Mein lieber Mann - was für ein Konzert! Nach diesem Gig war mir mal wieder völlig klar, dass das Leben eines RockTimes Redakteurs nicht nur aus zeitaufwändiger (aber natürlich gern gemachter!) Mehrarbeit besteht, sondern auch eine ganze Menge Vorteile mit sich bringt. Fast zwangsweise wird der ganz persönliche musikalische Horizont immer mehr erweitert, und man lernt jede Menge Bands und Musiker kennen, von denen man bisher noch rein gar nichts gehört hatte. Und wenn es sich der Redakteur noch zur regelmäßigen Aufgabe gemacht hat, auch die anderen Beiträge des eigenen Magazins konzentriert zu lesen, dann kommt es mit Sicherheit zu einigen sehr wertvollen Anregungen in Richtung Konzertbesuche. So profitieren die Leser von der Redaktion und die Redaktion von den Lesern. Und genau das ist ja schließlich das Anliegen von RockTimes.
Aber ich schweife jetzt etwas zu weit ab. Schluss mit der Philosophiererei! Fakt ist: Durch die beiden Konzertberichte von Birgit und Uwe Heller und Tom H. Machoy wurde ich auf Henrik Freischlader und seine Jungs aufmerksam und neugierig. Dazu kam die CD-Review vom Kollegen Joachim über das Debüt-Album The Blues, und mein Interesse war endgültig geweckt. So war der nächste Live-Termin in meinem Einzugsbereich beschlossene Sache. Diese Band durfte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Das versprach einen ganz heißen Abend.
So startete ich also zu meinem ersten Konzertbesuch einer Band, von der ich noch keinen einzigen Ton gehört hatte. Das fiel natürlich auch gleich den Redakteuren von 'Radio Okerwelle' auf, die mich mit einem leicht ironischen "Oh, die Firma RockTimes taucht auch mal bei einer Newcomer-Band auf" herzlich begrüßten. Ja, ja, so sind sie, die lieben Kollegen. Immer einen Scherz auf den Lippen! Gemeinsam hörten wir uns die letzten Töne des Soundchecks an, denn die Gruppe war erst sehr spät in Isernhagen angekommen, nachdem sie für die Strecke Wuppertal - Hannover sechs Stunden auf der Autobahn zugebracht hatten. Jedenfalls hörte sich das alles schon sehr vielversprechend an. Vor allem die Stimme des erst dreiundzwanzigjährigen Henrik Freischlader ging sofort unter die Haut. So ein Organ traute man dem jungen, fast zierlichen Mann gar nicht zu. So was nennt man wohl eine echte 'Bluesröhre'. Die freudige Erwartung wurde größer, das Konzert konnte kommen.
Erstaunlich war für mich, dass das Publikum vorwiegend aus älteren Leuten bestand. Selbst neben der Stammbesetzung der 'Bluesgarage' waren doch viele Fans im gesetzten Alter anwesend. Also hatte sich die Klasse des Jünglings auch in diesen Kreisen schon herumgesprochen. Ebenfalls ein untrügliches Zeichen für ein gutes Konzert, denn wenn so viele 'alte Zausel' auf die Piste gehen, dann wird etwas ganz Besonderes erwartet. Trotzdem hätte ich mir doch etwas mehr Resonanz gewünscht. Aber wie bei so vielen Acts dieses Genres hielt sich der Zuschauerzuspruch auch bei der Henrik Freischlader Band arg in Grenzen. Ich bin mir aber ganz sicher, dass nach diesem Auftritt beim nächsten Mal wesentlich mehr Musikverrückte den Weg nach Isernhagen finden werden. Dafür werden die Konzertberichte und die Mundpropaganda untereinander schon sorgen.
Um 22.00 Uhr begann das Set der Band, die heute, verstärkt durch den Birth Control Keyboarder Sascha Kühn, zu viert auftraten, der auch auf der ersten CD "The Blues" mit dabei war. Durch ihn wurde das Konzert noch vielseitiger und abwechslungsreicher, denn er brachte sich mit verschiedenen Soloeinlagen an Orgel und Klavier immer wieder perfekt in das Konzert ein. Dabei variierte sein Orgelspiel zwischen einem schweren fast Hammond-artigen Sound und einer rein begleitenden Funktion und sorgte so für einen unheimlich dichten Rhythmusteppich.
Bassist Oliver Schmellenkamp powerte die tiefen Töne mit so einer ungeheueren Wucht aus den Boxen, dass einem die Gedärme nur so im Körper vibrierten. Dabei wirkte er völlig ruhig und entspannt. Ohne sich großartig zu bewegen agierte er eher unauffällig und machte trotzdem einen hervorragenden Job. Der gefragte Studiomusiker trat nur einmal in den Vordergrund, als er zu einem richtig heißen Solo ansetzte und so das Publikum zu einem begeisterten Zwischenapplaus animierte. Dieser Mann ist wirklich großartig. Trotz der stoischen Ruhe brodelt hier ein wahrer Vulkan voller Dynamik und Energie.
Die Felle und Becken bearbeitete bei diesem Auftritt in Isernhagen 'Aushilfsschlagzeuger' Micky Neher, der den eigentlichen Stammschlagzeuger Dirk Sengotta vertrat. Und auch er braucht einen Vergleich mit anderen Berufskollegen in keinster Weise zu scheuen. Unheimlich trocken und präzise kamen seine Schläge, in die er seine ganze Kraft hineinlegte. Andererseits bewies er viel Feinfühligkeit bei den ruhigen Parts. Sein Zusammenspiel mit dem Rest der Band funktionierte perfekt. Es ist mir völlig rätselhaft, wie so etwas zustande kommen kann, wenn man ganz kurzfristig ins kalte Wasser eines Live-Auftrittes geworfen wird. Dazu gehört neben einem großen Können auch eine enorme Anpassungsfähigkeit.
Last, but not least der Namensgeber und Bandleader Henrik Freischlader. Korrekt bekleidet mit Sakko und einer etwas gewöhnungsbedürftigen Schirmmütze à la Brian Johnson, ist der Mann vom ersten Ton an voll bei der Sache. Ständig in Bewegung scheint er bei jedem noch so kurzen Gitarrensolo fast abzuheben. Jeder seiner sehr sauber gespielten Töne unterstreicht er mit einer wildverzerrten Mimik und vermittelt so eine noch größere Intensität seiner Arbeit an den sechs Saiten. Dazu spielt er mit einer Geschwindigkeit, mit der er sich durchaus mit einem Alvin Lee in Bestform messen könnte. Leicht und locker fetzt er die Gitarrenläufe aus der Anlage, um dann gleich wieder zum nächsten Gesangspart am Mikrofon zu stehen. Scheinbar ohne jede Anstrengung bewältigt er so auch die längsten seiner Ausflüge, um sich dann cool und artig lächelnd für den Applaus zu bedanken.
Enorm stark ist auch die Vielseitigkeit der Henrik Freischlader Band. Neben den eigenen Songs von der "The Blues"-CD gibt es Titel von Peter Green, Johnny 'Guitar! Watson und Stevie Ray Vaughan auf die Lauscher. Egal ob Slow-Blues oder Boogie, Ballade oder Rocksong, Henrik Freischlader hat das richtige Timing parat. Nichts ist ihm fremd, als ob er seit Jahrzehnten nichts anderes gemacht hätte als Gitarre zu spielen. Längst ist mir klar, dass hier eben einer der besten Gigs abläuft, den ich in der letzten Zeit miterlebt habe. Selbst wesentlich bekanntere Leute wie Aynsley Lister und Joe Bonamassa, die bestimmt nicht schlecht waren, kamen an dieses Konzert nicht heran. Auch ein Julian Sas konnte keinen großen Klassenunterschied zu dieser jungen Band herstellen.
Und noch fehlte ja das Finale. Das Ganze begann mit einem exzellenten Schlagzeugsolo und ging dann in den ' Jimi Hendrix-Gedächtnisteil' über. Zunächst brach "Fire" über die Zuhörer herein, um dann von "Voodoo Chile" abgelöst zu werden. An beiden Songs hätte Jimi wohl seine echte Freude gehabt, so professionell wurden die Titel hier gecovert. Endgültig geschlagen gegeben hätte er sich aber spätestens, wenn er miterlebt hätte, wie Henrik Freischlader über fünf Minuten mit der Gitarre auf dem Rücken die Saiten bearbeitet hat. Denn dann hätte er vermutlich mit einem Wirbelsäulenschaden die Segel streichen müssen.
Abschließendes Fazit und auch die einhellige Meinung der Zuhörer: Dieses 150 Minütige Konzert gehörte zu den besten Liveauftritten der letzten Zeit, und es wird schwer werden, dieses Erlebnis noch zu toppen. Da wird sich jeder noch so bekannte Topact mächtig anstrengen müssen, um an die Klasse der Henrik Freischlader Band heranzukommen. Bei einer entsprechenden Promotion werden wir noch viel von dieser Formation zu hören bekommen. Und ich ganz persönlich bedanke mich nochmals bei unseren wunderbaren Gastschreibern, ohne die ich diesen Gig niemals miterlebt hätte. Ihr habt mir zu einem musikalischen Highlight verholfen!
Henrik Freischlader Band In Concert , 27.05.2006, Bluesgarage Isernhagen
Jürgen Bauerochse, 27.05.2006
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