Wie schön! Ein weiteres Stück deutscher Festival(sub)kultur, liebevoll aufbereitet in einem 4-CD-Pack, ausgesprochen stilgerechter Aufmachung und dem eindeutigen Flair von Klein-Woodstock in Germany.
"Umsonsten & Draußen", ist die Mutter aller unkommerziellen, selbstorganisierten und wunderbar zwanglosen Festivals, die in den siebziger Jahren landauf, landab von diversen selbstverwalteten Organisationen, Freaks, Machern, in erster Linie aber vor allem von Musikfans veranstaltet wurden und die es bis heute gibt. Bei freiem Eintritt (Kostenbeiträge nach eigenem Gutdünken) und eigenverantwortlicher Müllbeseitigung sollte es allein um den Musikgenuss, das gemeinsame Feiern und nicht um Konsum gehen. Der vielfach verwendete und rechtlich nicht geschützte Begriff wird verschiedenen Urhebern zugerecht bzw. von diesen reklamiert, aber auch andere Angaben sind zumindest im Rahmen dieses Reviews genauso wenig überprüfbar wie letztlich relevant.
Offiziell verwendet wurde "Umsonst & Draußen" - einigermaßen belegt - erstmals für ein Open Air in Bünde, 1972. Die Lokalband Hammerfest hatte nach englischem Vorbild (und wohl im Geist der kalifornischen 'Free Concerts') die Idee zu einem Auftritt im Steinbruch von Valdorf (woanders steht »Kiesgrube in Winterberg«), zu dem auch andere Bands aus der Region, zusammen mit 'Headliner' Embryo, anreisten. Alles wurde selbst auf die Beine gestellt und ging am 28.06.1975 erstmals über die Bühne, die aus einem Fahrzeug-Anhänger bestand. 2.000 (der Organisator Wolfgang Kuhlmann nennt sogar schon »fast 10.000«) begeisterte Fans kamen und die Idee zu einer Fortsetzung war naheliegend. Der Erfolg machte dann ein neues Gelände erforderlich, das die Stadt Vlotho auf einem Sportplatz anbot. 2008, zum bislang letzten dieser ostwestfälischen "Umsonst & Draußen"-Festivals (inzwischen in Porta Westfalica), waren 20.000 Fans aus ganz Deutschland angereist. Vom 31.07 - 02.08.2009 gibt's die Neuauflage 2009. Mehr zur dortigen Festival-Geschichte lässt sich auf der unten genannten Homepage sowie in dem empfehlenswerten Buch Von Musikern, Machern und Mobiltoiletten nachlesen, aus denen die Zitate stammen.
Die Idee machte Erfolgsgeschichte; viel lief dann bis heute unter diesem Namen, natürlich, zwar noch immer eintrittsfrei und unter freiem Himmel, längst aber mit handfesten kommerziellen Interessen und planmäßig organisiert. In Bonn werden heuer 200.000 Besucher bei einer Veranstaltung unter diesem (Co-)'Label' erwartet. Aber es gibt auch noch die kleinen Musikfeste im Land, die den ursprünglichen Geist dieser "U&D"-Idee umsetzen und just for fun Mucke zum Nulltarif auf der Wiese bieten.
Von der ersten "U&D"-Reihe in Vlotho/Porta Westfalica wurden bereits zwei LPs und zwei Doppel-LPs veröffentlicht, die hohen Sammlerwert genießen. Nun hat Sireena Records die gesamten Aufnahmen restauriert (bis auf die ersten Aufnahmen von CD1 von den Masterbändern) und erstmals in einem Sammelwerk auf Digitalträger veröffentlicht.
Was ist nun auf diesen vier Erinnerungsscheiben mit über vier Stunden Runtime zu hören? Genau das, was in dieser Zeit in den Festivalsommern quer durch Deutschland geboten wurde. Ein breites Musikspektrum, von Lokalbands mit angesagten Coverversionen, mehr oder weniger bekannten Liedermachern über schwärmerische Folkies, links- und grünlastigen (was sonst) Agit-Propgruppen bis zu schrillen Schwulentruppen. Und vor allem viel 'Krautrock' mit all seinen unterschiedlichen Ausprägungen - freakig, psychedelisch, jazzrockend, fernöstlich oder südamerikanisch angefixt, jammend oder spacig. Selbst die Fans, die zu dieser Zeit regelmäßig zu diversen Festivals reisten, werden ohne nähere Lokalkenntnis nur die bekannten Namen der Alternative-Szene wie Embryo, Missus Beastly oder Checkpoint Charlie (alle beim bandeigenen Schneeball-Label) kennen. Der Rest waren mehr oder weniger Auftrittswillige aus der Umgebung oder auch sehr kurzlebige Formationen wie die Real Ax Band (hier leider ohne ihre hochkarätige Sängerin Maria Archer), aus der später die Dissidenten erwuchsen.
Andere Gruppen waren eher Spezialisten bekannt, etwa die Münchner Out Of Focus und die mittelfränkischen Aera mit ambitionierten Jazzanleihen, die Ur-Blueser Das dritte Ohr aus Hildesheim oder Sparifankal, die bayrischen Mundart-Rock populär machten. Und als Lokalmatadoren und langjährige Macher Hammerfest, deren Entwicklung sich durch die vier Scheiben gut abzeichnet.
Aber die vier CDs bieten auch manche Überraschungen, Bands die nie bekannt wurden, originell und gut waren, aber auch schräge Sachen. Das Spektrum ist bunt und weit, so wie die Szene damals zu erleben war. Die Musik 'handgemacht', ohne elektronische Unterstützung, der Sound kam noch aus oft bandeigenen Anlagen samt zusammengeschusterter PA. Aus der heutigen Distanz tönt manches sicher ungeschliffen, amateurhaft im besten Sinn, schräg und ur-germanisch. Es gibt aber auch sehr ausgefeilte, swingende Stücke, kraftvolle Fusion, mit der mehrere Bands ihre damalige Kreativität unter Beweis stellten.
Aber unter freiem Himmel, egal ob der blau, grau oder purpurn war, klang das nach Sommer und Freiheit und sorgte für ein groovy Feeling ohnegleichen. Ein einmaliger musikalisch-emotionaler Flow über dem gesamten Gelände, selbst wenn das aus knöcheltiefem Schlamm bestand. Und für das Grundtuning sorgten neben den essentiell wichtigen Bierbuden vor allem Drittweltprodukte zum Rauchen, Schlucken, Schnupfen oder Drücken, die die Empfänglichkeit für die diversen Vibes steigerten und die Wahrnehmung für musikalische Feinheiten eher dämpften.
Die Aufnahmen sind, bis auf die ersten von 1975, von guter Qualität. Natürlich nicht mit dem Soundvolumen und der Dynamik heutiger Livemitschnitte zu vergleichen, aber sauber remastert und garantiert nicht inhaltlich retuschiert. Zusammen mit dem gut bebilderten, ausführlichen Booklet, der CD-'Vinyl'-Aufmachung samt 'vintage'-'LP'-Hüllen und der schönen, festen Schachtel für das Gesamtwerk ein Fan-Paket nicht nur für die Siebziger-Jahre-Festivalgänger und 'Krautrocker'. Auch für die heutige Generation, die nachspüren will, zu welcher Musik die 'Alten' relaxten, ausflippten und abrockten, schwer zu empfehlen!
Tracklist |
CD 1:
01:Hammerfest - Lokomotive
02:Missus Beastly - Vloflutho
03:Jack Bone Group - Himalaya Erdbeernuss
04:Embryo - Sidetrack
05:Atzen Wehmeyer - Arbeiterjugendblues
06:Hammerfest - That's What I Say
07:Buttergasse - Sonny
08:Johanneslust Orchester - In The Beginning
09:Munju - Talk To Me
10:Embryo - The Bad Times Are Gone
11:Einhorn - Wer hat Angst vor Adalbert Wallenstein
12:Hammerfest - Cross
13:Missus Beastly - Slow One (Stoppt Strauß)
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CD 2:
01:Real Ax Band - Nylon Recycled
02:Skyline - Tashiro
03:Sparifankal - I mechd di gean amoi nackad seng
04:Molle - The Joker
05:Hammerfest - Jung Siegfried
06:Es - Today
07:Checkpoint Charlie - Ausschnitt aus der Geschichte von Herrn Müller
08:Julius Schlittenheim - Drei Orchideen
09:Munju - Patscha Menga Underground
10:Moira - Improvisationen
11:Funky Bone & The Gang - Higher
12:Embryo - Getalongwithasong
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CD 3:
01:Real Ax Band - Move Your Ass In Time
02:Skyline - The Journey
03:Sadja - Dakka dhin
04:Einhorn - Einhorn Thema
05:Es - Fee Forever
06:Missus Beastly - For Flü
07:Release Music Orchestra - Sonntag
08:Munju - I Feel So Blue Without You
09:Out of Focus - Sommer 58
10:Real Ax Band - Never Never Again
11:Good Food - Take It
12:Embryo - Wir sind alle politische Gefangene
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CD 4:
01:Aera - Herr Siebert & die sieben Siebe
02:Mathea Wlömsk - Bahama Mama
03:High Crack - Anina
04:Porta Westfalica Allstars - Airto
05:Das Dritte Ohr - Don't Use Your Spray
06:Hammerfest - Wilde Zeit
07:Molle & Co - Bildertraum
08:Checkpoint Charlie - Smogalarm
09:Porta Allstars - Keine Macht für Niemand
10:Spacebox - Tape Talk
11:Julius Schlittenheim - Er dreht sich hinein ins Gehirn
12:Airbreak - Crossover
13:Missus Beastly - Porto Erotica
14:Brühwarm - Tango
15:Brühwarm - Fummelrock
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Externe Links:
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