Spielzeit: 187:00 (DVD1), 164:00 (DVD2), 43:23 (CD1), 61:08 (CD2), 58:57 (CD3) Medium: CD/DVD-Box Label: Roadrunner Records, 2008 Stil: Prog Metal Review vom 15.10.2008 Boris Theobald

Also Dream Theater... die machen nun wirklich keine Gefangenen. Schon wieder eine DVD - und doch ist vieles anders als gewohnt. Denn für "Chaos In Motion 2007-2008" haben die Progmetal-Überväter keine Show aufgenommen, sondern präsentieren einen Mitschnitt von der ganzen Tour. Die Aufnahmen stammen von Shows in Rotterdam, Buenos Aires, Toronto, Vancouver, Boston - und Bangkok, einer von mehreren Exotenstationen auf der 115 Shows umfassenden Mega-Welttournee.

Anders als gewohnt gibt es dieses Mal allerdings auffallende Qualitätsmängel bei Bild und Ton. Verwackelte Kameras, vorübergehende Unschärfen, ja sogar verpixelte Bilder schleichen sich immer wieder ein - bei manchem Spielort mehr ("Blind Faith" und "Surrounded" aus Toronto!), bei manchem weniger. Auch die Tonqualität schwankt. Nicht immer sind Einsätze von Keyboard oder Gitarre auf den Punkt präsent; die Snare klingt zuweilen dumpf und der Gesang oft zu hintergründig und fast wie mit einem unfreiwilligen Effekt unterdrückt.

Natürlich ist man noch weit entfernt von Bootleg-Qualität, aber auch meilenweit von Shows wie "Live At Budokan". So sind beispielsweise auch Lichteffekte und Kameras wenig aufeinander abgestimmt. Es ist eben nicht so 'perfekt', wie man eine einzelne, akribisch vorbereitete Show aufnehmen würde. Trotzdem wird mit zahlreichen Kameras gearbeitet - auch wenn sie mal wackeln und mal suchen ist am Ende immer das richtige Instrument im Bild. Die 'Mängel' - wenn man es so nennen will - machen die ganze Chose aber auch mit jeder schrägen Kameraperspektive auf eine sympathische Weise authentisch.

Keinerlei Kompromisse gibt es freilich bei der dargebotenen Musik! Die Band spielt überirdisch präzise und erweist sich wieder einmal als überaus variationsfreudig: Jordan Rudess wechselt hier und da den Sound, und Mike Portnoy, der spielt ohnehin, was er will und hält sich selten ans Original. "Blind Faith" bekommt ein Piano-Break, "Lines In The Sand" und das geniale Schlussmedley längere Vorspiele... doch was sie mit dem in der Studio-Fassung 5:28 langen "Surrounded" anstellen, treibt einem Tränen des Glücks in die Augen. Eine viertel Stunde dauert diese Fassung samt musikalischer Liebeserklärungen an Pink Floyd ("The Wall") und Marillion ("Sugar Mice").

Wie immer überraschen Dream Theater auch optisch mit viel Neuem: John Petrucci mit (wieder) längeren Haaren und (immer) dickeren Armen - Jordan Rudess mit einem mobilen Keyboard zum Umhängen. Zu meckern gibt's nicht viel, nur dass James LaBrie sich nach zuletzt großartiger Form etwas wechselhaft präsentiert, von strapaziert bis exzellent - vielleicht einfach das Spiegelbild einer langen Tour. Ein großes Lob geht mal wieder an Mike Portnoy, der die Tracks zusammengestellt hat - neben vielen brandneuen Chaos-Songs sind Stücke wie "Scarred", "Blind Faith" und "Panic Attack" dabei, die es noch auf keinem Live-Medium der Band zu kaufen gab.

Zwischen die Songs wurden Interviewausschnitte und Backstagematerial gepackt - immer wieder zum Schreien: Pausenclown Portnoy! So bekommt die erste DVD fast den Charakter einer überdimensionierten Bonus-Disc... Die gibt's aber trotzdem noch, und das Bonusmaterial fällt üppig aus - lang, aber nicht langweilig. Herzstück der zweiten DVD ist der 90-minütige Doku-Film "Behind The Chaos On The Road", der vor allem den Gigantismus dieser Tour zum Thema hat und alle Beteiligten vom Busfahrer bis zum Koch unter die Lupe nimmt...

...und natürlich die Band. Wer wissen will, was in John Petruccis Schublade steckt, wie hoch das Starbucks-Budget der Band ist, welche Spitznamen James LaBrie von Jordan Rudess bekommt, wohin sich der Sänger während der Gesangspausen verzieht, wie Mike Portnoy deutsche Autobahn-Schilder fehlinterpretiert (»How big is Ausfahrt?!«) und welche Rituale jeder einzelne bis kurz vor der Show praktiziert, der wird hier vollends befriedigt - Riesen-Gaudi garantiert! In Interviews reden die fünf (ja, auch John Myung!) ziemlich frei von der Seele über Familie, Musik und über einander. Viel Material wurde rund um die Show in Frankfurt gedreht - Jordan Rudess streunt sogar mal durch die Stadt.

Einschließlich Promo-Videos und den Hintergrund-Filmchen von der Tour (super: fünf Comic-Helden als musikalische Monster-Bezwinger und Retter New Yorks zu "The Dark Eternal Night") kommt allein das Bonus-Material auf mehr als zweieinhalb Stunden Spielzeit - "Chaos In Motion 2007-2008" insgesamt auf knapp sechs Stunden. DVD 2 ist intim, informativ, unterhaltsam - DVD 1, wie gesagt, anders: roh, authentisch, dokumentarisch. "Chaos In Motion 2007-2008" ist für eingefleischte DT-Liebhaber eine fabelhafte Ergänzung zum bisherigen Live-Repertoire - aber keine Pflicht für Quereinsteiger. Mehr als zum Kennenlernen taugt dieses DVD/CD-Paket zum Noch-genauer-kennenlernen.

Line-up:
James LaBrie (vocals)
John Petrucci (guitar)
Mike Portnoy (drums)
Jordan Rudess (keyboard)
John Myung (bass)