Jethro Tull hatten für dieses Album etwas Zeitdruck. Immerhin sollte Ian Andersons eigenes Studio fertig werden, damit "Roots To Branches" eingespielt werden konnte. Neue Tourtermine standen an und im Ergebnis kann man sagen, dass auf dieser Scheibe zum einen die Flöte sehr stark in den Vordergrund gerückt wurde und zum anderen Anderson ungewöhnlich viele orientalische Klänge in den Songs unterbrachte. Diese Pläne verfolgten ihn schon länger. Im Line-up gab es während der Aufnahmen einen Wechsel an der Bassgitarre. Dave Pegg war nicht in der Lage, das gesamte Album einzuspielen. Für ihn wurde Steve Bailey eingeflogen, der nach den Angaben von Anderson frisches Musikerblut in die Formation Jethro Tull brachte. Es ist schon komisch, dass bis heute neben Ian Anderson ausschließlich Martin Barre an der Gitarre als beständiges Mitglied genannt werden kann, der wohl am besten mit dem eher herrschenden Bandleader zurecht gekommen ist.
"Roots To Branches" beginnt sehr leichtgängig, im Titeltrack drängen sich bereits die Querflöten in den Vordergrund und der Mastermind singt sehr sanft und melodiös. Kritiker bemängeln an diesem Album sehr oft die dünne Leadstimme, welche auf die zwischenzeitlichen Stimmprobleme von Ian Anderson hindeuten. Inzwischen wissen wir, dass er sich diesbezüglich in den letzten Jahren wieder gesteigert hat. Die orientalischen Einflüsse hatte Anderson auf Reisen gewonnen, und um diese umzusetzen, benutzte er zudem verschiedene Flöten. Die Synthies sind auf "Roots To Branches" weitestgehend verschwunden. Man kehrte diesbezüglich also wieder zu seinen Wurzeln zurück, nachdem insbesondere auf den Alben A und The Broadsword And The Beast die symphonischen Klänge einen großen Anteil besaßen. Dieser verringerte sich und auf "Roots To Branches" finden wir wieder mehr Orgeln statt Synthesizer, jazzige Spielereien und dazu eine hart rockende Gitarre von Martin Barre.
Bei "Rare And Precious Chain" ist es schon sehr interessant, wie die orientalische Musik ins Moderne übertragen wird. Dagegen ist "Out Of The Noise" richtig funky und progressiv. Es gibt hier groovige Rhythmen, wie wir sie teilweise bereits auf "Stormwatch" aus dem Jahr 1979 hören konnten. Jethro Tull vermischen stilistisch verschiedene Alben aus ihrem eigenen Schaffen. Allerdings wurde bei weitem nicht alles nach ein und demselben Strickmuster gefertigt, denn "Valley" wartet mit durchaus dramatischen Klanggebilden auf. Die akustischen Gitarren, die von einem sehr geschmackvollen Klavierspiel von Andrew Giddings ergänzt werden, gehören schon zum feinsten. Da wirkt Martin Barre wie ein Fremdkörper in der Komposition. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er sich aus dem Stück ganz rausgehalten hätte.
Eine ganz heiße Nummer ist "Beside Myself". Dieser Song vereint Flöten, akustische und elektrische Gitarren, Piano, dezente Synthies, und setzt diese in einem sehr gut gewählten Verhältnis untereinander ein. Dazu sehr eingängige Gesangsmelodien. Verheerendes Manko ist die Tatsache, dass der Track ausgeblendet wird, anstatt einen würdigen Abschluss zu bieten. Sehr schade. Jethro Tull variieren im Übrigen das Tempo, spielen sogar leichte Boogie-Rhythmen ("Wounded, Old And Treacherous").
"Roots To Branches" ist ein modernes und anspruchsvolles Rockalbum geworden, mit dominanten Flöten und dezenten Gitarren sowie Tasten. Die Kompositionen sind ausgefeilt, keinesfalls anstrengend und oftmals eingängig. An der einen oder anderen Stelle fordert die Band natürlich den geneigten Hörer, das ist auch gut so. Ein Album, welches in der Gesamtdiskografie bis heute etwas zu wenig an Beachtung gefunden hat.
Line-up:
Ian Anderson (vocals, flutes)
Martin Barre (guitars)
Andrew Giddings (keyboards)
Doane Perry (drums)
Steve Bailey (bass -#1, 6 - 10)
Dave Pegg (bass - #3, 5, 11)
Tracklist |
01:Roots To Branches (5:12)
02:Rare And Precious Chain (3:34)
03:Out Of The Noise (3:25)
04:This Free Will (4:05)
05:Valley (6:08)
06:Dangerous Veils (5:35)
07:Beside Myself (5:50)
08:Wounded, Old And Treacherous (7:50)
09:At Last, Forever (7:55)
10:Stuck In The August Rain (4:06)
11:Another Harry's Bar (6:22)
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