Ein Konzept instrumental umzusetzen war eine Herausforderung für mich!
Rocktimes Interview In bemerkenswert kurzen Abständen stellt Drummer Hans Jörg Schmitz immer neue, episch lange Kunstwerke der Marke King Of Agogik fertig. Auf seinem neuesten Meisterwerk, "From A To A", widmet er sich voll und ganz seiner Heimatstadt Andernach. Ein Instrumentalalbum als Konzeptwerk? Grund genug für RockTimes, mal nachzufragen!


Interview vom 20.08.2011


Boris Theobald
RockTimes: Hallo Hans Jörg, erstmal besten Dank, dass du dir Zeit für unsere Fragen nimmst! Der Titel deines neuen Albums From A To A bedeutet wohl "From Andernach to .. Andernach"?!
Hans Jörg Schmitz: Der Titel bedeutet: Von Antunnacum nach Andernach. Antunnacum war ja der lateinische Name der Stadt. Der erklärende Text im Booklet lautet:
» ...ist eine persönliche Zeitreise und legt weder Wert auf Vollständigkeit, Objektivität oder politische Korrektheit. In 77 Minuten findet eine ganz persönliche musikalische Reflexion (Umsetzung) bestimmter Dinge und/oder Erlebnisse statt. Bilder und Gedanken aus Erinnerungen oder pure Vorstellung geschichtlicher Ereignisse, die in und um Antunnacum/Andernach stattgefunden haben ... oder auch nicht ...«
RockTimes: Wie ist es überhaupt zur Idee gekommen, ein Album deiner Heimatstadt zu widmen?
Hans Jörg: Nun, ich lebe seit über 40 Jahren in dieser Stadt und bin dort geboren, also verbinde ich eine Unmenge an Gefühlen und Erinnerungen mit ihr. Und Emotionen sind doch genau das, was man in Musik unterbringen sollte. Abgesehen davon wollte ich natürlich thematisch wieder etwas anderes machen als bei meiner letzten CD The Rhythmic Drawing Room. "From A To A" ist ja mein erstes Konzeptalbum, und ein Konzept instrumental umzusetzen war eine Herausforderung für mich.
RockTimes: Um zurück auf den Erklärtext im Booklet zu kommen ... dieses Nachdenken über Dinge, die in und um Andernach passiert sind, oder auch nicht ... wie konkret werden denn die Gedanken? Beim Sirenenheulen bei "Tanks On High Street" wohl ziemlich konkret, oder?
Hans Jörg: "Tanks On High Street" ist ein gutes Beispiel für meine Arbeitsweise und entlarvt mich gleichzeitig als 'Dieb' (lacht). Das Bild im Booklet zeigt den 9.März 1945, den 13. Geburtstag meiner Mutter, die damals direkt um die Ecke wohnte. Die Amis befreiten Andernach und zogen mit Panzern auf der Hochstraße ein. Highstreet/ Hochstraße ist eher also ein kleines Wortspiel.
Die Band Stranglers veröffentliche 1978 ein Album namens "Black and White", übrigens die einzige Punkplatte, die ich mir jemals selber gekauft habe - auf der ganzen Platte ist ein fetter verzerrter Basssound dominant, den wollte ich haben, aber nicht als Sample oder so ... Also setze ich mich hin und spielte zwei Tage lang Bass, um genau diesen Sound und das damit verbundene Gefühl zu reproduzieren.
Ach ja, die Sirene, die man im Stück hört, ist die Andernacher Sirene, sie heult immer montags um 17.00 Uhr, damit sie nicht einrostet. Michael Kreutz, der auch auf der Platte bei einer Nummer Bass spielt, hat sie für mich aufgenommen.
RockTimes: Und warum heißt der erste Track ausgerechnet 12 B.C. - klingt ja auch konkret. Was war denn da, vor 2023 Jahren?
Hans Jörg: 12 vor Christi wurde Andernach das erste Mal urkundlich erwähnt und 1988 gab es dann die 2000-Jahr-Feier. Die Honorigkeiten 'streiten' ja immer noch mit Trier um den Titel 'älteste Stadt Deutschlands', aktuelle Ausgrabungen haben wieder ein paar Dinge ans Tageslicht gebracht, die diese Diskussion am Leben halten. Beim Stück "12 B.C." hatte ich ursprünglich geplant, alle beteiligten Musiker, die ja aus Schweden, England, Kanada und Deutschland kommen, eine andere Jahreszahl sprechen zu lassen, aber Wendy Hirst aus Florida hat so eine tolle Stimme und Aussprache, dass die anderen dagegen vollkommen abfielen.
Im Booklet sieht man eines der uralten Fundstücke, die ein Beweis für das Alter Andernachs sind. Die blaue Außenbeleuchtung des Andernacher Geysir-Erlebniszentrums haben wir als eine Art Zeitstrahl dann durch das ganze Booklet laufen lassen. Andernach hat ja auch den höchsten Kaltwasser-Geysir der Welt und bei dem Stück "Free Water" geht es thematisch darum. Als ich ein Kind war, hatte man den Geysir unter einer dicken Betonplatte versteckt und er wurde erst vor ein paar Jahren reaktiviert bzw. befreit und ist nun ein echter Renner für Andernach, touristisch betrachtet.
RockTimes: Danke für die kleine Geschichtsstunde! Und auf der anderen Seite ... "Capricorn" klingt weniger historisch ...
Hans Jörg: Capricorn ist der Steinbock; ich bin Steinbock und die Eigenschaften, die man dem Tier nachsagt, finden sich auch - leider - manchmal in mir wieder. Aus diesem Grunde ist die Nummer auch sehr heavy, aggressiv, ja fast jähzornig ... und im 5/8-Takt (lacht). Das Stammbuch, im Booklet zu sehen, zeigt auch meinen wirklichen Namen. Der Eintrag lautet nämlich: 'Hans Jürg Schmitz' ... so, what the hell ... mein Vater - er ist 1991 gestorben; ihm ist die Platte gewidmet - hatte die Aufgabe, mich beim Amt anzumelden. Die junge Dame verstand aber Hans Jürgen. Doch bevor sie zu Ende schreiben konnte, korrigierte sie mein Dad ... aber es blieb 'Hans Jürg' stehen ... Das Stück ist 1:31 lang, mein Geburtsdatum. 13.1. ...
RockTimes: Auffällig ist ja auch zum Beispiel die Sprech-Passage bei "Blue Tears", gesprochen von Gernot Jonas. Was hat es damit auf sich ... und was ist das für eine Sprache?
Hans Jörg: Das ist Jiddisch. Gernot Jonas, ein evangelischer Pfarrer aus Andernach, ist einer der wenigen, die diese Sprache noch sprechen. Er übersetzt Bücher aus dem Jiddischen ins Deutsche, z.B. von Scholem Alejchem. Und er reist in Europa umher, um den Kontakt mit den wenigen Verbliebenen zu pflegen. Der Text, den er bei "Blue Tears" spricht, stammt aus einem Partisanenlied "Sog nit kejnmol". Der Titel "Blue Tears" bezieht sich auf kleine funkelnd blaue Glasteile. Aber um das besser zu verstehen, muss ich etwas ausholen.
1938 wurde die Andernacher Synagoge von den Nazis zerstört - das Bild ist im Booklet zu sehen. Die Ruine blieb jahrelang brach liegen, an der Stelle wurde dann Jahre später ein Haus von einem regionalen Bauträger gebaut, meine Eltern zogen dort ein. Mein Bett stand genau an der Stelle des früheren Altars und direkt hinter dem Haus gab es einen Sandkasten. Wenn meine Freunde und ich tiefer als 70 cm unsere Ausgrabungen machten, fanden mir manchmal blau schimmernde kleine Schätze. Erst Jahre später erfuhr ich, dass dies Teile von den Fenstern und dem Mosaikboden der Synagoge waren.
RockTimes: Wow, unglaublich, welche Geschichten und Details sich hinter diesen Songtiteln verbergen ... Hans Jörg, du verdienst dir deine Brötchen ja als Schlagzeuglehrer - drückst du deinen Schülern auch schon mal eines deiner Alben in die Hand und sagst 'Hör mal rein, Track zwölf, ab Minute dreieinhalb, so mein ich das, zieh's dir rein und üb mal schön'?
Hans Jörg: Natürlich sind einige, besonders die Älteren an dem Material interessiert. Für mich ist es ja gerade wichtig, dass die Trommler und Trommlerinnen Bandbreite haben und zeigen, vollkommen unabhängig vom Geschmack. Aber viele Dinge sind doch zu anspruchsvoll und würden die jungen Menschen überfordern. Das ist natürlich auch ein Problem bei meinen Alben: Man braucht einige Durchläufe und damit verbunden halt viel Zeit, die so mancher nicht hat oder aufbringen möchte. Die ersten drei King of Agogik-Platten waren ja alle 'CD des Monats' bei der Schlagzeuger-Fachzeitschrift Sticks. Einer meiner Pläne ist es, auch ein Lehrbuch mit meinen Noten zu schreiben mit dem Material, was ich über die Jahre gesammelt habe, zusammengefasst unter dem Titel "Membranophonic System".
RockTimes: Deine letzten Alben - eines war sogar ein Doppel-Album - sind in erstaunlich kurzen Abständen entstanden. Was treibt dich an?
Hans Jörg: Da ich das Glück habe, seit vielen Jahren von der Musik leben zu können - manchmal habe ich in vier Bands gleichzeitig gespielt mit 120 Gigs im Jahr - bin ich es gewohnt, viel zu 'arbeiten'. Ich bastele, neben dem täglichen Unterricht und meinen eigenen morgendlichen Trommelstündchen, jeden Tag an den Platten. Bei "From A To A" habe ich die Drums komplett bei mir aufgenommen und hatte somit mehr Möglichkeiten, den Sound zu beeinflussen. Meine größte Motivation ist der Spaß an der Musik und die damit verbunden Gefühle, die diese in mir weckt. Musik machen und hören gibt mir die Möglichkeit, zu entschwinden.
Außerdem bin ich, wie viele Trommler, einfach ein bisserl 'bekloppt' und in meinem Kopf sprüht es nur so vor Ideen, also muss das raus. Sogar bei den Assholes, einer Coverband, mit der ich in 17 Jahren hundert Gigs absolvierte, kam dieser musikalische Wahnsinn öfter mal zum Ausbruch und es konnte passieren, dass der Gitarrist beim Solo von "Black Betty" einfach aufhörte zu spielen, weil das Doublebassgewitter der Drums in tötete (lacht). Aus diesen Zeiten stammt auch der Name King Of Agogik, der keinesfalls ein hochtrabender Titel sein sollte. Denn Agogik bedeutet ja die 'Kunst der Tempoveränderung', also bin ich der 'König des Rumeierns'. Heute im weisen Alter setze ich die Agogik natürlich bewusst als Stilmittel ein ... Dirk 'Dago' Wilms, besagter Gitarrist, ist bei allen King Of Agogik-Platten mit dabei und ein echter Ausnahmemusiker, obwohl er mich so manches mal schräg von der Seite anguckt, wenn ich ihn z.B. bitte, 'spiel das doch mal im Stile von
Robert Fripp', und er mich fragt, 'wer'?!?
RockTimes: Schreibst du die Sachen vorher auf oder immer einfach drauf los, frisch aus dem Kopf? Es gibt ja die Fraktion der aufschreibenden und die der einfach 'machenden' Künstler ...
Hans Jörg: Die Ideen zu den Songs und Platten sind vorher in meinem Kopf fast fertig, allerdings kommt einiges auch spontan zusammen. Den Gastmusikern gebe ich manchmal nur eine grobe Vorgabe und freue mich dann über ihren kreativen Input. Die Schlagzeugnoten habe ich teilweise ja auf meiner Webseite als pdf-Dateien zum anschauen, üben, verdammen ...
RockTimes: Welche Musiker haben dich denn selbst am meisten beeinflusst?
Hans Jörg: Ich startete als großer und bin immer noch ein großer Beatles-Fan. Allerdings ist meine große Leidenschaft die progressive Musik. Die alten Genesis, Yes, King Crimson und Konsorten sind meine Heroes. Phil Collins war in den 70ern ein toller Drummer. Alle guten Musiker beeinflussen einen wohl im Unterbewusstsein. Ich höre von A-Z, Ayreon, Flower Kings, Mike Oldfield, Vollenweider genauso wie Dream Theater, Dvorak oder Frank Zappa und viele mehr.
RockTimes: Das heißt auch, du lässt dich an dem Punkt, wo Du ja schon bist, immer noch aufs Neue beeinflussen?
Hans Jörg: Absolut! Durch das Leben, aber auch die Vielfalt z.B. im Internet. Leider - oder Gott sei Dank - habe ich zuwenig Zeit für das Netz, aber es gibt heute so viele talentierte Musiker, gerade Drummer, an denen man sich erfreuen kann. Ich habe mich aber vom Schneller, Höher, Weiter ... verabschiedet und genieße die Musik und respektiere die Leistung anderer, mache aber nur das was mir gefällt und lebe so glücklich in meiner kleinen, eigenen musikalischen Welt.
RockTimes: Hans Jörg, vielen Dank für das Interview bei RockTimes, und weiterhin viel Erfolg, Gesundheit, und alles Gute!
Hans Jörg: Ich danke dir für dein Interesse und wünsche weiterhin viel Erfolg!
Externe Links: