Delusion Squared / The Final Delusion
The Final Delusion Spielzeit: 72:56
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2014
Stil: Prog Rock

Review vom 17.5.2012


Boris Theobald
»Everything must come to an end ...« und »The story is complete.«
So steht es fett auf der Homepage von Delusion Squared, der dreiköpfigen französischen Prog Rock-Kapelle, die nach dem Debüt (2010) und II (2012) ihr drittes Album vorlegt. "The Final Delusion" ist gleichzeitig auch das Ende einer Trilogie - die drei zusammengehörigen Platten verbindet die fortgesetzte Storyline - eine finstere Sci-Fi-Zukunftsvision. Und sie verbindet auch deren musikalische Umsetzung. Im Prog Rock-Kosmos ragten und ragen Delusion Squared heraus. Die Band ist etwas ganz Besonderes. Außerordentlich markant ist die Stimme Lorraine Youngs, dieser glockenklare, intime Gesang - simpel und gar nicht all zu technisch, aber unendlich schön!
Das Problem, das auf "II" mitschwang und nun noch deutlicher spürbar wird, ist allerdings, dass die Musik zunehmend weniger für Überraschungen sorgen kann. Das führt dazu, dass die knapp 73 Minuten von "The Final Delusion" deutlich mehr sind als das, was ich hören will. Und dabei will ich - oh ja! Denn die Anfänge des Albums sind teils großartig; und womöglich haben Delusion Squared sogar das beste (Einzel-)Stück ihres bisherigen Schaffens abgeliefert ...
Der Beginn ist bombastisch. Das Instrumentalstück "The Same River Thrice" rockt und groovt geradlinig und heavy unter Zuhilfenahme von Retro-Synthesizern. Das unterstreicht, dass Delusion Squared in ihren härteren Gefilden an Bands wie Pendragon und Arena erinnern - und gerade mit der Science-Fiction-Assoziation verschwende ich auch einen kurzen Gedanken an Rushs monumentales "2112"-Intro.
Es folgen gleich Beispiele für die beiden bevorzugten Gangarten der Band. Einerseits "Diaspora": Das rifft düster und heftig, umgarnt von spacigen, kühlen (aber gar nicht mal abgedroschenen) Effekten - darüber dieser wunderbare Gesang in zauberhaften Melodielinien. Andererseits "Patient Zero": Zunächst nur Bass und Akustikgitarre. Der Gesang wirkt fragil, bittersüß und eindringlich nah. Nach und nach wird die Nummer ganz intuitiv intensiver und auch stärker instrumentiert (cool: Ein Latin-Groove schleicht sich ein). Geheimnisvolle Anspannung schwingt immer mit, aufgelöst in einem dramatischen Topping zum Schluss. Auch, wenn die anfangs so lieblich-defensive Lorraine Young in die hohen Höhen wechselt und Kraft und Intensität erhöht, ist das ein faszinierendes Hörgefühl!
Und nun? Krankenhaus-Atmo; ein Wägelchen fährt vorbei ... und sofort hab ich die Lautsprecheransage von Operation: Mindcrime im Ohr: »Dr. Blair, Dr. Blair, Dr. J. Hamilton, Dr. J. Hamilton!« Es ist bloße Einbildung. Aber dann spricht eine Krankenschwester: »Hello? Hellohooo! Here, this will help you sleep. Sweet dreams ...« 'You bastard?!' Nein, »... poor princess!«
Das bedarf jetzt einer Erklärung. Eine für die Queensrÿche-Assoziation habe ich nicht. Absicht oder Zufall - das bleibt offen. Aber die Krankenbett-Szene lässt sich, mit etwas Ausholen, einordnen.
Seit Album Nummer eins befinden wir uns in der fernen Zukunft. Es hat sich eine Art 'Elite-Menschheit' gebildet, die der verseuchten und kaputten Erde an Bord von Raumschiffen den Rücken kehrt. Zurück bleibt eine Siedlung, die aller technischen Überlegenheit trotzt und auf der unwirtlichen Erde ums Überleben kämpft, gegründet von der Protagonistin der Geschichte, der 'Mother of all people'. Auf "II" werden die entfernten Verwandten durch einen Unfall zurückgerufen. Sie sind längst zu einer Art gefühllosen Cyber-Menschen geworden. Sie machen alles dem Erboden gleich und nehmen die 'Urmutter' der einzig verblieben Menschen und ihre Tochter als Gefangene mit. Und hier sind wir nun - da liegt sie und wird mit manipulativen Mittelchen vollgespritzt. Es beginnt ein innerer Kampf zwischen Rebellion und Resignation ...
... und dieser Wahnsinns-Song: "Reason Of State". Ein bisschen mystische Atmo, und darüber anmutvolle, graziöse Akustik-Arpeggien in angeproggtem 7/8-Takt. Und alle paar Takte wird die kleine Terz zur großen - man spielt mit Dur und Moll, und mit deren Wirkung auf die besungenen Inhalte. Das ist typisch für Delusion Squared - und das wird hier so packend auf den Punkt gebracht wie nirgendwo sonst. Und (nicht nur), weil Queensrÿche doch schon mitschwangen: "Reason Of State" ist (oder wäre?) einer der besten Chris DeGarmo-Songs ever, wenn er von DeGarmo stammen würde. Ich höre die bitterschöne Fragilität von "I Will Remember", und wenn die Solo-Gitarre sich zur akustischen hinzugesellt, auch die Leidenschaft von "Anybody Listening?" Wunderbar.
Natürlich geizen Delusion Squared auch darüber hinaus nicht mit ihren feinfühligen musikalischen Fähigkeiten, und das sehr abwechslungreich: Die psychedelische Melancholie in "Last Day Of Sun", der fast feierliche, positive Chorus in "Finally Free", das glitzernd-pittoreske, introspektive Retro-Flair von "By the Lake (Dying)", schwerkräftige Düster-Dramatik in "Oblivion For My Sin" oder die Yessige, schwebend-gedankenversunkene Leichtigkeit von "Deus In Machina". Problematisch für das Durchhaltevermögen des Hörers ist aber, dass die ganz großen Hooklines und Zauber-Riffs deutlich seltener vorkommen als noch auf dem Debütalbum. Hinzu kommen spätestens ab "Finally Free", Track sieben von 13, immer wieder unnötige Längen.
Delusion Squared verstehen zwar ihr Handwerk, legen aber wesentlich mehr Wert auf das Feeling. Somit sind sie keine dieser 'Musicians' bands', die auch instrumental in ausschweifender Weise Geschichten erzählen würden. Insbesondere die fast neun gesangslosen Minuten am Stück, wenn auf das lang gestreckte Ende von "Oblivion For My Sin" die rein instrumentale Nummer "Persistence Of Vision" folgt, sind far, far too much. Damit hat man sich und den Fans keinen Gefallen getan. »The story is complete« - vielleicht ist das auch gerade gut so. Bei aller Liebe für diesen wunderbaren Sound von Delusion Squared - nach dieser Trilogie müssen sie gut darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Und ich hoffe doch sehr, dass es weitergehen wird! Aus "The Final Delusion" hätte man gut und gerne eine viertel Stunde rauskürzen können und sollen. Das erste, sagen wir mal ... Drittel, das hat es aber in sich. Und "Reason Of State" werde ich mir noch 1000 Mal anhören.
Line-up:
Lorraine Young (vocals, acoustic guitars)
Emmanuel de Saint Méen (bass, keyboards)
Steven Francis (guitars, drums)
Tracklist
Ordeal
01:The Same River Thrice (2:44)
02:Diaspora (4:17)
03:Patient Zero (5:17)
04:Reason Of State (6:51)

Awareness
05:Devil Inside (6:56)
06:Last Day Of Sun (5:23)
07:Finally Free (6:42)

Deliverance
08:Prisoner's Dilemma (6:44)
09:Black Waters (5:35)
10:By The Lake [Dying] (4:33)

Surrender
11:Oblivion For My Sin (6:46)
12:Persistence Of Vision (5:44)
13:Deus In Machina (5:22)
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