Und jetzt die Premieren-Band ... Zum ersten Mal waren District 97 in Deutschland unterwegs - und dann sogar mit 'Special Guest'. Schon die beiden Studioalben mach(t)en den Chicago-Fünfer zu einer Sensation im Prog-Bereich (und so etwas schreibe ich nicht oft). Doch live on stage konnten die vier Jungs plus Frontfrau alle Erwartungen regelrecht pulverisieren. Erwartungsgemäß ging es (nach einem kleinen Instrumental) mit "Back And Forth" los; und schon mit dem abgedrehten Tapping-Frickel-Intro des allerersten Stücks war es wirklich schwer, die lose Kinnlade im Lauf des Abends wieder einigermaßen Richtung Oberkiefer zu bekommen ...
Die Herren Tashijan, Clearfield, Mulcahy und Schang setzten mit einer derartigen Leichtigkeit die irrwitzigsten Prog-Puzzles zusammen, während Sängerin Leslie Hunt (einst in den Final-Shows bei American Idol) nicht nur umwerfend aussah, sondern auch mit überwältigender Stimme und zugleich hüpfend, tanzend, gestikulierend und immer irgendwie in Wallung die Bühne mit Leben ausstattete. Und sie spulte keine Standard-Show ab, sondern hatte ihr Publikum stets im Blick! Ach Mensch, wie schade, dass sich viel zu wenige Prog-Hungrige ins Rind verirrt hatten! Waren es hundert? Sind District 97 noch zu sehr ein Insider-Tipp? Das muss sich ändern. Wo sind die Rusher, Genesisiasten, Bart-Träger und Träumer? Jedenfalls spielte die Band wie für Tausend.
Kleine, sympathisch bemühte Ansprachen auf Deutsch von Rob Clearfield und Patrick Mulcahy ( »Wia ssind District. Siebenundnoin. Zisch! ...«) schmolzen zusätzliches Eis hinfort. Das tat gut, sind die vier Instrumentalisten doch wahrlich keine Rampensäue. Sie wirken ziemlich 'nerdy', als kämen sie direkt aus Big Bang Theory. Gefühlt 18-Jährige (natürlich nicht wirklich), die gerade ihren Doktor in Astrophysik gemacht und dabei alle Klassen und Kurse übersprungen haben. Besonders bei Drummer Jonathan Schang konnte man sich prima vorstellen, dass er eigentlich gerade dabei war, eine Formel für den Warpantrieb zu entwickeln und nebenher noch trommelte, weil er sich dann viel besser konzentrieren kann.
Hah, Fantasy-Modus aus! Und nein, das ist nicht negativ gemeint - im Gegenteil. Die Kerle sind G-e-n-i-e-s - was für eine unglaubliche (und unglaublich tighte) Vorstellung! Bei der man die ursprünglich von Cellistin Katinka Kleijn beigesteuerten Passagen beispielsweise in "Read Your Mind" gekonnt ins eigene Repertoire überführt hat. Und mit "Learn From Daddy" einen brandneuen, ungehörten Song präsentierte. Und was für ein Highlight: Rob Clearfields Keyboardsolo! Nein, keine nervige Zurschaustellung, um den Kollegen eine Pause zu gönnen, sondern das Solo mitten im Longtrack "The Thief" - nur länger. Und anders (wie ohnehin die Instrumentalfraktion selten Lust hatte, 'nach Blatt' zu spielen). Und verrückter! So etwas habe ich auch noch nicht gesehen: Jim Tashijan geht in die Hocke und beobachtet seinen Tasten-Guru aus einiger Entfernung ganz, ganz genau, als ob er mitverfolgen würde, welche Ideen der sich da zusammenspinnt. Leslie Hunt steht direkt neben den Keyboards und guckt aus der Nähe zu. Irgendwann fängt sie an zu lachen - sie war nicht die einzige im Saal. Wetten, dass keiner in der Band wusste, was der Rob da trieb und wie lange es dauern würde? Ganz groß.
Weitere Highlights waren kaum auszumachen - dazu hätte irgendeine Minute von District 97 ja auch weniger als großartig sein müssen. Vielleicht der mitreißende Power-Chorus von "Open Your Eyes" oder der Schluss-Part von "The Thief", wo Leslie Hunt ihre stärksten Moment hatte, als der Song sich in ekstatische Sphären steigerte. Der wunderbare Wahnsinn, wenn die groß agierende, kleine Frontfrau in teils avantgardistischer Manier mit Keyboards und Gitarre auch mal regelrecht um die Wette singt, der machte nie Pause. Außer ein mal kurz: ein Break vor dem zweiten Set mit Gaststar John Wetton.
Der District 97-Song mit Wetton stand dann als erstes auf dem Progamm. Nach wenigen Minuten von "The Perfect Young Man" trat der 'Special Guest' auf die Bühne - ein bisschen unpassend zur glitzernden Leslie Hunt in leicht verwaschenem T-Shirt. Etwas anders als seine Figur, war John Wettons Stimme allerdings in überraschend guter Form. Staksig stand er da und hatte der beweglichen Leslie nicht viel 'entgegenzusetzen' - außer seiner Stimme. Die war wirklich gut, erstaunlich gut.
Es folgte eine Reihe von King Crimson-Klassikern. Auch, wenn Rob Clearfield den Abend mit einem "In The Court Of The Crimson King"-T-Shirt verbrachte, konzentrierte man sich sinnigerweise auf Songs aus der Wetton-Ära Anfang/Mitte der 70er. "The Night Watch" (klasse, die surreale Atmo-Arbeit der Band!), "One More Red Nightmare" (rumpelte aufs Heftigste, man machte Metal draus!) und "Lament" kamen mystisch-episch und urig-kribbelig rüber, auch wenn man sich kurz an die stilistische Umstellung gewöhnen musste. Und immer wieder überraschend stark: der Gesang. John Wetton hatte mit den hohen und zum Teil recht schnellen, syllabischen Vocals-Passagen überhaupt keine Probleme.
Später unterstützte ihn Leslie Hunt im Hintergrund. Der straighte, simple Bombast-Chorus von "Fallen Angel" mit gedoppelten Lead Vocals ging richtig unter die Haut. Mit dem Klassiker "21st Century Schizoid Man" war dann doch noch eine Nummer aus der Prä- Wetton-Ära am Start, aber klar: Die wollen viele hören, und das bot auch den jungen Hüpfern von District 97 die Gelegenheit, der Musik zu frönen, die sie mit beeinflusst hat. Heavier, mit mehr technischen Spielereien. Als Zugabe ging es zurück zu "Trouble With Machines": "Termites". John Wetton blieb backstage - wohl auch besser so. District 97 tobten sich noch mal richtig aus, und Leslie Hunt genoss es spürbar, bei der regelrecht thrashigen Nummer so richtig Heavy Metal zu machen.
Begeistert und lautstark schaffte es das Publikum es sogar, die Band noch mal rauszulocken. Nach kurzer Beratung entschied man sich für einen Coversong, Out On The Tiles. Das - zugegebenermaßen - passte nun aber gar nicht. Trotzdem witzig war es, Leslie Hunt nach all ihren proggig-verrückten Großtaten plötzlich »Uuuh yeah ...« singen zu hören. Ein kleiner Spaß zum Schluss, der einen großartigen Musikabend beendete. Na ja, eigentlich ging er noch weiter - keine zwei Minuten nach Ende des Konzerts stand die komplette Band schon hinter dem Merch-Stand und signierte, quatschte, ließ sich fotografieren ...
Danke an Florian Haupt vom Rind für die unkomplizierte Akkreditierung!
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