Sechs bzw. sieben Jahre ist es nun schon wieder her, dass mit V und der DVD Live die letzten Lebenszeichen der Heavy Rock-Legende Cactus in den Läden auftauchten. Und schon damals waren mein Kollege Jürgen Berking und ich uns bei den Besprechungen dieser Silberlinge einig, dass wir diese Jungs unbedingt mal live erleben müssten. Erste Hoffnung darauf gab es, als Cactus im Jahr 2012 zum ersten Mal seit über vierzig Jahren wieder deutschen Boden betraten. Doch auch auf dieser Tour war kein einziger Gig in unserem Einzugsgebiet dabei. Da jedoch Geduld und langes Warten zu den Stärken der RockTimes-Redaktion gehören, ließen wir uns nicht entmutigen - und wurden jetzt endlich belohnt. Cactus waren an diesem Samstag in Isernhagen angesagt. Also unbedingter Pflichttermin für uns!
Zunächst sah es so aus, als stünde diese Europa-Tour unter keinem besonders günstigen Stern. Nachdem zunächst Bassist Tim Bogert die Band aus gesundheitlichen Gründen (vorläufig?) verlassen musste und durch Pete Bremy ersetzt wurde, kam es kurz vor dem Start der ersten Konzerte noch dicker, denn nun fiel mit Randy Pratt auch noch der Harpspieler von Cactus aus. Während die Umbesetzung am Tieftöner noch so einigermaßen zu verkraften war, schließlich war Bremy schon mehrmals, sowohl bei Vanilla Fudge und Cactus, für Bogert eingesprungen, wog der Verlust von Pratt aktuell noch schwerer, denn der Einsatz des Mississippi-Saxofons musste doch ziemlich heruntergefahren werden. Doch Shouter Jimmy Kunes (Ex- Savoy Brown) übernahm die eingeschränkten Parts zu voller Zufriedenheit. Trotzdem hätte ich natürlich Tim, als einen der bedeutendsten Bassmänner der Rockmusik, sehr gern auf der Bühne erlebt.
Trotzdem gab natürlich auch dieses Line-up Hoffnung auf ein richtig gutes Konzert. Allein Weltklasse-Drummer Carmine Appice war schon mal ein Garant dafür, genau wie Jim McCarty, der ja ebenfalls ein Gründungsmitglied von Cactus ist. Wie auf dem Album "V" zu hören ist, passt auch Jimmy Kunes perfekt in das Soundgefüge der Gruppe, denn, ohne den Ur-Shouter Rusty Day, der am 6. März 1982 zusammen mit seinem 12-jährigen Sohn Russell und seinem Manager von einem Einbrecher erschossen wurde, zu kopieren, kommt er stimmlich nahe an ihn heran. So konnten auch die alten Klassiker der Band aus den Jahren 1970 bis 1972 sehr authentisch rüber gebracht werden, sodass der Gruppen-Sound erhalten geblieben ist und den Erkennungswert von Cactus hochhält.
Da wir an diesem Abend etwas früher als gewöhnlich in Isernhagen aufschlugen (denn irgendwie konnte man nicht richtig einschätzen, wie voll die Bluesgarage werden würde), kamen wir gleich noch in den Genuss, Teile des Soundchecks mitzubekommen. Und als uns dabei "Electric Blue" vom letzten Album um die Ohren flog, wussten wir gleich, dass uns ein heftiges Sound-Brett erwarten würde. Obwohl wir noch gar nicht in der Halle waren, gingen die Gitarrenklänge schon mitten in die Eingeweide, ganz zu schweigen von Carmines Drum-Salven, auf die ich mich schon besonders freute, denn schon bei den Gigs von Vanilla Fudge und zusammen mit Pat Travers hatte mich dieses 'Tier' hinter der Schießbude ganz stark fasziniert.
Und genau so kam es dann auch, als Cactus auf die Minute pünktlich um 21.00 Uhr die Bühne enterten und gleich mit "Long Tall Sally" loslegten. Auch das also in guter alter Tradition, denn dieser Song war sehr oft der Opener bei Cactus-Konzerten. Und gleich hier wurde klar, dass die Band richtig ernst machte. Herrlich die Rhythmuswechsel zwischen dem Grundthema bis hin zum straighten Boogie. Genau die Merkmale, die diese Version zu einer der besten Fassungen des Titels werden ließen. Außerdem wurde auch richtig heftig improvisiert, obwohl es nicht mehr die Songs mit gewaltigen Überlängen auf die Ohren gab, die in früheren Zeiten schon mal an die Zwanzig-Minuten-Grenze heranreichten. Trotzdem hatte das Quartett immer genügend Zeit, sich an seinen Instrumenten nach Herzenslust abzuarbeiten. Und das alles geschah ohne jegliche Frickeleien. Es gab keinerlei Langeweile, sondern ging nur direkt nach vorne. Genau so kennt und liebt man diese Band!
Auch Sänger Jimmy Kunes war in perfekter Form, war ständig in Bewegung und hantierte in bester Phil Mogg-Manier mit dem Mikrofonständer. Entertainment ist genau sein Ding, und so heizte er das Publikum unentwegt an, ohne irgendwie aufdringlich zu wirken. Aber, was viel wichtiger war, er brachte auch stimmlich richtig etwas auf die Beine und kniete sich voll in seinen intensiven Gesang hinein. So waren die Songs des letzten Albums, das sehr ausführlich vorgestellt wurde, schon mal richtige Hinhörer. Doch auch die alten Klassiker kamen so frisch rüber, dass man ihnen ihr Alter von über vierzig Jahren absolut nicht anhörte. Hier hat Rusty Day einen würdigen Nachfolger gefunden, der sein Erbe perfekt weiterführen kann.
Neben den Titeln des letzten Albums "V" waren also auch jede Menge Songs zu hören, die zum großen Teil auf der Compilation "Cactology" zu finden sind. Dabei überzeugte mich, neben dem gewaltigen "Parchman Farm" auch die letzte Zugabe "Rock'n'Roll Children" am meisten. Nicht zu vergessen auch der "Big Mama Boogie", auf den wahrscheinlich sehr viele Leute im Publikum gewartet haben. Das Highlight des Konzertes aber war ganz eindeutig "Evil" mit dem zehnminütigen Schlagzeugsolo von Carmine Appice incl. Percussion-Einlage mit den Drumsticks. Der Mann ist wirklich der absolute Wahnsinn, wenn man ihn solieren lässt. Ganz selten habe ich einen Schlagzeuger mit einer so präzisen Technik erlebt. Carmine Appice ist immer wieder ein Erlebnis - und außerdem topfit, denn man sah ihm die Anstrengung nach dem Gig überhaupt nicht an. Meine Hochachtung, Carmine!
Leider war dann schon nach 105 Minuten Schluss. Aber ganz eindeutig bleibt festzustellen, dass Cactus unsere Erwartungen voll erfüllt haben und ein richtig gutes Konzert ablieferten. Hoffentlich dauert es nicht wieder Jahrzehnte, bis sich die Band erneut nach Deutschland verirrt.
Line-up:
Carmine Appice (drums, background vocals)
Jim McCarty (guitar)
Jimmy Kunes (vocals, harmonica)
Pete Bremy (bass, background vocals)
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