Mari Boine / 'Kulturwelten'-Konzert
27.10.2009, Bürgersaal, Helmbrechts
Mari Boine Mari Boine
'Kulturwelten'-Konzert Bürgersaal Helmbrechts
27. Oktober 2009
Konzertbericht
Stil: World Music, Folk, Ambient, Smooth Jazz, Rock


Artikel vom 04.11.2009


Norbert Neugebauer
Mari BoineFröhliches Gedränge am Dienstagabend, Lehrerpublikum, er im Sakko, sie 'folkloristisch', im feinen Bürgersaal läuft der Trailer zu den Kulturwelten 2009. Der kurz vor Konzertbeginn eingetroffene ROCKTIMER freut sich, dass er den Altersschnitt - selten genug - einmal wieder senkt. Im Foyer riecht es nach Gaststätten-Küche, der Konzertsaal ist ausgesprochen warm, vollbestuhlt und seit Wochen ausverkauft. 400 Plätze und noch einer in letzter Minute für den Rezensenten freigemacht. Selbst die Hofer Frankenpost, 'Hochfrankens Stimme', hat diesmal hauptamtliches Personal aus der Kulturabteilung geschickt, um sich nicht wieder den RockTimes-Artikel honorarfrei ausborgen zu müssen. Nein, keine weitere Auflage der Karl Valentin-Veranstaltung oder der einheimischen Frohnatur Philipp Simon Goletz. Auch die Liveprojekt-Akteure, die das Woodstock-Jahr bisher verschlafen haben, sind nicht in vorletzter Minute auferstanden. Eine kleine, fast 53-jährige Großmutter aus den Weiten der norwegischen Tundra, eine Samin, deren Leute Rentiere züchten, hat dieses Publikum angezogen. Mari Boine (Persen) ist zu Gast.
Kurz nach Acht erlischt das Saallicht und der Raum wird in mystisches Blau-Rot getaucht. Bereits beim kurzen Intro der vierköpfigen Begleitband ist der Sound perfekt. Voluminös, transparent und 'audiophil'. Natürlich ist das hier kein Abo-Publikum, das kommt, weil halt 'Programm' ist. Mari Boine wird mit herzlichem Applaus begrüßt, als sie ans Mikrophon tritt und einsteigt. Die Erwartungshaltung ist groß, auch beim ROCKTIMER.
Mari BoineDas neue Album "Sterna Paradisea", oder wie es in der Sprache der Sami heißt, "Cuovgga Áirras", ist Anlass der aktuellen Tour, die sie durch ganz Deutschland, mit einigen Abstechern in südliche Nachbarländer und dann nach Südafrika führt. Nicht von ungefähr. Afrikanische Sounds haben sich in ihren Klangkosmos gemischt, der längst über die nordischen Gefilde hinausgewachsen ist. Und mit dem ersten Track "Lene Májjá" öffnet die Zauberin die Türen ihrer vielfältigen Anderswelten und lässt die Fans im Bürgersaal tief darin eintauchen. Mit ihrer Album-Besetzung erschafft sie unterschiedlichste Seelenlandschaften und variiert musikalisch zwischen World Music, Folk, Smooth Jazz, Ambient und Rock. Neben den neuen Stücken hat sie auch einige ihre bekanntesten Songs (z.B das hypnotische "Gula Gula" oder den Titeltrack des letzten Albums "Idjagiedas") im Programm. Die Band ist ausgesprochen gut, mit Ole Jørn Myklebust an der Trompete (die er ähnlich weich überbläst wie sein Landsmann Nils Petter Molvaer) sowie an der Flöte ist eine neue, wesentliche Klangfarbe dazugekommen. Svein Schulz am Bass, Georg Buljo an den Saiteninstrumenten sowie Gunnar Augland an Schlagzeug und Perkussion sind die perfekten Begleiter für die jeweiligen Stimmungen. Die werden durch die hauseigene Lightshow im Bürgersaal noch gelungen verstärkt.
Mari BoineDas ganze Konzert ist eine einzige Emotion, der sich wohl niemand im Saal entziehen kann. Mari Boine hat eine unglaubliche Stimme, mit der sie ihre Geschichten erzählt. Und die werden verstanden, auch wenn sie samisch oder norwegisch singt und nur das Essentielle englisch übersetzt. Ob traditionelle Joiks aus der Sagenwelt oder über ihre Leute, ob über die drohende Zerstörung der Tundra, die leeren Versprechungen der Politiker oder über die Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen in der Dritten Welt. Diese Stimme hat magische Kraft. Klingt in einem Moment wie die einer jungen Frau und im nächsten wie die einer uralten Schamanin. Flüstert, girrt, betört, kippt in kehlige Laute, moduliert, phrasiert, vibriert, schwebt, durchdringt, reißt mit, überwältigt. Singt zärtliche Wiegenlieder und klagt verbittert an, lässt den 'Bruder Adler' im Soundgewitter über Fjorden kreisen und beschwört tranceartig die Naturgewalten. Gleitet erotisch oder durchaus pop-orientiert durch ihre neuen Songs und rockt zur Feedback-Gitarre.
Mari Boine hat die Hände um den Mikrophonständer gefaltet, hebt sie ab und an zu beschwörenden Gesten, wirft die dicke Mähne ihrer selbstgeschnittenen Haare zurück und tanzt mit dem roten Schultertuch (trotz eines gebrochenen kleinen Zehs, wie sie entschuldigend in deutsch erklärt). Das Publikum ist fasziniert und verlangt nach immer mehr. Eine kleine Frau von einem Nomadenvolk aus dem nordischen Nirgendwo und ihre vier Mitmusiker entrücken 400 Leute im Bürgersaal von Helmbrechts zwei Stunden lang in eine andere Zeit, in eine andere Welt.
Mari BoineEpilog:
Nach dem Konzert ergab sich ein kurzes Gespräch mit Georg Buljo, der auf der Bühne sein Equipment einpackte. Mit Hinblick auf den Tourkalender, der die Band letzten Freitag ins nahe Plauen, dazwischen nach Marburg in Hessen und nun wieder nach Oberfranken geführt hatte, wollte der ROCKTIMER wissen, ob sie überhaupt noch registrieren, wo sie sind. »Oh ja, natürlich« meinte der Gitarrist. »Wir schauen uns um, wo wir spielen. Auf den Tourplan haben wir keinen Einfluss. Es ist eine Sache der mentalen Einstellung, wie du damit umgehst und wie es dich belastet. Aber wir Sami sind ja das Unterwegssein gewohnt«. Etwas ungläubig reagierte er auf die Bemerkung, dass auf den Höhen des Frankenwaldes schon vor 14 Tagen Schnee gelegen hatte und jetzt bei deutlichen Plusgraden die Reise hierher wohl doch wieder angenehmer vonstatten gegangen sei. Was den Nordmann natürlich ebenso wenig schreckt, »aber weißt du, wir gehen ja jetzt bald nach Südeuropa und dann ans Kap. Da haben wir viel Sonne und Wärme«. Beneidenswert. Und dann fragte er: »Weißt Du, wo Gefell ist?« und deutete auf sein Microtech-Mikrophon. »Ja gleich um die Ecke, die A9 ein Stück rauf und dann in Thüringen die erste Ausfahrt« - der Frankenwäldler kennt schließlich die Nachbarschaft. »Die bauen dort diese erstklassigen Mics«. »Ja, hab ich mitbekommen, die stehen auch im Reichstag. Aber in der Nähe gibt es noch eine hervorragende Verstärker-Manufaktur«. »Was, wie heißt die und wo arbeitet die? Daran bin ich immer interessiert«! Der hinzugerufene Musikerkollege Harry Tröger konnte mit den Einzelheiten über die schweren Diezel-Amps aus Bad Steben dienen und der ROCKTIMES-Redakteur versprach den Firmen-Link zu schicken. »Na denn, good luck further on your road«. »Ja, see you next time in Upper Frankonia«!
ROCKTIMES dankt für die kurzfristige Akkreditierung durch Kulturwelten-Leiter Heinz König und die Unterstützung durch Tour-Manager Donald Weiner.
Line-up:
Mari Boine (vocals)
Svein Schulz (bass, backing vocals)
Ole Jørn Myklebust (trumpet, flute, vocals)
Gunnar Augland (drums, percussion)
Georg Buljo (guitars, backing vocals)
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