Eine Naziband in Wacken?
News aus der Musikwelt kursieren in vielfältiger Weise im Internet, darunter auch welche, die RockTimes nicht einfach per Automatismus einstellt, sondern erst einmal überprüft und recherchiert. Aktuelles Beispiel: die von Seiten der Antifa gestreute Behauptung zu der Band Varg und dem W:O:A.



Zwischenruf vom 13.03.2010


Andrea Groh
Neulich erreichte uns eine Mail einer Antifa (ohne genauere Absenderangabe) mit der Aussage, dass dieses Jahr eine Nazi-Band in Wacken spielen würde.
Dies ist natürlich eine ziemlich heftige Behauptung, ein Skandal wenn es tatsächlich stimmt, andererseits eine Verleumdung, wenn es nicht so ist.
Die Veranstalter sollten die Sache überprüfen und gleiches ist auch vor einer Veröffentlichung dieser Information durch RockTimes angebracht.
Gemeint ist die deutsche Pagan Metal-Band Varg, die wir nun genauer ansehen wollen.
Der Bandname heißt übersetzt Wolf.
Pagan Metal und Nazitum
Pagan bedeutet heidnisch. Pagan Metal ist teilweise inhaltlich und musikalisch verwandt mit Viking Metal, Folk Metal und Black Metal und noch eine relativ neue Stilrichtung. Als einer der Vorreiter für diese Szene wird Bathory mit Hammerheart angesehen.
Kennzeichnend sind heidnische Texte und Aussagen, also die Beschäftigung mit vorchristlichen Kulturen und Mythologien. Besonders beliebt ist die nordische Sagenwelt, natürlich insbesondere bei skandinavischen Bands. Manche berufen sich auch auf die Kelten, in Osteuropa beschäftigen sich Musiker z.B. mit den slawischen Vorfahren. Die inhaltliche Palette reicht von Nacherzählung der Göttersagen über Kriegerisches (hier kann dann Antichristliches dabei sein, was aus der Warte der bekehrten Heiden durchaus verständlich ist, da von der Christianisierung erzählt wird, die nicht immer friedlich ablief) bis hin zur Liebe zur Natur/Mutter Erde. Das Ganze ist also in Bezug zu Neuheidentum, Zurück-zur-Natur-Bewegungen etc., ein Trend, der eine sehr große Vielfalt an Gedanken und Bandbreite aufweist, von alternativer Medizin bis zu Neonazis. Womit wir am Knackpunkt angelangt sind: Die Bevorzugung 'Odin statt Jesus', die Verwendung von Symbolen wie Thors Hammer, Keltenkreuzen und sogar Sonnenrädern KANN auf kritisch zu betrachtende Gesinnung hinweisen, MUSS aber nicht.
Der Paragraph 86a des Strafgesetzbuches (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) unterscheidet zwischen eindeutig verbotenen Abzeichen wie dem Hakenkreuz und denen, die nur in gewisser Verbindung strafbar sind oder gar nicht. Eine genaue rechtliche Würdigung würde an der Stelle hier zu weit führen und soll den Experten überlassen werden. Tatsache ist, dass dies kein leichtes Thema ist und insbesondere junge Musiker aus anderen Ländern teilweise gar nicht wissen (können), was in Deutschland als bedenklich angesehen wird. Daher muss in jedem Fall genau geprüft werden, ob eine Band sich lediglich zum Heidentum bekennt oder zu den wenigen schwarzen Schafen gehört, die hierzulande tatsächlich strafbare oder zumindest fragwürdige Inhalte verbreiten.
Wenden wir uns also Varg zu und untersuchen genauer, wie es bei ihnen aussieht:
Tatsächlich konnte ich weder in ihren Covern noch Texten irgendetwas finden, was verboten oder eindeutig rechts ist. Keinerlei fremdenfeindliche oder rassistische Äußerungen sind vorhanden. Die Texte sind klar heidnisch, es fallen Begriffe wie 'Blut' und 'Ehre' und die Aussage gefällt sicherlich nicht jedem. Aber man kann ihnen damit kein Nazitum unterstellen. Besonders interessant ist: "Alter Feind", eine Art Abrechnung mit ihren Kritikern und Gegnern. Hier ein Auszug des Textes, den wir von der Seite der Metal-Archive übernommen haben:
»[…]Alter Feind - Antifa
Alter Feind - Nazisack
Wer hält die Treue ausser dem Lügenpack?

Alter Feind, Alter Freund
Alter Antrieb für neues Werk
Alter Feind, Mein alter Freund
Du hast mich nie im Leben enttäuscht

Alter Feind, du Nazischwein
Du Internetkrieger bist ständig am Weinen
Alter Feind, Antifa
Von dir liest man viel, doch nie bist du da

Der Alte Freund Presse, der hält dir die Treue
Doch dieser Feind ist es, den ich verabscheue
Hält nie die Fresse und weiß alles besser

[…] Wir sind gewarnt - Erfolg bringt den Neid
Und der ist der Antrieb für dich Alter Feind
[…]«
Die Antifa macht ihre Vorwürfe in der Mail an folgenden Punkten fest, bzw. verbreite folgende Aussagen:
»Einige Hefte und Mailorder distanzieren sich von der Band. Das Interview mit dem RockHard wurde nicht abgedruckt«.
Das ist so nicht ganz richtig, es ist ein fast ganzseitiger Leserbrief /Stellungnahme von Sänger/Gitarrist Philipp 'Freki' Seiler im aktuellen Heft. Dort distanziert er sich explizit und erklärt, dass Varg kein NSBM (Nationalsozialistischer Black Metal) sind und niemals waren. Das Interview soll im nächsten Heft folgen.
Auf einem mehrere Jahre alten Foto, das nun plötzlich wieder kursiert, trägt Freki das T-Shirt der ostdeutschen Band Absurd, die 1993 durch den Mord mehrerer damals noch jugendlicher Bandmitglieder an einem anderen Jugendlichen bekannt wurde - außerdem durch ihre nationalsozialistischen Ansichten.
Dazu erklärt Freki folgendes: Im Rahmen einer Recherche für seine Facharbeit "Pagan Metal Subkultur und politische Verbindungen", die er als Student der Sozialen Arbeit geschrieben hat, stieß er auch auf eben jene Band. Aus Neugier, die Personen, über die er recherchiert hatte, mal persönlich zu treffen, besuchte er 2007 eines ihrer Konzerte und es kam zu mehr Kontakt, als er erst geplant hatte. Als ihm das klar wurde, distanzierte er sich. Mittlerweile sind Nazi-Shirts auf dem von Varg organisierten Wolfszeit-Festival tabu und die Band startete die Aktion 'Varg und Fans gegen Nazis, gegen Hetzer'
Die Erklärung klingt plausibel. Er bereut mittlerweile, dass er sich jemals mit dem Shirt hat fotografieren lassen und sieht dies als »jugendlichen Fehler« an, den er heute mit 22 Jahren längst hinter sich gelassen hat.
»In alten Proberaum-Aufnahmen ist Herr Philipp Seiler dagegen als bekennender Nazi geoutet worden. Der Bekanntenkreis bezeichnet ihn als Antisemiten und Ausländer-Hasser«
Zum ersten Satz: Gibt es dafür Beweise? Oder ist das auch nur eine Behauptung?
Es ist nicht das erste Mal, dass Bands so etwas unterstellt wird, in den meisten Fällen lässt es sich nicht belegen.
Sämtliche Stellungnahmen sprechen eine ganz andere Sprache.
Zum zweiten Satz: Solche Aussagen sind sehr relativ, weil schwammig, ich kann ja auch behaupten mein Nachbar hat im Keller irgendwas gesagt. Das klingt nach Polemik.
Es werden einige Verbindungen zwischen Labels etc. aufgeführt, einer kennt einen anderen, der wiederum kritisch zu betrachten ist. Fraglich jedoch, ob der erste dann wirklich davon wusste…
Konkrete Aussage: »Das Plattenlabel von Varg ist Veranstalter der Paganfest-Tour, bei der auch Varg auftreten wird. Es bleibt zu hoffen das der antifaschistische Widerstand bei den Konzert-Terminen zeigen wird, was man von Nazis hält.«
Mein Mann und ich waren auf dem ersten Paganfest, damals gab es schon antifaschistischen Widerstand dagegen und die Bands wurden darin als rechts eingestuft. Tatsache ist, dass keine der bisher auf den Festen aufgetretenen Bands eine bekennende rechte war, es gab keinerlei Äußerungen oder Gesten in dieser Hinsicht. Überhaupt nicht. Im Gegenteil, es war sogar ein recht friedliches Konzert in Anbetracht der Tatsache, dass die Batschkapp viel zu viele Tickets verkauft hatte und dadurch ein ziemliches Gedränge herrschte.
Auf dem diesjährigen Paganfest treten neben Varg auch Arkona auf, eine russische Band, die sich mit slawischer Vergangenheit beschäftigt. Ich glaube, eine echte Naziband wollte nicht mit denen unterwegs sein, oder?
Fazit: Außer der Sache mit dem Shirt konnte ich nichts Konkretes finden, was die Behauptung untermauert.
Ist ein Jugendlicher, der mal das Shirt einer Nazi-Band anhatte automatisch ein Nazi? Die Sache ist drei Jahre her und verfolgt ihn noch, die jugendlichen Mörder von Sondershausen, die wirklich eine verabscheuungswürdige Tat begangen hatte, kamen nach fünf Jahren wieder auf freien Fuß, nachdem sie ursprünglich zu acht bzw. sechs Jahren verurteilt wurden.
Wie hat Wacken nun darauf reagiert?
Es gibt eine Stellungnahme auf der Homepage zu dem Thema und eine Videobotschaft, bei der sich Freki/Varg wieder klar distanziert!
Damit ist für die Veranstalter die Sache (vorerst) geklärt und derzeit spricht aus ihrer Sicht nichts gegen den Auftritt.
Aus meiner auch nicht, zumindest nach dem derzeitigen Stand der Information.
Externe Links: