Gov't Mule / The Georgia Bootleg Box
The Georgia Bootleg Box Spielzeit: 385:04
Medium: CD-Box
Label: Provogue/Mascot Label Group
Stil: Bluesrock / Jamrock

Review vom 20.11.2012


Jürgen Hauß
Hand auf's Herz! Wer braucht diese Mammut-Box? Die Wiedergabe von drei Konzerten von Gov't Mule aus dem Jahr 1996, aufgenommen an drei Tagen hintereinander an drei unterschiedlichen Spielstätten im US-amerikanischen Bundesstaat Georgia, jeweils gepresst auf zwei CDs, die inhaltlich wie musikalisch eine derartige Nähe untereinander aufweisen, dass man ohnehin schnell geneigt ist, die Notwendigkeit dieser umfänglichen Dokumentation in Frage zu stellen.
Und dann noch die Ankündigung einer "Bootleg Box"! Da denkt man unweigerlich an einen nicht-autorisierten Konzertmitschnitt auf einem alten Kassettenrekorder hinten aus der letzten Reihe mit dem Ergebnis mangelhafter Klangqualität. Um direkt etwas Positives vorweg zu nehmen: Dem ist - jedenfalls im Großen und Ganzen - nicht so! Und dennoch: In Zeiten, in denen die Band praktisch jedes ihrer Konzerte zum Download im Netz anbietet, so dass die Zahl verfügbarer Musik-Konserven von Gov't Mule geradezu inflationär ist, erschließt sich die Berechtigung für das vorliegende Opus nicht auf den ersten Blick, vor allem, weil der musikalische Mehrwert, gemessen an dem Umfang der Box, relativ gering ist.
Allein dreizehn Songs wurden bei jedem dieser drei Konzerte und damit (mindestens) drei Mal gespielt; vier weitere Titel wurden bei immerhin zwei Konzerten dargeboten, so dass von den insgesamt 65 Tracks ganze elf Titel nur jeweils ein Mal vertreten sind. Zudem ist die Set-List insbesondere im ersten Teil der drei Konzerte weitestgehend identisch, und auch die überwiegend sehr ähnlichen Laufzeiten der einzelnen Songs lassen keine großen Improvisationen erwarten, die die Interpretationen voneinander unterscheiden könnten. Da kann schnell Langeweile aufkommen. Die Feststellung, dass die Jungs von Gov't Mule es langweilig finden, bei jedem Auftritt das Gleiche zu spielen, so dass bei zwei Auftritten an zwei Tagen hintereinander in der langen Playlist nur auf drei Positionen Übereinstimmung zu finden war, gilt offenbar nicht für die Anfangszeit der im Jahr 1994 gegründeten Band. Im Booklet der vorliegenden Box bestätigt Warren Haynes in seinen Liner Notes, dass das Repertoire der Band damals noch »small« war, wahrscheinlich liegt es also daran.
Musikalischer Mehrwert fehlt auch zu einem Großteil deshalb, weil die meisten der Songs mittlerweile zu Standards der Band geworden sind. Wer - wie ich - in der Folgezeit weitere, insbesondere Live-Mitschnitte der Band gesammelt hat, wird mit dieser Box zahlreiche weitere Übereinstimmungen bekommen. Aus heutiger Sicht klingt es daher schon merkwürdig, wenn in den Konzerten mehrfach »another new song« angekündigt wird, den man bereits seit langem kennt. Da ist es schon fast verwunderlich, dass das in einem früheren Konzertbericht als der »Haynes'sche Jungklassiker« bezeichnete "Soulshine" an keinem der drei Abende gespielt wurde (möglicherweise hat die Band den von Haynes zwei Jahre zuvor für die Allman Brothers Band komponierten Song auch erst später in ihre Liveauftritte übernommen).
Interessant ist allerdings, dass mit "Blind Man In The Dark", "Thelonius Beck", "Game Face", "Birth Of The Mule" sowie "John The Revelator" insgesamt fünf Songs in der Tracklist dabei sind, die erst zwei Jahre später auf der Studio-CD "Dose" erstveröffentlicht werden sollten. Insbesondere beim letztgenannten Song ist es schon erstaunlich, wie dieser sich von den vorliegenden Live-Perfomances bis zur Studio-Aufnahme hin entwickelt hat. Man hat den Eindruck, dass die konzertanten Präsentationen den Nährboden gegeben haben, bis das Stück soweit gediehen war, dass es im Studio eingespielt werden sollte. "Life Before Insanity" wurde sogar erst auf dem gleichnamigen Album im Jahr 2000 veröffentlicht.
Alle drei Konzerte beginnen mit "Blind Man In The Dark". Diesen Song als Starter einzusetzen, haben Gov't Mule in ihren Konzerten häufig praktiziert, so auch zuletzt in Hannover. Ist nicht nur die Spielzeit für den Track bei allen drei Konzerten nahezu identisch, erfolgt auch zum selben Zeitpunkt - etwa zwischen 2:50 und 3:00 Minuten - die Ansage der Band. Auch ansonsten - ich wiederhole mich, aber das tut die Musik vorliegend ja auch! - kann ich kaum Unterschiede in der Interpretation entdecken.
Ähnliches könnte ich jetzt für die Mehrzahl der Tracks dokumentieren. Doch ich möchte mich lieber mit den Unterschieden auseinander setzen. Was aber macht den Unterschied des vorliegenden Frühwerks zu den zahlreichen späteren Live-Aufnahmen aus? Zu allererst die Anwesenheit des Gründungs-Bassisten der Band Allen Woody. Zwar gibt es mit "Live At Roseland Ballroom" bereits eine weitere Dokumentation eines Live-Auftritts der Band aus derselben Zeit, die - wenn auch mit deutlich kürzerer Spielzeit - wiederum zahlreiche Übereinstimmungen mit dem vorliegenden Programm aufweist. Aber Gov't Mule-übliche Langfassungen von Konzerten mit Allen Woody gab es halt bislang nicht, da kann man schon mal drei Konzerte hintereinanderweg bringen.
Und ansonsten liegen die kleinen, aber feinen Unterschiede im Wesentlichen im zweiten Teil der Konzerte und insbesondere in den Zugaben. In Athens entwickelt sich aus "Left Coast Groovies" (eine Hommage an Frank Zappa; nur dort gespielt!) übergangslos eines dieser herrlichen Drum Solos von Matt Abts, das wiederum in "Mule" übergeht, dem sich genauso übergangslos der Bo Diddley-Klassiker "Who Do You Love?" anschließt, bevor wiederum "Mule" den Schlusspunkt dieses insgesamt über 16-minütigen Jams setzt. Mein Gott, muss Matt Abts danach 'fertig' gewesen sein! Nettes Gimmick am Ende ist die Durchsage »last call for alcohol«, damit man die noch fast dreißigminütigen »Encores« noch übersteht.
Apropos Jam: Drei Songs werden derart bezeichnet: "Eternity's Breath Jam", "St. Stephen Jam" (wiederum bei allen drei Auftritten gespielt) sowie " (I Want You) She's So Heavy Jam" (nur in Macon präsentiert), die möglicherweise zum Ruf der Band als 'Jam-Rocker' beigetragen haben. Allerdings muss ich gestehen, dass ich unter einer Jam mehr als nur knapp zwei-minütiges Musizieren verstehe wie bei dem erst- und drittgenannten Titel. Ansatzweise wird wenigstens bei der "St. Stephen Jam" gejammt, doch mit Spielzeiten zwischen viereinhalb und fünfeinhalb Minuten ist auch dieser Song weit entfernt von den Jams, die die Band in späteren Jahren so entwickelten.
Schrieb ich soeben, dass die Unterschiede im zweiten Teil und in den Zugaben liegen? Dies darf nicht darüber hinweg täuschen, dass auch hier zahlreiche Parallelen vorliegen. CD 2 des ersten und dritten Konzerts beginnen mit der schönen Ballade "Presence Of The Lord" (einem Blind Faith-Klassiker aus der Feder von Mr. Slowhand), und beinahe meint man, dass nun doch noch "Soulshine" präsentiert wird, derart ähnlich ist zumindest das Intro! Auch die »Encores« beginnen alle mit dem gleichen Song ("Goin' Out West") und bringen als dritten "Gonna Send You Back To Georgia". Während die Auftritte in Athens und Macon damit zu Ende sind (auch die Schlussworte sind praktisch identisch!), wurde in Atlanta noch eine wirkliche Jam drangehängt: "Good Morning Little Schoolgirl", eingerahmt von einem "Young Man Blues" vorweg und hernach, insgesamt über zwölf Minuten, das verstehe ich unter einer Jam. Hier spielte übrigens - wie bereits am Vortag in Athens - Derek Trucks mit. Herrlich, wie er sich mit Warren Haynes das eine oder andere Slide-Duell liefert. In Macon war demgegenüber der Gitarrist Tinsley Ellis mit dabei, der zudem mit einem markanten Gesang auffällt. Hier ist einer der wenigen Momente, wo man wirklich Unterschiede wahrnehmen kann.
War ich anfangs noch von der Idee angetan, drei Konzerte der Band hintereinanderweg dokumentiert zu bekommen, so bin ich - nach mehrmaligem Hören - derart ernüchtert, dass ich die eingangs gestellte Frage mit »niemand - jedenfalls ich nicht« beantworten möchte. Einen Konzertmitschnitt aus jener Zeit - durchaus gerne. Aber nun wirklich drei weitestgehend ähnliche Konzerte - wofür? Weniger ist bekanntlich mehr. Meines Erachtens hätte es daher gereicht - und wäre auch technisch möglich gewesen - die seinerzeitigen Konzerte auf einer Doppel-CD - allenfalls ein Dreifach-Album - beispielsweise unter dem Titel ‚Three Days In Georgia' zusammen zu fassen, auf der die wesentlichen, wenn nicht gar alle der vorliegend dargebotenen Songs einschließlich einzelner 'Unikate' präsentiert worden wären. Wer hat schon die Zeit, sechseinhalb Stunden Gov't Mule am Stück hintereinanderweg zu hören und eine diesbezügliche Lust, wenn das Ganze allzu ähnlich klingt? Hört man die einzelnen Konzerte 'mit Abstand', sind Unterschiede noch weniger wahrnehmbar.
Nachdem eigentlich für diesen Herbst endlich eine neue Studio-CD von Gov't Mule angekündigt war (die nach neuesten Meldungen nunmehr im kommenden Frühjahr erscheinen soll), komme ich mehr und mehr zu dem Schluss, dass mit dieser Box insbesondere das Weihnachtsgeschäft angekurbelt werden sollte. Derartiges sollte die Band meines Erachtens eigentlich nicht nötig haben!
Abschließend noch etwas Technisches: In den Liner-Notes weist Warren Haynes darauf hin, dass die Band bei den Aufnahmen technische Probleme hatte, die zu Qualitätseinbußen bei der Wiedergabe führen (näher beschrieben in den Liner-Notes des seinerzeitigen Aufnahmeleiters). Technische Probleme hatte die Band offenbar auch bei der Pressung der vorliegenden sechs CDs. Tatsächlich geben die beiden CDs, die ausweislich ihres Aufdrucks das Konzert vom 11. April 1996 in Athens enthalten sollen, das Konzert vom 13. April 1996 in Macon wieder - et vice versa! Angesichts der Ähnlichkeit der beiden Set-Lists bedarf es da schon eines genauen Hinschauens bzw. Hinhörens, um dies festzustellen. Auch die üblichen Media-Player ordnen die Songs dem jeweils anderen Konzert zu; ein wirkliches Ärgernis, wenn man die Musik-Dateien für den iPod oder mp3-Player richtig beschriften will (und dies vorliegend händisch vornehmen muss; ein wirklich überflüssiger Arbeitsaufwand!). Aber immerhin hat sich Warren Haynes selbst noch zurecht gefunden: Seine Danksagungen am Ende der jeweiligen Konzerte (vor den 'Encores'), die sowohl in Athens als auch in Macon mit "Mule" endeten, richtet er an das Publikum aus der jeweiligen Stadt; gleiches gilt auch für den Auftritt in Atlanta, der allerdings mit "Painted Silver Light" endet.
Bei aller Nörgelei über den Umfang der vorliegenden Box angesichts der Gleichförmigkeit der Konzerte hätte ich fast vergessen, etwas über die Konzerte an sich zu schreiben: Doch was soll ich angesichts der Vielzahl von Reviews zu Gov't Mule auf RockTimes überhaupt schreiben? Wo Gov't Mule draufsteht, ist Gov't Mule auch drin. Und das ist einfach klasse! Für 'Jäger und Sammler' ist diese Box - trotz meiner Vorbemerkungen - ohnehin unverzichtbar.
Line-up:
Warren Haynes (guitar, vocals)
Matt Abts (drums)
Allen Woody (bass)
Tracklist
4/11/96 Georgia Theater, Athens, GA, Disc 1
01:Blind Man In The Dark (9:30)
02: Mother Earth (8:00)
03:John The Revelator (1:40)
04Temporary Saint (6:11)
05:Game Face (6:22)
06:No Need To Suffer (8:09)
07:Trane (7:14)
08:Eternity's Breath Jam (2:00)
09:Thelonius Beck (4:08)
10:Trane (1:19)
11:St. Stephen Jam (4:30)
12:Trane (2:48)
13:Don't Step On The Grass, Sam (8:02)
4/11/96 Georgia Theater, Athens, GA, Disc 2
01:Presence Of The Lord (6:41)
02:Birth Of The Mule (6:00)
03:Left Coast Groovies (6:23)
04:Drums (6:44)
05:Mule (4:54)
06:Who Do You Love (1:35)
07:Mule (3:12)
08:Goin' Out West (7:11)
09:Spanish Moon (11:47)
10:Gonna Send You Back To Georgia (7:29)
4/12/96 The Roxy, Atlanta, GA, Disc 1
01:Blind Man In The Dark (9:34)
02:Mother Earth (8:31)
03:Mule (5:54)
04:Temporary Saint (6:15)
05:Game Face (6:27)
06:No Need To Suffer (8:19)
07:Trane (6:51)
08:Eternity's Breath Jam (2:02)
09:Thelonius Beck (3:56)
10:Trane 1:41
11:St. Stephen Jam 4:37
12:Trane (1:35)
13:Painted Silver Light (7:19)
4/12/96 The Roxy, Atlanta, GA, Disc 2
01:Don't Step on the Grass, Sam (7:59)
02:Birth of the Mule (5:31)
03:Just Got Paid (7:32)
04:Goin' Out West (6:16)
05:The Same Thing (10:17)
06:Gonna Send You Back to Georgia (8:33)
07:Young Man Blues (2:35)
08:Good Morning Little Schoolgirl (7:23)
09:Young Man Blues (1:59)
4/13/96 Elizabeth Reed Music Hall, Macon, GA, Disc 1
01:Blind Man In The Dark (9:53)
02:Mother Earth (9:09)
03:John The Revelator (1:42)
04:Temporary Saint (5:49)
05:Rocking Horse (4:36)
06:Game Face (6:47)
07:No Need To Suffer (8:41)
08:Trane (8:55)
09:Eternity's Breath Jam (1:58)
10:Thelonius Beck (4:01)
11:Trane (1:41)
12:St. Stephen Jam (5:46)
4/13/96 Elizabeth Reed Music Hall, Macon, GA, Disc 2
01:Presence Of The Lord (6:44)
02:Birth Of The Mule (6:41)
03:Monkey Hill (4:36)
04:She's So Heavy Jam (1:28)
05:Mule (7:07)
06:Goin' Out West (7:55)
07:She's 19 Years Old (8:09)
08:Gonna Send You Back To Georgia (10:20)
Externe Links: