City / Am Fenster
Am Fenster Spielzeit: 38:30
Medium: Vinyl
Label: Amiga/Sony Music, 2016 (1978)
Stil: Ostrock


Review vom 25.05.2016


Ilka Heiser
Die im Jahr 1972 in Ost-Berlin gegründete Gruppe City Band Berlin erlebte, genau wie ihr ostdeutsches Pendant Karat, mehrere Besetzungswechsel, bis das Line-up den Vorstellungen ihres Gründers, Fritz Puppel (Dozent an der Musikschule Friedrichshain), entsprach. Noch 1972 bestand die Band aus dem bereits angesprochenen Fritz Puppel (Gitarre) und Klaus Selmke (Schlagzeug). Hinzu kamen Ingo Döring (Bass), Frank Pfeiffer (Gesang) und Andreas Pieper (Flöte). Man spielte in erster Linie Coverversionen von damals angesagten 'Westbands' wie Jimi Hendrix oder den Stones, Santana usw.
Doch bereits 1974 gab es die ersten Umbesetzungen: Georgi Gogow übernahm an Stelle von Ingo Döring den Bass und spielte zusätzlich Violine, Emil Bogdanow übernahm das Mikrofon von Frank Pfeiffer, der ein Jahr später durch Toni Krahl ersetzt wurde. Eine Umbenennung erfolgte in City Rock Band und schon 1975 konnte eine erste Single-Veröffentlichung ("Der Spatz" / "Die Frau des Seiltänzers") bei Amiga vermeldet werden.
Den absoluten Durchbruch erlangten City (wie sie sich der Einfachheit halber nannten) jedoch mit dem Song "Am Fenster", der zwar schon 1974 komponiert, jedoch erst 1977 auf Platte veröffentlicht wurde. In der ehemaligen DDR erschien "Am Fenster" mit der B-Seite "Mein alter Freund" und in der BRD mit der B-Seite "Traudl". Mit "Am Fenster" waren City innerhalb kürzester Zeit in aller Munde - es verschaffte ihnen sogar einen Auftritt beim 'Klassenfeind' und die Singles gingen 'hüben wie drüben' weg, wie geschnitten Brot.
Doch was macht diesen Song so bedeutend? Der Text stammt von der Schriftstellerin Hildegard Maria Rauchfuß (1918-2000), das Arrangement übernahm Georgi Gogow. Durch Gogows Adern fließt bulgarisches Blut, das ist in diesem Stück sehr deutlich rauszuhören. Die Grundidee war offensichtlich, Rockmusik mit bulgarischer Folklore zu verbinden. Für Abwechslung sorgen elektronische Geigen-Spielereien, ab und zu übernehmen Schlagzeug und Akustik-Gitarre die Führung. Unterstrichen wird das Ganze noch durch die rauchige Stimme Toni Krahls.
Glanzpunkte hierbei setzt das virtuose, nicht nur hörenswerte - sollte man je in den Genuss eines Liveauftrittes der Band kommen - auch sehenswerte Geigenspiel Gogows, der damit dem Song zu seiner einzigartigen Schwermütigkeit verhilft, indem er die Geige flirren, kreischen, klagen, jammern, stöhnen lässt. In rasender Geschwindigkeit gleitet er mit Bogen und Fingern über die Saiten, sie werden gezupft, gestreichelt, aber auch 'geschlagen'. Nicht umsonst hat er den Beinahmen 'Teufelsgeiger', ja man hat den Eindruck, Gogow ist mit dem Instrument regelrecht verwachsen.
Es gibt verschiedene, kürzere Versionen, doch mit der 1978 auf LP erschienenen Fassung gab es "Am Fenster"-Vollbedienung pur: 17 Minuten und 40 Sekunden, aufgegliedert in drei Teile, nämlich "Traum", "Tagtraum" und "Am Fenster".
Hatte man die Nummer einmal gehört, saß sie fest in den Hörgängen.
Natürlich ist Citys wohl größter Hit, den Fritz Puppel in einem Interview mit RockTimes gar als »Geschenk des Himmels« bezeichnete, das Highlight auf der Platte, diese besteht jedoch nicht nur aus einer B- sondern auch aus einer A-Seite.
Mit "Es ist unheimlich heiß" serviert die Band ein Stück, das man fast schon als 'heavy' bezeichnen könnte. Der Text handelt von einem Sechzehnjährigen, der mit seinem Mädchen zum Tanzen ausgegangen ist. Da er aber noch so jung ist, muss er leider schon ans nach Hause gehen denken, während die älteren Jugendlichen noch bleiben dürfen. Tja, damals herrschte eben noch Zucht und Ordnung.
"Der King vom Prenzlauer Berg" handelt von einem Schlägertypen der, unter Alkohol stehend, gern die Fäuste sprechen lässt. Ein Rock-Song, dessen Text zum Nachdenken anregen sollte. Mit "Nachts um halb eins" bieten uns City auch mal einen feinen Bluesrocker, während "Traudl" zum Rock'n'Roll die Tanzbeine schwingt. Gemächlich ausklingen lässt man die A-Seite mit der (Prog)Ballade "Meister aller Klassen", einem Song, der durch seine ständigen Rhythmuswechsel lebt und dessen Würze die Harp von Toni Krahl ist.
Im Zuge des derzeitigen, hoffentlich noch lange andauernden Vinylbooms hat nun auch Amiga, nach immerhin 27 Jahren, alte Schätzchen aus dem Keller geholt, entstaubt und neu aufpoliert, so u. a. von Karat, Silly, den Puhdys und City.
So wie Karats Über sieben Brücken ist Citys "Am Fenster" gleichfalls eine 180 Gramm-Pressung, jedoch in roter Farbe und ebenfalls nicht remastered. Die Klangqualität von 1978 wurde genau so beibehalten wie das zu der Zeit aktuelle Platten-Cover. Alle Vinylsammler und Ostrockliebhaber (oder solche, die es noch werden wollen), können hier auf jeden Fall bedenkenlos zugreifen.
Line-up:
Georgi Gogow (Bass, Violine)
Toni Krahl (Gesang, Western Gitarre)
Klaus Selmke (Schlagzeug)
Fritz Puppel (Gitarre)
Tracklist
Seite 1:
01:Es ist unheimlich heiß (4:30)
02:Der King vom Prenzlauer Berg ( 4:55)
03:Nachts um halb eins (3:55)
04:Traudl (3:15)
05:Meister aller Klassen (5:35)

Seite 2:
01:Am Fenster (17:40)
(mit Traum, Tagtraum, Am Fenster)
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