Okay, die Aufarbeitung von Bob Dylans Lebenswerk geht weiter. Mittlerweile sind wir beim zehnten Teil der so genannten "Bootleg Series" angelangt, die - selbst wenn man sich wie immer bei Veröffentlichungen dieses Ausnahme-Artisten streiten kann - alle sehr gelungen waren. Wer Bob Dylan sowieso nicht mag, der kann hier abschalten, wegklicken, abbrechen... Die Fans von 'His Bobness' haben die Aufnahmen sowieso schon unter der Fuchtel bzw. im Schrank stehen und somit wird dieses Review wohl höchstens noch die Interessierten sowie Unentschlossenen tangieren.
Ein kleiner Griff zurück in die Zeit: Dylan hatte 1967 nach vier extrem produktiven, kräftezehrenden, selbstzerstörerischen und genialen Jahren einen 'Motorradunfall', der ihn erstmal lahm legte und abtauchen ließ. In den Jahren zuvor entwickelte sich (speziell) in den USA ein gewisser Kult, der ihn zum 'Gewissen einer ganzen Nation' werden ließ. Sehr müde dieser Tatsache (die er nie angestrebt hatte), zog sich der Zimmerman im Dylan vollkommen ins Privatleben zurück, bis er dann mit "John Wesley Harding" (1968) ein sehr intensives und mit "Nashville Skyline" (1969) ein gemäßigteres Lebenszeichen von sich gab.
Beide Scheiben waren aber bereits felsenfeste Vorboten davon, dass Bob Dylan bereits zu dieser Zeit nicht mehr dieselbe Person war, die in den Jahren 1965/66 das damalige Amerika observierte und in seine Bestandteile auseinander nahm. Nein, auf "John Wesley Harding" war ein Suchender erkennbar, der zwar anfänglich vollkommen im Leben verloren wirkte, letztendlich aber auf der richtigen Spur zu sein schien. "Nashville Skyline" war ein Country (Rock)-Album, das vom Spirit zwar sehr nah an Johnny Cash war, aber auch eines, wie es dieser niemals hätte aufnehmen können (und wollen?).
Und dann - 1970 - kam "Self Portrait". Ein Schock für jeden Dylan-Fan der Mittsechziger. Warum? Heute, da mittlerweile fast 45 Jahre verstrichen sind, lässt sich das natürlich schwerer nachvollziehen. Wenn wir uns zeitlich zurück- (und in ein anderes Land) versetzen, tobte ein Krieg in Vietnam und speziell die Teens und Twens in den USA waren aufgewühlt, verstört und in endlose zerfahrene sowie hirnwindungverwickelnde Diskussionen involviert, aus denen (logischerweise) niemand einen wirklichen Ausweg wusste. Der brodelnde, aber natürlich kaum selbstreflektierende, sich kurz vor der Implosion befindliche Underground hatte sich totgeredet und wartete händeringend auf ein Zeichen...
"Self Portrait" (allein der Titel hätte schon Bände sprechen müssen) hatte allerdings nichts mehr mit dem Bob Dylan von "Subterrenean Homesick Blues", Highway 61 Revisited oder "Blonde On Blonde" zu tun, sondern vielmehr mit einem Robert Zimmerman, der sich vor allem mit sich selbst beschäftigte. Eine Tatsache, die sich auf auf dem Folgealbum New Morning - das bei dieser Doppel-CD ebenfalls berücksichtigt wurde - aus dem gleichen Jahr und noch vielen kommenden nicht ändern sollte. Aber erstmal genug zu den Hintergründen, denn die seither verstrichenen Jahrzehnte haben auch die damaligen Kritiker etwas milder gestimmt.
Bei den hier vorliegenden über 113 Minuten Musik handelt es sich also zumeist um abgespeckte Alternativversionen von Songs, die letztendlich auf den Alben "Self Portrait" und "New Morning" landeten. Und diese, sich zumeist in einem Frühstadium befindlichen Aufnahmen, haben ihren ganz besonderen Reiz, weil man ihnen einfach näher ist, man kann viel schneller eine Beziehung zu den einzelnen Tracks aufbauen und sie gehen scheinbar auch wesentlich flotter ins Ohr. Hinzu kommen auch noch bisher völlig unveröffentlichte Songs aus den damaligen Sessions, die seither höchstens von anderen Musikern verarbeitet wurden (beispielsweise "Only A Hobo" auf dem Rod Stewart-Album "Gasoline Alley" von 1970).
Man mag über diese insgesamt 35 Songs denken, wie man will, aber meiner Meinung nach stellen sie sogar einen sehr guten Einstieg in die Musik von Bob Dylan dar. Und das nicht nur aufgrund der bereits weiter oben beschriebenen Nähe, die man sehr schnell zu ihnen aufbaut, sondern auch, weil sie in dieser Form sehr melodiös und eingängig sind. Die Fans des Amerikaners müssen (sofern sie nicht eh schon alles im Schrank stehen haben) sowieso zuschlagen, aber ich kann diesen Twofer auch allen anderen Interessierten besten Gewissens empfehlen.
Line-up:
Bob Dylan (guitars, piano, harmonica, lead vocals)
David Bromberg (guitars, Dobro)
Kelton D. Herston (guitars)
Norman Blake (guitars)
Ron Cornelius (guitars)
Al Kooper (piano, organ)
Bob Wilson (piano)
Stu Woods (bass)
Charlie McCoy (bass)
Kenneth Buttrey (drums)
Alvin Rogers (drums)
Charlie Daniels (guitars, bass)
Russ Kunkel (drums)
George Harrison (guitar, vocals)
Robbie Robertson (guitars)
Levon Helm (drums, background vocals)
Rick Danko (bass, background vocals)
Richard Manuel (piano, background vocals)
Garth Hudson (keyboards)
Peter Drake (steel guitar)
Ben Keith (steel guitar)
Happy Traum (banjo, background vocals)
Hilda Harris (background vocals)
Albertine Robinson (background vocals)
Maeretha Stewart (background vocals)
Tracklist |
CD 1:
01:Went To See The Gypsy (demo)
02:Little Sadie (without overdubs)
03:Pretty Saro (unreleased)
04:Alberta #3 (alnternate version)
05:Spanish Is The Loving Tongue (unreleased)
06:Annie's Going To Sing Her Song (unreleased)
07:Time Passes Slowly #1 (alternate version)
08:Only A Hobo (unreleased)
09:Minstrel Boy (unreleased)
10:I Threw It All Away (alternate version)
11:Railroad Bill (unreleased)
12:Thirsty Boots (unreleased)
13:This Evening So Soon (unreleased)
14:These Hands (unreleased)
15:In Search Of Little Sadie (without overdubs)
16:House Carpenter (unreleased)
17:All The Tired Horses (without overdubs)
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CD 2:
01:If Not For You (alternative version)
02:Wallflower (alternative version, 1971)
03:Wigwam (without overdubs)
04:Days Of '49 (without overdubs)
05:Working On A Guru (unreleased)
06:Country Pie (alternate version)
07:I'll Be Your Baby Tonight (Live at Isle of Wight, 1969)
08:Highway 61 Revisited (Live at Isle of Wight, 1969)
09:Copper Kettle (without overdubs)
10:Bring Me A Little Water (unreleased)
11:Sign On The Window (with orchestral overdubs)
12:Tattle O' Day (unreleased)
13:If Dogs Run Free (alternate version)
14:New Morning (with horn section overdubs)
15:Went To See The Gypsy (alternate version)
16:Belle Isle (without overdubs)
17:Time Passes Slowly #2 (alternate version)
18:When I Paint My Masterpiece (demo)
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Externe Links:
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