Dream Theater und der Malmsteen-Quotient
oder...
Warum wir (nicht) zu jeder Tour die passende DVD brauchen
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Zwischenruf vom 11.10.2008


Boris Theobald
»Abzocke«, »da wird den Fans das Geld aus der Tasche gezogen« - das sind des öfteren die Reaktionen von Fans auf die seit Jahren andauernde DVD-Veröffentlichungsflut vor allem größerer Bands im Musikbereich. Tatsächlich hat es sich so eingebürgert - und das ganz ohne Einbürgerungstest! - dass Bands zu jeder Tour auch eine DVD unters Volk bringen. Aber ist das nun ein tolles Angebot an die Fans zu Zeiten, in denen die technische Umsetzung einer Konzertaufzeichnung so viel einfacher geworden ist als das früher der Fall war? Oder ist es doch - wie es so mancher Nörgler schimpfend bemerkt - die hässliche Fratze des Kommerzes, die unseren mitunter dünnen Portemonnaies ihre räuberischen Zähne entgegenfletscht?
Da haben wir schon wieder einen Fall - Dream Theater veröffentlichen ein fettes DVD/CD-Boxset namens "Chaos In Motion 2007/2008". Auch die geneigte Fachpresse behalf sich in deren Ankündigung mit Ausdrücken wie "mal wieder"... tja und tatsächlich knacken die New Yorker Progmetal-Helden mit ihrer DVD-Taktung schon fast den 'Malmsteen-Quotienten'. Mit diesem errechnen angesehene Musik-Business-Ökonomen gewisse Konstanten bzw. das Fehlen solcher im Musikgeschäft. Maßgebend ist der Sängerverschleiß Yngwie Malmsteens. Yngwie kommt seit "Rising Force" (1984) in 24 Jahren von Soto bis Owens auf neun Sänger, Boals nur ein Mal gezählt... Dream Theater debütierten 89, mal sehen... Tokyo, 5 Years, NY, Budokan, Score, Chaos...
BERECHNUNG DES MALMSTEEN-QUOTIENTEN:
(Mein Physiklehrer von früher möge mir verzeihen, dass die Einheiten nicht identisch sind...).
Wenn man die Live-CDs ohne Video-Äquivalent dazurechnen würde, lägen Dream Theater sogar schon über dem Malmsteen-Quotienten! Und nicht nur Dream Theater machen Dampf... Rush verwöhnen uns zu jeder Tour mir einer DVD, auch mit Snakes & Arrows. Bei Rush (Malmsteen-Quotient 0,176, "Chronicles" und "Through The Camera Eye" mitgerechnet 0,235) spielt mit jeder DVD jedoch das mulmige Gefühl mit, es könnte die letzte sein - siehe Toto. Die hatten ebenfalls heftig ihren Malmsteen-Quotienten gepimpt und uns mit Falling In Between schon wiiiiiiieder eine DVD zurechtgeschnitten... und plötzlich war's vorbei mit der Toto-Herrlichkeit und eben jene DVD wurde zu einem Vermächtnis! So schnell kann's eben gehen...
Woran liegt es nun, dass so viel veröffentlicht wird? Oft dürften vor allem die Plattenfirmen größtes Interesse nach neuen Releases haben - schließlich muss das Geschäft brummen! Aber auch die Musiker, zumal viele ihrer Zunft das Rampenlicht nicht verschmähen, haben heute ein gewachsenes Bedürfnis nach Öffentlichkeit im verstärkten Konkurrenzkampf. Aber auch wir Konsumenten sind doch um einiges ungeduldiger geworden. Tja, wenn's keiner kaufen würde... wir haben es halt selbst in der Hand.
Wir haben es selbst in der Hand, und das bedeutet, wir müssen die Teile ja nicht kaufen! Uiuiui, was wäre denn das? Gewerbsmäßige Zwangszueignung als Gegenstück zur Zwangsenteignung? Nein, wir können frei entscheiden aus einer Fülle von Angeboten, die uns heute ganz nah an der Entwicklung unserer Lieblingsbands teilhaben lassen. So lange das nicht dazu führt, dass keiner mehr auf Konzerte geht, weil's die Mucke auch im Wohnzimmer-Format gibt... beim Fußball sind trotz des zunehmenden Übertragungs-Marathons die Leute aber auch nicht daheim geblieben! Und selbst, wenn alle größeren Gigs bald live ins Wohnzimmer flimmern... im Musikbereich sind doch eher die unverschämten Ticketpreise Schuld, wenn weniger Leute zu Konzerten pilgern!
Einen Nachteil hat die Veröffentlichungs-Wut vielleicht doch... die Zeiten, in denen eine Band nach 20 oder 30 Jahren auf dem Dachboden kramt und unveröffentlichtes Material findet, die dürften vorbei sein. Nichts ist mehr mit Veröffentlichungen von lange verschollenen Uralt-Aufnahmen, wenn alles sofort rausgehauen wird, nur weil es so einfach geworden ist und jeder es erwartet. Jaja, bei unserer heutigen Erwartungshaltung lässt sich die verlustig gegangene Geduld nicht künstlich rekultivieren.
Viel Geduld brauchen auf der anderen Seite zum Beispiel die Fans von Vanden Plas. Die Prog-Metaller mit noch nicht messbarem Malmsteen-Quotienten wollten anno 2007 beim Prog Power Festival in Atlanta endlich ihre erste DVD aufnehmen... bevor ein überfleißiger Ami-Zöllner die potenziellen Terroristen aus der Pfalz wieder ins nächste Flugzeug zurück nach Deutschland steckte (siehe Interview mit Günter Werno). Sollten Vanden Plas eines Tages doch noch einen Malmsteen-Quotienten über 0,3 erreichen, dann werden wir zur Stelle sein und ganz genau prüfen, welche DVD wir empfehlen können und welche eben nicht. Dafür sind wir bei RockTimes ja da - dann braucht selbst der größte Fan nicht alles blind zu kaufen, und keiner ärgert sich über »Abzocke«.