohl schon in der RockTimes-Redaktion allein dastehe: Das ist alles Bullshit!
Wie kann man ernsthaft Bands, wie das Trip Folk-Duo Witthüser&Westrupp, die Worldmusic-Pioniere Embryo, die Drogen-Kommune Amon Düül oder die so unterschiedlichen Rocker Wallenstein, Hölderlin oder Karthago auf einen Nenner bringen wollen? Nur weil sie in den siebziger Jahren gemeinsam als deutsche Bands loslegten und vor allem in den Anfangszeiten oft mit zwar Riesenengagement, aber auch genauso oft mit nur handwerklichen Fähigkeiten Rockmusik machten? Oder bei den selben seltsamen Labels unter Vertrag waren? Aber selbst dieser kleinste gemeinsame Nenner haut ja nicht mal hin. Auch Nektar (England), Omega (Ungarn) oder Eela Craig (Österreich) werden unter den Krautrockbands aufgezählt.
Wenn heute in Reviews oder sonstwo dieser Begriff auftaucht, was soll damit gemeint sein? Irgendwelche abgehobenen Synthesizersequenzen á la Popul Vuh, Jane'sche Jameinheiten, Guru Gurus Freak-Collagen, die abgefahrenen Kraan-Stücke, Polit-Agitation von Floh de Cologne, Ihre Kinders Deutschrocksongs oder gar der gemütliche Bierrock von Waldschrat (mich hätt's ja fast vom Hocker gehauen, als ich die bei der Auflistung in Wikipedia fand)?
'Krautrock' als Gefühl für die damalige Zeit, als auch die Mehrheit der RockTimes-Redaktion die ersten Livemusik-Erlebnisse mit eben diesen Bands hatte und die natürlich prägend waren - o.k. einverstanden. Aber auch für meine schönen Erinnerungen kommt mir dieses Wort nicht über die Lippen.
Ich weiß nicht, wie viele Definitionen (samt nahezu täglichen Neuschöpfungen) sich mittlerweile in den Rockmedien tummeln. Alles wird seziert, systematisiert, katalogisiert und verschubladet. Und ausgerechnet bei dieser großartigen Musiklandschaft, die sich seit den Spätsechzigern hier entwickelt hat, versagen sämtliche Schreiberhirne unisono und kontemplativ. Nur zu bequem oder einfach nicht in der Lage, aus diesem Sammelsurium an Musikstilen etwas Allgemeingültiges herauszufinden, was dieser 'Krautrock' sein soll? Und warum dann überhaupt?
Die Schwierigkeiten mit diesem unsäglichen Begriff bestehen ja schon lange genug. Und ich bin wirklich nicht der Erste, der ihn als kompletten Schmarrn abtut. Es hat wohl noch niemand ernsthaft einen Versuch unternommen, auch nur die schwammigste Definition dafür zusammenzuschreiben. Geht nämlich nicht! Also, was soll dann diese völlig unfachliche 08/15-Verwendung? Spielen die deutschen Bands nicht genauso Hard Rock, Prog Rock, Art Rock, Folk Rock, Classic Rock, Blues Rock, Jazz Rock, Jam Rock, Southern Rock, Crossover, Fusion, Worldmusic ... Oder heißt 'Krautrock', dass die Sänger noch immer nicht akzentfrei englisch singen können, die Gitarristen nur dreieinhalb Akkorde beherrschen, die Schlagzeuger im Schlachthof gelernt oder die Keyboarder alle ein Kunststudium abgebrochen haben und der ganze Haufen ständig zugedröhnt ist?
Nein? Dann sagt mir mal in verständlichen Worten, was ihr unter eurem 'Krautrock' sonst versteht!
Den einzigen akzeptablen Satz dazu hab ich neulich im Review über Space Debris gelesen, in dem Ulli deren Drummer Christian Jäger aus den Liner Notes zitiert: »Der Begriff Krautrock ist auch kein eng zu fassender Musikstil, sondern historisch zu sehen.«
Dann, liebe Freunde der Rockmusik und insbesondere Kolleginnen und Kollegen der schreibenden Zunft, belasst es auch dabei!
Und um Eines klarzustellen: Hier ist kein Wort gegen deutsche Bands gefallen und in meinem Plattenschrank finden sich selbstverständlich genug LPs und CDs 'Made in Germany'. Und wenn eine der alten Bands auf Tour in erreichbarer Nähe vorbei kommt, dann bin ich als Fan dort. Aber Kraut gibt's im Hause Neugebauer ausschließlich als Beilage zu Schlachtschüssel und Bratwürsten oder als Rohkostsalat mit viel Kümmel....
Ansonsten gilt: NO 'KRAUTS'!
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