Garth Cartwright / Balkanblues und Blaskapellen
Unterwegs mit Gypsy-Musikern in Serbien, Mazedonien, Rumänien und Bulgarien
Balkanblues Originalausgabe: Princes Among Men - Journeys With Gypsy Musicians, Serpants's Tail, 2005
Übersetzung aus dem Englischen: Jörg Gülden
Medium: Buch
Gebundene Ausgabe: 318 Seiten
Verlag: Hannibal, 2008
ISBN-10: 3854452845
ISBN-13: 978-3854452843

Review vom 21.08.2007


Norbert Neugebauer
Dass Turbo-Folk und Gypsy-Brass vom Balkan nichts mit Oberkrainer-Gedudel, "Einsamer Hirte"-Gejaule und Puszta-Folklorekitsch zu tun haben, weiß jeder Fan, der einmal ein echtes Volksmusik-Ensemble aus dortiger Region erlebt hat. Und wer bei einer privaten Roma-Feier ein aktuelles Pop-Ensemble aus den Heimatländern erlebt hat, wird nur schwer Ähnlichkeiten mit populären westlichen Sounds feststellen.
Was das mit Rockmusik zu tun hat? Eine Menge, wie ich schon in der Besprechung von
Queens And Kings von Fanfare Ciocărlia erläutert habe. In diesem Jahr konnten sich auch die Besucher des tff Rudolstadt von der Explosivkraft der Rumänen und ihrer Gäste aus der gesamten europäischen Zigeunermusik überzeugen.
Von der Faszination dieser mitreißenden Klänge wurde auch der neuseeländische Journalist und Fotograf Garth Cartwright angesteckt, der als Weltenbummler seit einigen Jahren in England lebt. So sehr, dass er sich nicht mit dem bloßen Hören aus der Konserve oder gelegentlichen Gastspielen zufrieden gab, sondern selbst monatelang durch die Heimatländer der Musiker reiste und sie dort besuchte.
Dass das auch heute noch, nachdem der Balkan in den Neunzigerjahren von politischen Umbrüchen und dem Jugoslawien-Krieg erschüttert wurde, keineswegs eine einfache Angelegenheit ist, wird dem Leser schnell verdeutlicht. Der Autor war mit Auto, Bus und Bahn unterwegs, von Serbien bis Bulgarien, hat frühere Connections genutzt, Dolmetscher aufgetrieben, war mit Freunden auf Tour und erlebte trotzdem das Abenteuer seines Lebens.
Auf rund 300 Seiten beschreibt er seinen Trip zu den Brasslegenden und den Altmeistern der Roma- und Gypsy-Sounds. Sie, die durch westeuropäische Liebhaber aufgespürt und der internationalen Musikwelt vorgestellt wurden, leben größtenteils noch immer in ihren Dörfern oder Siedlungen, den 'Mahalas', in denen die Zeit stehen geblieben ist. Die Taraf de Haïdouks waren die ersten, das Boban Marković Orkestar oder eben Fanfare Ciocărlia eroberten anschließend die Fans nicht nur von Ethno- und Brassmusik, sondern von vielen Musikliebhabern, die irgendwann von diesen wilden Sounds gestreift wurden. Kommerziellen Erfolg hatte mit der oftmals geklauten und verwässerten Balkan-Musik dann Goran Bregović, der auch die Soundtracks zu diversen Gypsy-Filmen (u.a. von Emir Kusturica) beisteuerte.
Cartwright traf die großen Namen daheim in ihren Häusern, manche wohlhabend und als gekrönte Königinnen in ansehnlichen Anwesen, manche noch immer in ihren alten Hütten, schon wieder fast vergessen. Einige starben inzwischen, der Autor wusste, dass er nicht ewig Zeit hätte. Und da er offensichtlich als Freund oder zumindest nicht als 'Gadjo' -Fremder- empfangen wurde, erlebte er den Alltag, aber auch die Feste seiner Gastgeber in den 'Mahalas' mit. Langjährige Verbindungen zu den 'Entdeckern' und zu den Musikern machen den Autor nicht nur zum Kenner und Insider ihres Bühnendaseins; das hautnahe Erleben ihrer Alltags-Situation vor Ort ermöglichte ihm tiefe Blicke dahinter, in die verborgene Welt des ehemals fahrenden Volkes. Doch nicht nur die traditionelle Musik interessierte den Reisenden, der auch Fan der modernen Balkan-Pop-Sounds (mit deutlichem 'Bollywood'-Einfluss) ist und deren charismatische, exzentrische Interpreten er in den Clubs besuchte.
Das Buch ist eine locker und anschaulich geschriebene Reiseerzählung, die Spaß zu lesen macht und fundiertes Wissen über die Musikszene des Balkans und dessen soziale Entwicklung in den letzten Jahrzehnten vermittelt. Und vor allem ist es eine lebendige Chronik über die Gypsy-Musik und ihre aktuellen Protagonisten, fernab jeglicher Klischees oder theoretischen Forschungsdrangs. Cartwright ist Musikliebhaber und das allein ist seine Triebfeder. Er erzählt journalistisch exakt, unsentimental und klischeefrei Geschichten voller banaler osteuropäischer Exotik, die von staubig-heißen Straßen, frostkalten Eisenbahnen, schlammigen Betonwüsten, ländlicher Tristesse, desillusionierten Menschen und kriminellen Strukturen geprägt ist. Die jedoch irgendwo in der sprichwörtlichen Walachei ein paar vergessene Dörfer aufzuweisen hat, voller lebensstrotzender Musiker, die das ganze Elend einfach wegblasen können.
"Balkanblues und Blaskapellen" ist keine Ethno-Kulturreise im Orient-Express, sondern ein mühsamer Trip mit viel Musik und Schnaps durch verräucherte Bars, rauschende Hochzeiten, Ruinen des Sozialismus und heruntergekommene Zigeunersiedlungen, authentisch, profund und wohl nur für die härtesten Musikfreaks zum Nachmachen animierend!
Der mit mehreren Preisen ausgezeichnete Autor hat seinen Geschichten auf 15 Seiten eine umfangreiche Stoffsammlung angefügt, die keine Wünsche offenlässt. Die gelungene Übersetzung stammt von Jörg Gülden, dem früheren 'Sounds'-Redakteur.
Zum Buch hat das Berliner Asphalt Tango-Label, das zahlreiche osteuropäische Gruppen unter seine Fittiche genommen hat, einen 'Soundtrack' aufgelegt. Wir werden "Princes Among Men" mit Cartwrights gefeierten Künstlern als willkommene Ergänzung demnächst in RockTimes vorstellen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass der Begriff 'Zigeuner' völlig wertfrei und mit keinerlei diskriminierender Absicht verwendet wird, wie er auch von deutschen Roma- und Sinti-Vereinigungen im Gebrauch ist.
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