Die Szene in Oberfranken / Teil I
Plakat
Und es ward ROCK!
Eric Clapton Bildtext: Zum 1978er (01.07.) Staraufgebot auf dem Nürnberger Zeppelinfeld gehörten Eric Clapton (Foto), Bob Dylan und Chicken Shack.
Mit dieser Artikelserie will ich für die RockTimes aus Sicht eines Fans über die Rockszene in Oberfranken berichten. Beginnend in den frühen 70er Jahren mit den ersten erwähnenswerten Ereignissen, bis zur heutigen, recht interessanten Subkultur. Vielleicht ist das Ganze auch mehr oder minder typisch für "die Provinz" in der alten Bundesrepublik. Aber nicht Jeder kommt schließlich vom "Land" oder ist damit aufgewachsen. Und mit den regionalen Eigenheiten lohnt es sich allemal, davon zu erzählen.
In den 60er Jahren war noch nicht viel los, die Beatwelle kam erst langsam an. Junge Bands gab´s zwar, aber die meisten spielten Tanzmusik mit eher vorsichtigem Anteil ausländischer Chartsongs. Und einige wenige "Wilde", die ausschließlich Beatles, Rolling Stones und Co. coverten und von einer treuen Fanschar von Tanzsaal zu Tanzsaal begleitet wurden.
Eine hat bis heute überlebt und tourt wieder regelmäßig, natürlich jetzt als "Oldies-Band". Bei The Silhouettes aus Münchberg sieht man neben den alten Fans auch recht viele junge, die die Musik von damals für sich entdeckt haben. Meine persönliche Initialzündung war ein Open Air Festival, gleichzeitig mein erstes richtiges Live-Konzert. An Einzelheiten der Auftritte kann ich mich allerdings weniger erinnern, daran waren die ebenfalls ersten "Tüten" meines Lebens schuld.
Das Open Air Concert am 17.7.71 (ein bemerkenswertes Datum!) veranstalteten gemeinsam der Kreisjugendring Coburg und die damalige "Junge Welle" des Bayerischen Rundfunks. Zu dieser für die Zeit richtig "progressiven" Abteilung zählten auch zwei hoffnungsvolle Nachwuchs-Moderatoren.
Der eine, Jürgen Herrmann aus Berlin, hat bis heute dort überlebt. Der andere war "unser" fränkischer Thommy Gottschalk, der als späterer Chef bei 'BR3' für das beste Radioprogramm sorgte, das der weißblaue Äther jemals erleben durfte. So erfrischend locker und kongenial mit seinem Kumpel Günther Jauch am Sendemikrophon, dass ihnen alle heutigen Sünden verziehen sind. Aber 1971 war das Leben noch frisch, ich gerade 15 und die Haare wuchsen, trotz aller elterlicher Repressalien, schon über den Hemdkragen hinunter.
Jethro TullBildtext: Auch Jethro Tull spielte mehrmals in der Freiheitshalle Hof, hier auf der "A"-Tournee am 17.2.1981. Der damals neue Sound mit Geiger/Keyboarder Eddy Jobson gefiel mir nicht, Ordner zwangen die Fans zum Hinsetzen (!), danach durfte mich Herr Anderson nicht mehr zu seinen zahlenden Affen zählen.
Seinerzeit kamen regelmäßig Berliner Sommergäste in unseren Frankenwaldort, darunter auch Jugendliche in Sommer-Zeltlagern. Sie infiltrierten uns aufnahmebereiten Landeier mit Sex & Drugs & Rock´n´Roll. Mit einem 18-jährigen "Preußen" durften wir zu unserem "Oberfranken-Woodstock", das auf einem Sportplatz in Bergdorf nahe Coburg stattfand.
Dank der damals richtig gut subventionierten kommunalen Jugendarbeit war das ein "Free Concert", kostete also glücklicherweise keinen Eintritt. Fast die komplette Cremé der bayerischen und Berliner Bands konnte verpflichtet werden, ein Riesenereignis, vor allem bei uns, weitab der Großstädte. Vielleicht etwas zu früh für die lokale Szene, die Fans bleiben überschaubar. Bestes Wetter am Samstagnachmittag, als um 14:00 Uhr besagter Jürgen "the German" Herrmann im "flippigen" Militär-Styling das Festival anmoderierte.
"Gegen abend strömten jedoch die Zuschauer, in einer Sonderausgabe der Tageszeitung "Neue Presse" vom 19.07.2001 wurden 7.000 Besucher genannt. Besonders betont wurde, dass "bis auf die phonstarken Lautsprecher alles ruhig" war ... ".
Spacecraft Bildtext: Das kleine Festival mit drei Berliner Bands in der Nordhalbener "Neuen Welt" fand irgendwann Ende der 70er statt. Mit dabei war Spacecraft (Foto), deren Musik auch auf einem Sampler zu finden ist.
Ich erinnere mich an Ex Ovo (die spätere Jazzrock-Formation Aera) aus Schweinfurt mit dem im Rollstuhl sitzenden Saxophonisten und Flötisten Klaus Kreuzeder, der später u.a. mit Stevie Wonder, Sting und Jack Bruce die Bühne teilte. Tangerine Dream, mit einem damals sehr dicken, vollbärtigen Edgar Fröse (auf dem Poster Zweiter von links), machte auf Pink Floyd mit schwelgender E-Gitarre, aber noch keine Spur vom späteren Synthie-Gedudel. Und Birth Control mit dem fantastischen "Nossi" Noske!
Diese Röhre und sein manisches Schlagzeugspiel, das seh´ und hör´ ich noch heute. Die ganze Band war ein Dampfhammer. Leider der letzte für uns, wir mussten schleunigst per Anhalter zurück nach Hause. War schon eh ein Wunder, dass uns die "Alten" dorthin gelassen hatten! Damals durften wir den Beatclub nur abwechselnd im Freundeskreis bei Zimmerlautstärke sehen, am Samstag wurde der Fernseher üblicherweise erst zur Sportschau eingeschaltet. Die damaligen Headliner Ihre Kinder kamen übrigens aus Nürnberg, Embryo-Kopf Christian Burchard stammte aus Hof. Danach hörte man lange nichts mehr von fränkischen Rockern, bis der Kulmbacher Franz Trojan mit der Spider Murphy Gang für den "Skandal im Sperrbezirk" sorgte (er war von 1977 bis 1992 der Drummer und teilweise Produzent).
Meinen Berliner Kumpel Fred F., der mich damals mit der "richtigen" Rockmusik und anderen speziellen Sachen vertraut gemacht hatte, hab ich nach einigen Jahren aus den Augen verloren. Ich sah ihn Ende 1989 überraschend im Fernsehen wieder, als Bräutigam der ersten spontanen Wende-Ehe.
Sollte ihn jemand aus dem Leserkreis kennen, soll er sich doch mal melden (so er möchte). Ich wohne noch immer in meinem Heimatort und bin mit meinen Berichten ein Teil der regionalen Kulturszene. 1971 besaß ich noch keine Kamera, aber bald darauf eine Nikon-Spiegelreflex vom gesparten Lehrlingslohn. Mit der war ich vom ersten Nürnberger Open Air auf den Zeppelinfeld bis 2001 auf großen und kleinen Musikveranstaltungen dabei.
Heute fotografiere ich digital und seither finden sich auch meine Rockfotos im Internet, oft mit dem Namenszusatz "MMoR". Seit 1971 habe ich viele "Magic Moments of Rock" erlebt und festgehalten.
Ein kleiner Teil (nach einer Spontan-Ausstellung) ist auf der Homepage von "Livekultur für Oberfranken" zu sehen, darunter auch einige Artworks, mit der ich die Energie der Rockmusik bildlich umzusetzen versuche. Irgendwann gibt es vielleicht auch mal ein eigenes MMoR-Archiv online.
Neben den Fotos auf verschiedenen Band- und Veranstalter-Homepages finden sich im "Home of Rock" noch einige Artikel aus jüngerer Zeit.
Das Open Air in Bergdorf blieb leider ein einmaliges Erlebnis in der Region. Wir mussten lange warten, bis die in den Zentren regelmäßig zu hörende Livemusik auch auf´s Land kam. Selbst Auftritte in kleinerem Rahmen blieben zunächst selten, Schülerbands waren meist die einzigen Acts. Die lokale Disco duldelte Boney M und mit viel Wohlwollen "In-A-Gadda-Da-Vida". Immerhin hatten wir eine Kneipe mit einer unschlagbaren Musikbox.
Einen Lichtblick gab es allerdings. Der heute noch in der Kreisstadt Kronach unterrichtende Gymnasiallehrer Klinger holte zusammen mit dem dortigen Kreisjugendring hochkarätige Jazzmusik in den ansonsten biederen Kreiskulturraum. Innerhalb weniger Jahre gaben dort u.a. Garbarek, Jarrett und Gismondi fantastische Konzerte.
Rory GallagherBildtext: Rory Gallagher beim Gastspiel am 25.09.1979 in der Freitheitshalle Hof, natürlich einer der besten Live-Gigs überhaupt!
Mitte der 70er Jahre besaßen wir dann klapprige Autos und die großen Open Airs im 150 km entfernten Nürnberg mit Santana, Gallagher, Dylan, Thin Lizzy, Clapton und Co. (übrigens für läppische 20 - 35 DM Eintritt) oder später in München und Berlin bildeten Höhepunkte unseres Fan-Lebens. Im Großraum Nürnberg lief viel. Das alljährliche Bardentreffen, eines der legendären American Folk Blues Festivals, Leo Kottke oder die gerade für Furore sorgende Nina Hagen Band waren Events, zu denen wir fuhren.
Nina Hagen Bildtext: Nina Hagen 1978 in der Stadthalle Erlangen. Ihr erstes Album mit der Ex-Lok Kreuzberg- und späteren Spliff-Band sorgte grad für Furore und der irre Auftritt war etwas völlig Neues. Nach der Show saß sie mit baumelnden Beinen am Bühnenrand und unterhielt sich locker mit uns.
Auch in der näheren Umgebung tat sich etwas, vor allem die deutsche Szene war bei kleineren Festivals (etwa dem "Hinterland-Festl" in Brand bei Marktredwitz) oder auf Stadtfesten zu erleben. In Hof/Saale wurde die Freiheitshalle eröffnet, in Neunkirchen am Brand (bei Erlangen) die Hemmerleinhalle. Vor allem zwei Veranstaltungsbüros in Bayreuth und Bamberg brachten viele Weltstars in Schlagweite.
Paul FuchsBildtext: Auf einem der "Hinterlandfestl" in Brand spielte die alterantiv-experimentelle Familienband "Paul & Limpe Fuchs mit Zorro" und nannte ihre Darbietung auf meist selbstgebauten Instrumenten "Anima-Music". Pauls Instrument ist der "Fuchs-Bass". Das Datum konnte ich leider nicht mehr herausfinden.
Auch einige Clubs hatten in den 80er Jahren manchmal interessante Bands aufzuweisen. Selbst in unserem alten Tanzsaal im Ort fand ein kleines Festival mit drei Berliner Bands statt. Mit der Inflation der Konzertpreise verlor ich das Interesse an großer Livemusik. Die Rückkehr zum Zeppelinfeld beim Stones-Open Air 1998 war eher eine nostalgische, denn obsessive Zugabe.
Meine Frau hatte mir die Eintrittskarte für 98 DM zum Geburtstag geschenkt. Ich gehörte zu der Hälfte der rund 90.000 Fans, die zwar gut hörten, aber kaum was sahen. Andersrum war´s noch beschissener, wie mir später Freunde erzählten ... .
Die deutsche Wiedervereinigung mit ihren oft emotionalen Wirrungen hat der Musikszene in unserem Umkreis nur gut getan. Rockfans haben untereinander wohl die wenigsten Probleme oder Berührungsängste. Im alten Grenzland von Franken, Thüringen und Sachsen (oftmals auch weit darüber hinaus) funktioniert der "Kulturaustausch" in alle Richtungen. Ich bin zwar oft unterwegs, es gibt jedoch eine ganze Reihe von Spielorten in der weiteren Umgebung, die bisher auf meiner Tour-Liste fehlen. Gut, dass es immer noch was zu entdecken gibt.
In den letzten Jahren ist auch lokal viel gelaufen, neue Klubs mit regelmäßigen Auftritten, kommunal wie privat organisierte Festivals und auch Vereine, die eher Rockbands als Blasmusik (nichts gegen gute Blas- und echte Volksmusik!) zu ihren Veranstaltungen verpflichten. Jetzt hocken halt die aus unserer Generation am Ruder, gell!
Uriah Heep Bildtext: They came to us one evening - Uriah Heep am 18.12.2001 in der Nordwaldhalle Nordhalben.
Seit 1995 haben wir in unserem Ort eine Mehrzweckhalle, in der wir, vor allem in der Anfangszeit, viel interessante Livemusik erleben konnten. Eric Burdon, Saga und Uriah Heep waren im Rockbereich die Headliner. Aber auch junge, interessante Bands aus der Region kommen auf und die alten bewegen ihren Hintern wieder ...
Das freut mich und mein nicht mehr ganz taufrisches Rock´n Roll Heart. Ebenso, dass einige der Gruppen von meinem ersten Open Air heute wieder touren und die Fans begeistern können. Mal sehen, ob sie auch bei uns wieder auftauchen. Über die aktuelle Szene berichte ich in den nächsten Folgen.


Norbert Neugebauer, 15.04.2005