Der Fotograf Neil Zlozower wird jedem Fan von Achtziger-Hard Rock zweifellos ein Begriff sein, lichtete er in der Dekadenz-Dekade doch solch namhafte Rockstars wie Van Halen, Guns N' Roses, Aerosmith, Judas Priest, Poison, Ratt und viele andere ab. Somit verwundert es nicht, dass zu seinen Auftraggebern auch die 'Bad Boys of Rock'n'Roll', nämlich Mötley Crüe höchstpersönlich, gehörten.
Zloz, wie der sich mittlerweile seit mehr als 40 Jahren im Geschäft befindende Amerikaner von Insidern und Freunden nur genannt wird, begleitete die Herren Sixx, Mars, Neil und Lee quasi von Beginn ihrer Karriere an: Vom Jahre 1983 an, nämlich kurz nach der Veröffentlichung ihres Debüts "Too Fast For Love" (1982), als die Band noch in den Clubs des Sunset Strip ihr Unwesen trieb, bis hin zu ihrem kommerziellen Höhepunkt, der "Dr. Feelgood World Tour '89-'90". In den Neunzigern lag die Zusammenarbeit beider Parteien dann leider auf Eis, wurde aber pünktlich zur Jahrtausendwende anlässlich des Albums "New Tattoo" (2000) wieder aufgenommen.
Passend zur heutigen Zeit, da die Crüe aufgrund ihres aktuellen Albums Saints of Los Angeles ihren x-ten Frühling erlebt und auf neuen Erfolgswellen schwimmt, hat Zlozower unter dem Titel "Mötley Crüe: A Visual History 1983-2005" endlich eine umfangreiche, liebevoll gestaltete Fotosammlung der Glam Metal-Könige zusammengestellt. Der Fotograf hat die Band über die Jahre, besonders während ihrer Glanz- und Glamourzeit in den Achtzigern, wie kein Zweiter portraitiert und ihre optische Entwicklung über die Jahre nachvollzogen und der Welt zugänglich gemacht.
Dass die Achtziger, die Dekade der großen Erfolge und tiefen Abstürze, den größten Teil in diesem Buch ausmachen, wird daher niemanden verwundern. Mötley Crüe werden eben für immer und ewig mit dieser Zeit assoziiert werden. Somit ist es für den beinharten Anhänger der Band hochinteressant, sich die Fotografien aus dieser Zeit auf großformatigen, Glanzpapier-Seiten anschauen zu können. Man verliert sich als Fan wirklich in den Fotos und entdeckt von Mal zu Mal immer neue Details, denn die aufwändigen Kostüme der Protagonisten (besonders zu "Shout At The Devil"- und "Theatre Of Pain"-Zeiten (1983 bzw. 1985)) bieten mit ihren abertausenden an Nieten, Nadeln, Ketten und Strass-Steinchen, den Leder-Variationen in allen Formen und Farben sowie den vielen Make-up-Akzenten Detailreichtum en masse.
Ein besonderes Highlight, was im Buch auch den meisten Platz (20 Seiten) für sich beanspruchen kann, sind die sogenannten 'Blood Sessions' - eine Fotostrecke, die die Crüe auch über Szene- und Genre-Grenzen hinaus berühmt und berüchtigt gemacht und viele Imitationen (gerade im Bereich des Black Metal) hervorgerufen hat. Wie Bassist und Mastermind Nikki Sixx im Buch anmerkt, war ursprünglich intendiert, für dieses Shooting echtes Schweineblut zu verwenden, was Zlozower aber aus hygienischen Gründen ablehnte. Stattdessen wurde hochwertiges, teures Theaterblut literweise im Studio sowie auf den Musikern verteilt und das Ganze auf Film gebannt. Dass ein Gruppenfoto aus dieser Session den Umschlag des Buches ziert, ist daher nicht verwunderlich.
Die 'Blood Sessions' repräsentieren somit wie keine andere Fotostrecke die (aufstrebende) Crüe in ihrer teuflisch-bösen Phase (damals verwendeten sie unter anderem umgedrehte Pentagramme). Sehr cool anzuschauen sind dabei auch die total versiffte, abgespielte, weiße B.C. Rich-Bassgitarre und die wasserstoffblonde Mähne Vince Neils - beides liefert einen interessanten Kontrast zu all der Düsternis und Zerstörung, die diese Fotos ausstrahlen.
Neben diesen Abbildungen, die also das Herzstück des Buches bilden, finden sich aber natürlich auch schöne Portraits aus der "Theatre Of Pain"-Phase (Mötleys Glam-Look), der "Girls Girls Girls" (1987)-Ära (Mötleys Biker-Look) und der "Dr. Feelgood" (1989)-Ära (die coolen Zwangsjacken-Bilder sind ein echtes Highlight) in diesem Band wieder. Bei all diesen Fotos sind die einzelnen Persönlichkeiten und Charakterzüge der einzelnen Bandmitglieder übrigens schön herausgestellt: Der mysteriöse Riff-Meister Mick Mars, der glamouröse Rockstar Vince Neil, der wild-aggressive Nikki Sixx und der furios-verrückte Tommy Lee kommen alle bestens zur Geltung.
Dass die Neunziger im Buch komplett ausgespart werden, enttäuscht mich als Fan, denn es wäre doch sehr schön gewesen, vielleicht bisher unbekannte Bilder aus den Shootings zu Motley Crue (1994) und "Generation Swine" (1997) zu sehen. Es sind beides Alben, die generell zu selten bzw. wenig berücksichtigt werden, wenn es darum geht, die Crüe optisch zu repräsentieren. Da Zlozower aber in dieser Zeit für die Band nicht zuständig war, finden derlei Bilder hier keine Berücksichtigung.
Weiter geht es dann also erst zehn Jahre nach "Dr. Feelgood" mit (ausschließlich) Live-Shots vom "New Tattoo"-Konzert in Salt Lake City, Utah (2000) und dem "Carnival Of Sins"-Zirkus, der im Jahr 2005 über die Bühne ging. Von beiden Phasen gibt es übrigens deutlich weniger Bilder als von allen anderen Phasen der Bandgeschichte zu sehen. Wurden die Achtziger-Alben noch ausführlich in vielen Gruppen- und Einzelfotografien dokumentiert (die ersten Studio-Fotos finden man übrigens zu "Shout At The Devil"), findet das neue Jahrtausend also nur in einer Randnotiz statt. Zum aktuellen Studioalbum gibt es hingegen gar keine Bilder, denn die Fotostrecke endet, wie man am Titel sehen kann, vor mittlerweile vier Jahren, außerdem war Zloz aktuell nicht für die Promo-Bilder zuständig.
Abgerundet und aufgelockert wird das Ganze durch eine ganze Reihe von Zeitzeugen-Kommentaren, die sich über das gesamte Werk erstrecken. Leute wie Bryn Bridenthal (Publicity), Ray Brown, Jacqui King (beides Kostümdesigner), Barry Levine (Fotograf), Tim Luzzi (Bass-Techniker), Doc McGhee (Manager), Fred Saunders (Security-Chef), Doug Thaler (Manager), Fleur Thiemeyer-Tramp (Kostümdesigner), Tom Werman (Produzent) und Tom Zutaut (A&R-Manager) haben allesamt für die bzw. mit der Crüe gearbeitet (oder tun dies noch immer) und lassen einen ganzen Haufen hochinteressanter, teils haarsträubender Anekdoten vom Stapel. Hinzu kommen natürlich auch Erinnerungen der Musiker Mars, Neil und Sixx (der außerdem das Vorwort verfasst hat), sowie eine Einführung von Zlozower selbst. An diesen schriftlichen Beiträgen kann man sich als Betrachter und Leser orientieren, denn sie gliedern das Buch grob in verschiedene Abschnitte - auf ein Inhaltsverzeichnis wurde nämlich verzichtet.
Die Kommentare drehen sich dabei fast ausschließlich um die goldenen Achtziger, die Hochphase der Crüe, als sich erfahrungsgemäß am meisten Luderleben im Dunstkreis der Gruppe abspielte. Erfreulich ist dabei, dass die Herrschaften nicht nur in irgendwelchen Dreizeiler-Zitaten zu Wort kommen, sondern sich auf ein bis zwei Buchseiten ausführlich über ihr Verhältnis zur Band und ihre Arbeit mit selbiger auslassen können. Dass dabei kein Blatt vor den Mund genommen und somit auch Unschönes angesprochen wird, ist man von Mötley Crüe gewohnt - die Authentizität ist somit wieder mal gewährleistet. Außerdem sieht sich der Leser dadurch nicht bloß mit einem Bilderbuch konfrontiert, sondern findet weitere, bislang unbekannte Infos über seine Lieblingsband und deren Umfeld vor. Einziges Manko für manche Personen: Man muss des Englischen schon mächtig sein, um sich an den Texten erfreuen zu können, denn eine deutsche Ausgabe des Werkes gibt es nicht.
Unterm Strich ist "Mötley Crüe: A Visual History 1983-2005" eine lohnende Investition für jeden Crüe-Head. Das Buch ist sehr edel aufgemacht (unter dem Umschlag findet sich ein eingeprägtes Pentagramm auf dem Hardcover), besticht durch schwere Qualität und beinhaltet massig Informationen in Bild und Schrift. Einiges davon ist selten bzw. bislang unveröffentlicht und in dieser Aufmachung bisher nicht zu haben gewesen. Auch wer mit Mötley Crüe bislang nichts zu tun hatte wird nach der Lektüre des Bandes genau wissen, um was es bei dieser 'bunten Gruppe' (so die deutsche Übersetzung des Bandnamens) eigentlich geht, nämlich um Frauen, Feuer und Haarspray (erstere findet man im Buch aber erstaunlicherweise nur sehr selten) sowie um Sex, Drogen und Rock'n'Roll!
Neil Zlozowers Fotoband ist somit die bestmögliche visuelle Eintrittskarte in die dekadente Welt der einzig wahren 'Bad Boys of Rock'n'Roll' - und diese sollte sich kein Achtziger-Metal-Fan entgehen lassen. Wenn man also neben "The Dirt" nur ein einziges Buch im Regal dulden möchte, dann sei es dieses hier.
Unbedingt kaufen!
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