Achtung - die folgende Rezension enthält eine Bruchstelle zwischen mehr oder weniger rational-deskriptiver Bestandsaufnahme und enthemmter Schilderung emotionaler Überrumpelung. Aber später gibt es sich wieder.
Fallen jetzt auch die letzten Bastionen? Amberian Dawn waren eine! Gemeint ist der Gesang ... Nach dem Split zwischen Nightwish und Tarja waren die Sängerinnen mit klassischer Opernstimme in symphonischen Metal-Bands irgendwie nicht mehr so 'in'. Immer noch kraftvolle, epische, aber eben doch 'normale' Gesangsstimmen waren im Bereich der 'Female Fronted Bands' mehr und mehr im Kommen. Die Finnen von Amberian Dawn aber hatten Heidi Parviainen in ihrem Line-up. Bandgründung 2006, erstes Album 2008 ... alles, nachdem bei den Vorreitern von Nightwish die Ära Tarja längst vorüber war. Aber Bandboss Tuomas Seppälä ließ sich nicht beirren und setzte in Sachen Gesang aufs Opernhafte. Das klang irgendwie 'nicht angesagt', aber gerade dadurch wiederum erfrischend - zumal Tuomas sich in Sachen Songwriting auch noch von Album zu Album grandios steigern konnte ...
... bis hin zum tollen Circus Black. Es sollte das letzte mit Heidi sein. Im November 2012 wurde die Trennung in beiderseitigem Einvernehmen verkündet. Wenige Wochen später präsentierte Tuomas Seppälä die Neue. Name: Capri. Finnin. Eine von daheim. Viel Studio- und Live-Erfahrung, unter anderem im Musical-Bereich - klassische Ausbildung, aber 100 Prozent Rock-Sängerin, so die Lobpreisung des Bandbosses. Er sei so glücklich wie seinerzeit mit der Verpflichtung Heidis: »Capri shares the same taste in music as I and that's why it is obvious that our new partnership is like a 'match made in heaven' ... A new era of Amberian Dawn is just beginning - Let us introduce our new divine vocalist ...« Uiuiui, so klingen Vorschusslorbeeren. Und wie klingt Capri?
Sensationell!
Mann, Mann, Mann, wo haben sie denn die aufgetrieben? Capri hat Kraft, Capri hat Ausdruck, Capri ist eine Wucht. Bei jedem halbwegs hohen Ton in den ohnehin melodisch sehr ausschweifenden und edlen Stücken wird es einem ganz heiß und kalt. Und es steckt ordentlich was dahinter - selbst in höchsten Höhen glänzt Capri durch eine enorme Stimmfülle. Bei ihr steckt hörbar viel technisches Können dahinter. Kurzzeitig glaube ich, Daísa Munhoz von Vandroya zu hören - die beiden ähneln einander. Aber nein, es ist keine Brasilianerin, es ist und bleibt eine Finnin - technisch wohl noch eine Nummer beschlagener als ihre südamerikanische Kollegin.
Und diese Capri - es wird wohl ein Künstlername sein, aber wieso nicht, es hat ja was Geheimnisvolles - steht Amberian Dawn richtig gut. Die majestätischen Melodien dieser Songs haben einen teils immensen Tonumfang und sind - im Original am klassischen Gesang ausgerichtet - wie geschaffen für die Ausnahmekönnerin. Die Auswahl ist wirklich gut gelungen: zwei Songs vom Debütalbum River Of Tuoni, drei von "The Clouds Of Nothland Thunder", einmal End Of Eden und fünf Songs vom letzten Album, "Circus Black". Highlights sind die symphonische Power Metal-Hymne "Valkyries", "Lily Of The Moon" mit diesem federleichten Highspeed-Galopp im Chorus und die maximal orchestral aufgepeppten Stücke von "Circus Black", dessen Titeltrack und "Crimson Flower" - das ist mystisch, episch und bombastisch.
Auch die Stratovarius-Gäste Jens Johansson (Keyboard) und Timo Kotipelto (Gesang) machen wie schon bei den Originalversionen von "Crimson Flower" bzw. "Cold Kiss" ihre Aufwartung. Mit "River Of Tuoni", dem Titelsong des ersten Albums, ist natürlich auch der Bandklassiker überhaupt am Start. Interessant ist hier, dass Capri im Refrain doch mal ausnahmsweise in klassische Gesangsgefilde wechselt - ganz kurz. Das macht aber auch den Charme des Songs aus. Sie kann es auch. Und wie! Bei der Neuaufnahme der Stücke hat man es zudem geschafft, den nicht unkomplizierten Amberian Dawn-Sound noch ein Stück weit ausdifferenzierter und klarer auf Platte zu pressen.
Natürlich eignet sich "Re-Evolution" auch herrlich als Best of für Leute, die Amberian Dawn noch nicht kennen. Die seien aber 'gewarnt' vor der Qualität dieser Kapelle. Amberian Dawn zeichnen sich durch ein hohes technisches Niveau und Abwechslung aus und sind im Gegensatz zu vielen symphonischen Kollegen auch ein heißer Tipp für Prog Metal-Fans ... die es auch noch barock und neoklassisch mögen. Diese Kombination erinnert oft an Symphony X. Die feinfühligen Gitarren-Schreddereien bei "Incubus" beispielsweise sind so richtig Romeo-Style. Und in jüngster Zeit, also bei den "Circus Black"-Songs, hat Tuomas Seppälä für seine Flitzefinger-Soli auch zunehmend zum Keyboard gegriffen. Wer Amberian Dawn bisher unterschätzt hat: Bitteschön. Schade nur, dass es nicht ein, zwei neue Songs als Bonus gibt. Ansonsten: tipp-topp!
Line-up:
Capri (vocals)
Tuomas Seppälä (keyboards, guitar)
Kimmo Korhonen (guitar)
Emil Pohjalainen (guitar)
Tommi Kuri (bass)
Joonas Pykälä-aho (drums)
With:
Timo Kotipelto (vocals - #9)
Jens Johansson (keyboards - #6)
Tracklist |
01:Valkyries (3:29)
02:Incubus (5:04)
03:Kokko - Eagle Of Fire (3:18)
04:Lily Of The Moon (4:09)
05:Come Now Follow (3:48)
06:Crimson Flower (4:24)
07:Circus Black (3:50)
08:Lost Soul (3:42)
09:Cold Kiss (3:30)
10:River Of Tuoni (3:01)
11:Charnel's Ball (4:33)
|
|
Externe Links:
|