Wie bereits bei dem
Brixton-Review versprochen, folgt nun die Besprechung der dazugehörenden Triple-CD, die bislang auch lediglich im Box-Set
Europe 2009 zu finden war.
Am 5. Juli 2009 gastierte die Dave Matthews Band in Lucca - mitten in der traumhaft schönen Toskana. Wo - werter Leser - könnte sich auf diesem irrwitzigen Planeten eine bessere Lokalität für diese Art von Musik finden. Die Schöngeistigkeit der DMB'schen Interpretation des Jam Rock vor der herrlichen Kulisse des Herzogspalastes und einem begeisterungsfähigen, empathischen Publikum - Gänsehaut stellt sich beim Hören von "Lucca, Italy 2009" ein. Hätte man nicht besser dieses Konzert in seiner vollen Länge auf eine Doppel-DVD gepackt? Egal, dann müssen wir uns eben von den Bildern, die im Kopfkino entstehen, inspirieren lassen...
Nicht nur mir geht es so: Live wirken die Songs der
Dave Matthews Band, weil sehr viel intensiver dargeboten, besser. Man höre sich zum Unterstreichen dieser These nur ein einziges Mal Disc 3 der "Lucca, Italy 2009" an. Diese dichte Stimmung von "Gravedigger" oder "Dive In" dürfte wohl jeden Hörer verzaubern. Liegt es an diesem Umstand, dass die Band mehr als doppelt so viele Live-Mitschnitte als Studioalben herausgebracht hat?
Nach zwei, drei schwächeren Studiowerken konnte das 2009er
Big Whiskey And The GrooGrux King endlich wieder an solche Klassiker wie "Crash" anschließen. Wie auch in Brixton zogen sich die neuen Songs wie ein roter Faden durch das überlange Set. Aber es waren und sind erneut die Klassiker, wie das vom angesprochenen "Crash" entliehene "Two Step", die die Glanzpunkte setzen. Auf knappe zwanzig Minuten hat man diesen Track aufgeblasen - ab Minute sieben wird man langsam in den Jam-Himmel aufgesaugt, in dem sich ein gewaltiges Drum-Solo des Weltklasseschlagzeugers
Carter Beauford einem Gewitter gleich entlädt. Danach steigert die Band wieder die Spannung in ein furioses Finale. Wegen genau solcher Songs lieben die Fans ihre
Dave Matthews Band.
Ein weiteres Highlight ist der wohl schönste Song der
DMB: "Ants Marching" von der sensationellen
Under The Table And Dreaming-Scheibe, die
Dave Matthews seiner ermordeten Schwester
Anne gewidmet hatte.
Boyd Tinsleys Violine und
Jeff Coffins Saxophon duellieren sich auf dem rhythmischen Teppich auf gnadenlos gute Art und Weise. "You Might Die Trying", einer der besten Songs von "Stand Up" (2005), war ebenfalls nicht auf der Brixton-DVD zu finden. Auf die doppelte Länge der Originalaufnahme wird dieser Song 'hoch gejazzt'. Irre Bläsersätze wechseln sich mit beseelten (
Tim Reynolds) und messerscharfen (
Jeff Coffin) Soli ab.
Bleiben wir bei den Songs, die auf "Brixton 2009" nicht besprochen werden konnten, weil sie nicht im Set waren. "Jimi Thing" verströmt zunächst lässiges Westcoast-Feeling, um sich dann in einen hymnischen Rocker zu steigern, der seinen Gipfel in
Rashawn Ross' völlig abgefahrenen Trompetensolo und
Daves stimmlichen Improvisationen findet. Das sphärisch schwebende "The Dreaming Tree", eine traumhafte Nummer von der "Before These Crowded Streets" (1998), zeigt überaus deutlich, warum man die
Dave Matthews Band durchaus auch dem Prog Rock zurechnen darf und das, obwohl nach
Peter Griesars Ausstieg 1993 keine Keyboards verwendet werden. Hier sind es vor allem
Jeff Coffins solistische Ausflüge auf der Querflöte, die zu verzücken wissen.
Jede einzelne dieser drei Scheiben entwickelt ihre ganz persönliche Stimmung, ihren völlig eigenen Reiz. Ich kann mich (noch) nicht entscheiden, welche mir mehr das Herz weitet: Disc 2 oder Disc 3? Völlig schnuppe, es kommt letztlich darauf an, was Du - werter Hörer - empfindest. "Lucca, Italy 2009" sollte jedenfalls auf keinen Fall in deiner Plattensammlung fehlen, wenn du dich dem Jam Rock verschrieben hast!