Schööön, wenn die Probleme schon damit anfangen, eine Band der 'richtigen' Stilrichtung zuzuordnen ...
Bei der EP hatte ich mich für 'Psycho Metal' entschieden; das darauf folgende Album Newsick ging unter 'Avantgarde Metal' durch. Die Musiker selbst erfanden den 'ElectrOMetaLPoPRocKFucKPunKNoisE'. Und schon wieder macht diese Band so ein Baby, zu dem viele Namen passen könnten, aber keiner so richtig. Ist das normal so? Die Frage stellt sich schon gleich beim (sorry, geeeeeilen) Opener "Kinski":
Eine Geräuschkulisse, als ob im Kino gerade gezeigt würde, wie ein bösartiges außerirdisches Monster heimlich die Verriegelung seiner der kryostatischen Kammer durchätzt, in der es gefangen ist.
Sattes Heavy-Riffing für den Funktionstest der zervikalen Wirbel Nummer fünf und sechs.
Eine eher sarkastisch anmutende Spieluhrmelodie mit verzerrter Gitarre und ersten vokalen Äußerungen.
Nochmal Riffing - thrashig, ein bisschen proggig.
Dann Sänger 'Freaky' Jørn Dreßler:
»
Ich komme zu dir rüber, und frag 'kann ich kurz rein?'
Du wirkst schon recht hinüber, das schreit nach Party Time
Ich fick dein Gehirn, ich fick dein Gehirn, lass dich nie mehr allein
Dein Kopf, dein Kopf, ich will da rein, lass mich dein Kinski sein!«
Böse. Dann kommt 'normalerer' Gesang in einem sehr melodischen Gegenstück zur Boshaftigkeit. "Kinski" ist einerseits komplex durch diese vielen kleinen Einzelstücke, aus denen es besteht. Andererseits ist es eingängig, weil all diese Einzelstücke aber mal so was von ins Hirn gehen - mal geschmeidig, mal gemein - und wiedergehört werden wollen. Müssen.
Mit diesem Opener haben Membran ihre Messlatte schon mal gelegt, und zwar jenseits des musikalisch-psychosozialen Normbereichs. Damit ist das Gehörte hohe Poesie! Aber mal ehrlich - wie cool ist das denn überhaupt, einen so abgefuckten Song "Kinski" zu nennen?!
Auch "Labyrinth", eine Art 'Anti-Lovesong', dreht sich um Mönsterchen in Menschen, die nicht mit- und nicht ohneeinander können. Beklemmend-ruhig geht es los; der Refrain klingt melodiös-punkig mit einer Portion klassischster BS-Gitarre, interessant abgeschmeckt mit Elektro-Effekten. Und der Titeltrack "Honeymoon Syndrom": langsame Lava, Bassbrummeln und endzeitliche Distortions, ein bisschen Abrissbirne mit »Rum-dum-dong-diggi-ding-dong-dong-doing«-Vocals, und dann bremst der zähe, klare Chorus den Hörer wieder radikal aus. Ein hübscher kleiner Psychotrip. Das 'Honeymoon-Syndrom', auch Flitterwochenkrankheit genannt, steht natürlich nur im metaphorischen Sinn im Fokus der Lyrics. Wobei - Blut im Urin ist mit dabei.
Apropos 'Lyrics' - geht das auch auf Deutsch? Ja - die Texte. Das ist schon 'n Ding; und das gab es bisher nicht bei Membran (mal abgesehen von ein bisschen 'Bi-Ba-Butzemann' beim Song "SoRrY"). Und wieso auf Deutsch? Weil sie Bock haben und es geil klingt. Nebenbei führt es auch raus aus der Nu Metal-Vergleichs-Sackgasse. "Spun" bietet die englischsprachige Ausnahme ... und die dickste Überraschung der vorliegenden Scheibe. Denn wir haben es mit einem ruhigen Akustikgitarrenstück zu tun. Ruhig, aber harmonisch ebenso wie stimmungstechnisch herrlich surreal. Eine Ballade ist das nicht, dafür kommt Jørn doch noch zu sehr aus sich raus, und es gibt ein paar schöne Stellen, wo die Gitarre ganz ausgestöpselterweise schön Druck macht. Hätte vielleicht auch auf Steve Vais "Sex & Religion" gepasst. Und natürlich auf Membrans "Honeymoon Syndrom" ...
... das übrigens 'nur' eine EP geworden ist, weil die Band einfach Lust hatte, mal wieder was rauszuhauen, ob langes oder kurzes Teil. Als Bonus gibt es noch den "Newsick"-Titel "Crack" im so genannten 'Dick Olympique Remix' (aaaah-ha!). Für bestehende Freunde der Kapelle ist das was für beschwipste Tanzabende mit fortgeschrittener Glückseligkeit. Potentielle neue Freunde lauschen besser erst mal dem Rest dieser Musik, deren Anziehungskraft mit romantischen Erklärungsversuchen von Ästhetik nicht erklärbar ist. Mit einer gesunden Portion Schizophrenie kommen Sender und Empfänger hier aber schnell zusammen - "Honeymoon Syndrom" ist mega unterhaltsam, sehr abgefahren und mal wieder durchaus neuartig. Erhältlich sind diese viel zu kurzen 20 Minütchen als Download oder als Vinyl inklusive CD. Erstaunlicherweise ist "Honeymoon Syndrom" nicht verschreibungspflichtig.
Line-up:
Jørn Dreßler (vocals, guitar)
Roland Jene (drums)
Kris Schulte (guitar)
Mischa Bernd Martin (bass)
Tracklist |
01:Kinski (3:32)
02:Labyrinth (3:34)
03:Honeymoon Syndrom (4:21)
04:Spun (3:41)
05:Crack [Dick Olympique Remix] (4:18)
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