Echoes / Nature | Existence
Nature | Existence Spielzeit: 53:10
Medium: CD
Label: Prog Rock Records, 2010
Stil: Prog Metal


Review vom 19.04.2010


Boris Theobald
Aus Venezuela kommt dieser wunderbare progressive Schmachtdiskus, den kein Freund anspruchsvollen, modernen Fortschrittlichkeits-Schwermetalls ungehört lassen sollte! "Nature | Existence" lautet der Name eines der glanzvollsten Band-Debüts in der jüngeren Prog Metal-Historie - Echoes (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen deutschen Pink Floyd-Covertruppe!) der Name der hochbegabten Verursacher desselbigen.
Die südamerikanischen Instrumental-Metaller mit Gastsängern präsentieren sich auf ihrer allerersten Scheibe erstaunlich reif, distinguiert und individuell. Ihre Musik steht nicht nur in der Tradition wegweisender Prog-Acts wie Queensrÿche (spannungsgeladene Akkorde, wehmütig und dramatisch schöne Gitarrensoli!) und Dream Theater (ein atemberaubendes, polyrhythmisches Technik-Feuerwerk und verzwicktes Songwriting!). Echoes haben hörbarerweise auch bereits eine ganze Nachfolgegeneration an Bands in Sound & Songs verarbeitet.
Dunkel eingefärbt, nachdenklich, sehr emotional ist der Ausdruck der Musik. Finstere, harte Gitarren prägen den Klang, doch immer wieder bleibt viel Platz für ruhige, wenngleich sehr spannungsgeladene Passagen, ausgefüllt mit zahllosen Details, reich garniert mit modernen Computersamples. Und immer wieder wartet man, bis die Spannung Überhand nimmt und wieder der atmosphärische Power Metal durchbricht.
Los geht es mit "Epilogue (...Is Where We Start)". Der Name erscheint zunächst paradox, doch bei genauerem Hinsehen ist es der Beginn einer Geschichte, die sich durch das ganze Album zieht. Eine Geschichte, der keine Handlung zu Grunde liegt, sondern die einzig die Gedankenwelt eines Protagonisten darstellt - ein beklemmender Blick in ein Seelenleben voller Selbstzweifel, aber auch wenigen Lichtblicken, die nicht selten an das Fates Warning-Meisterwerk
A Pleasant Shade Of Gray erinnert. Es geht um elementare Fragen des Seins, wie es der Titel des Albums ja bereits ausdrückt. Die poetischen Lyrics handeln von Vergänglichkeit und dem ewigen Kreislauf des Lebens.
"Epilogue (...Is Where We Start)" ist einer von einer Hand voll reinen Instrumentaltiteln, und hat trotzdem, wie die anderen auch, im Booklet der CD einen zugehörigen Text. Es heißt also: die Musik auf sich wirken, und die Worte dazu arbeiten lassen:
»This is how the story ends and begins again
Born from the sun, we never forget, we never forgive
White gives way to green, wind gives way to rain
Our hearts relieved a new chapter written...«
Es beginnt mit melancholisch anmutenden Gitarren-Arpeggien mit einem leicht 'exotischen' Klang, wie ich ihn noch nie gehört habe. Vielleicht ist es sogar die 'Cuatro' ein traditionelles venezolanischen Musikinstrument, ähnlich der Ukulele... das setzen Echoes nämlich auch ein und verleihen ihrer Musik diesen ganz leichten, heimischen Anstrich mit einem Hauch von Folk. Dazu hypnotische Computersamples - welch ein genialer Gegensatz! Ein ganz kurzes Fill des Schlagzeugs, kaum zwei Schläge lang, dazu ein bisschen Crescendo am Becken. Eine weitere Gitarre ist zu hören, mit ein paar Tönen, fast minimalistisch im Hintergrund. Sie spielt nur Fetzen einer beklemmenden Melodie, mal zwei, mal drei Töne. Wie lautmalerische Wassertropfen. Trostlos, und doch baut sich ganz rasch eine hohe Spannung auf. Fates Warning und Tool sind Namen, die mir durch den Kopf schwirren.
»...So much we want to do, so many opportunities
Not knowing where I begin and where this ends
Alone and unaware, stumbling like a newborn into the world
Where some seasons pass and others remain«
Atmosphärische Keyboard-Teppiche kommen hinzu und bauen Dramatik auf. Dann kommt noch eine verzerrte Gitarre hinzu, der Klang wird immer dichter, intensiver. Nach einer Minute ist ein bombastisches Stück orchestraler Power Metal entstanden. Sensationell gefühlvolle Soli von Gitarre und Keyboards. Ein rhythmischer Unterbau, der sich von Takt zu Takt wandelt und weiterentwickelt. Eine faszinierende Detaildichte in einem trotz packenden Bombasts glasklaren Klang. Jetzt sind es eher Bands wie Pyramaze oder Kamelot, die musikalisch Pate stehen. Selten habe ich es erlebt, dass ich schon bei einem Intro Gänsehaut auf dem Pullover hatte...
Nahlos geht es weiter mit "Rude Awakening", das Gitarrenthema wird vom Klavier aufgegriffen. Typisch für Echoes, ist die Strophe in ein Trance-artiges Ambiente gehüllt. Es singt Carl Webb (Oceanwerks), einer von vier verschiedenen Sängern auf dem Album. Nach der zurückhaltenden und introvertierten Strophe aus Klavier, Akustikgitarre und Samples, folgt fast explosionsartig ein ergreifender Power-Refrain im Stile von Vanen Plas, danach einige überraschende B-Parts mit epischer Prägung, heavy, ideenreich und fesselnd, cineastisch und Thriller-like, voller Ecken und Kanten. Carl Webbs Gesang ist großartig; er hat dieses 'Kehlige' von Mischa Mang.
Der eher sanfte Gegenpart ist Nick Storr (The Third Ending) bei "Leaf Motif", das in einfühlsamen Momenten an Artemisia von Sun Caged erinnert. Aber auch hier gibt ganz schön brachiale Gitarrenwände. Tobias Jansson (Silent Scythe, The Law) hat im düster harten "Unfair" einen glänzenden Auftritt. Druckvoll, rhythmisch sehr divers nach vorn getrieben erinnert das Stück an Redemption. Der Gesang ist glasklar, inbrünstig, leidenschaftlich, technisch versiert. In der Wirkung ähnlich wie D.C. Cooper. Und was für ein Refrain - das ist wirklich ganz groß; eine Hookline, die sich Tage und Wochen lang nicht aus dem Kopf bekommen lässt...
»We fail to get really involved
We fail to distance ourselves
We fail to forgive fail to forget
We fail to see our horrors untold«
Bei "Far From Coincidence" ist zum zweiten Mal Carl Webb zu hören, dieses Mal erinnert er mich an Mats Léven, was für seine Wandlungsfähigkeit spricht. Der Song ist eine Progressive Power Metal-Perle, teils im Stile von Symphorce dank platt machender, von Breaks durchsetzten Riffs. Dazu diese Echoes-typischen elektronischen Ambient-Elemente mit Fesselwirkung. Und wieder ein Aufbau zum Zungeschnalzen - keine Strophe gleicht einer anderen, kein Chorus ohne Weiterentwicklung.
Pedro Castillos (Tempano, Aditus) hat den letzten Gesangs-Einsatz des Albums beim vorvorletzten Track "Winds Of Dread" - ein in surrealen Parallelwelten schwelgender Song mit verzerrten Vocals in neo-floydigem RPWL-Gewand mit Saxofon-Solo..
Die letzten Etappen des Albums sind wieder rein instrumental. Und was Echoes an ihren Instrumenten alles anstellen, verdient höchste Anerkennung. Sie jagen von einem Höhpunkt zum nächsten, sei er nun eher geprägt von übermenschlichem Prog-Gewirbel à la Circus Maximus wie in "Lullaby" oder grandiosen Melodien wie im verträumt-optimistischen "Bonfires", das rein emotional auf Fates Warnings "Parallels" gepasst hätte.
"Despair" profitiert zudem ebenso wie "Winds Of Dread" von einem Saxofon-Einsatz. Die entsprechende Passage erinnert mich unweigerlich an Queensrÿches "Promised Land". So wie auch das elegisch-fragile "Farewell", das von Klavier, Akustikgitarre und einem Streichquartett interpretiert wird - ein Hauch von "Lady Jane". Den Vergleich mit "Promised Land" haben sich Echoes im Übrigen auch für ihren Mut zu klanglichen Experimenten verdient. Und das macht eine Prog-Platte ebenso wertvoll wie technische Extraklasse und kompositorische Extravaganz. All das hat die Band im Überfluss. Außerdem habe ich seit "Images And Words" kaum ein Prog Metal-Werk gehört, das derart gelungen schwermetallische Härte mit emotionalem Tiefgang verbindet. Ein fast vollkommenes Album, und das Prog-Jahr 2010 hat auf jeden Fall ein Highlight.
»And even with a heart broken and tears in my eyes
I needed to tell you, this is where I end and where this story begins.«
("Prologue (Where We End...)")
Line-up:
Javier Landaeta (electric, nylon string, acoustic 12 string and lapsteel guitar)
Antonio Silva (electric and nylon string guitar)
Rafael Sequera (electric, nylon and 12 string guitar)
Alfredo Ovalles (keyboards, percussion - # 7, slide guitar - #2)
Miguel Angel Moline (drums)
Jorge Rojas (bass guitar)

Guest Musicians:
Carl Webb (vocals - #2, 8)
Nick Storr (vocals - #3)
Tobias Jansson (vocals - #6)
Pedro Castillo (vocals - #10)
Dave Duffus (saxophone - # 9, 10)
Tracklist
01:Epilogue (...Is Where We Start) [2:48]
02:Rude Awakening (6:32)
03:Leaf Motif (6:12)
04:Lullaby (4:21)
05:Bonfires (3:21)
06:Unfair (6:15)
07:Seasons Came To Pass (1:45)
08:Far From Coincidence (4:15)
09:Despair (5:33)
10:Winds Of Dread (3:40)
11:Farewell (3:32)
12:Prologue (Where We End...) (4:48)
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