Es gibt Menschen in der Musikbranche, die ich nicht nur wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten schätze, sondern auch wegen ihrer Menschlichkeit. Einer von ihnen ist Eddy Czesnick. Der ist zwar kein im Rampenlicht stehender Musiker, dafür aber ein Konzertveranstalter, Booker und neuerdings auch Manager der Monokel Blues Band. Darüber hinaus darf ich ihn zu meinem Freundeskreis zählen. Wenn Eddys Feuer in seinem tiefsten Inneren lodert, seine Augen funkeln, er durch nichts und niemanden zu stoppen ist, dann kommt solch ein Event wie das hier reviewte zustande, dem wir, Holger und ich, letzten Donnerstag beiwohnen durften und während dem uns bewusst wurde, wie viel Arbeit, Zeit und Planung in so einer Veranstaltung steckt. Mehr dazu in einem später folgenden Interview, für das dieses Energiebündel auf meine Anfrage hin umgehend zusagte.
In der Tat setzte Czesnick alle Hebel in Bewegung, um die Werbetrommel für das 35-jährige Bestehen der Monokel Blues Band und gleichzeitig den 65. Geburtstag Speiches ins Rollen zu bringen. Dass diese Aktion von Erfolg gekrönt wurde, bewies ein mit gut 1.100 Fans ausverkauftes Kesselhaus. Sicherlich trug auch die Ankündigung einiger Spezialgäste, wie z. B. Achim Mentzel oder Deutschlands Aushängeschild in Sachen Blues Rock, Henrik Freischlader, dazu bei, um die Location im Stadtteil Prenzlauer Berg bis auf den letzten Platz zu füllen.
Als wir die Halle betraten, war diese noch fast menschenleer und so ergab sich für uns die Möglichkeit, zuerst Freischlader und anschließend das Monokel-Urgestein Speiche zu begrüßen, um mit beiden vorab einen kleinen Smalltalk zu halten. Um die Zeit bis zum Anfang des Gigs zu überbrücken, setzte sich Altmeister Manni Chicago ans Klavier, spielte und sang mit einer so unglaublichen Routine und Freude, dass ich meinte, er könnte noch bis in den Morgengrauen seinen Chicago Blues zelebrieren. Währenddessen hockte Speiche - tief in Gedanken versunken - auf einem Stuhl hinten im Dunkeln der Bühne und ich fragte mich, was ihm wohl gerade durch den Kopf ging. Mister Chicago hingegen ließ erst von den Tasten seines Pianos ab, als die Moderatoren, Michael Rauhut und Denise Schmidt, die Anwesenden aufs zu erwartende Programm einstimmten und die eine oder andere interessante Anekdote aus vergangenen Tagen der glorreichen ostdeutschen Band erzählten.
Und dann war es endlich soweit! Die Band betrat die Bühne, ließ sich kurz abfeiern und startete dann die Reise in die Band-Biografie, indem sie aus fast allen Zeit-Epochen ihres musikalischen Schaffens Songs präsentierte, die den meisten Fans natürlich geläufig waren und von diesen zum Teil kräftig mitgesungen wurden. Dabei beeindruckte mich Sören Birke mit tollen Harmonika-Einlagen ebenso wie Olli Becker, der an diesem Abend wahre Schwerstarbeit an seiner Schießbude zu verrichten hatte. Außerdem Gesangskanone Bernd 'Zuppe' Buchholz, der bei einigen Songs dazu kräftig in seine Harp blies. Im Verbund mit den Gitarristen Heinz Glass ( Epitaph), J.J. Bailey und Wille Borchert sowie Gast-Keyboarder Boddi Bodag schwebte ein Hauch von (N)Ostalgie-Rock durch die Halle. Kein Wunder, wurde die Band bereits 1975 in der damaligen DDR von Sebastian Baur und Pet Schneider ins Leben gerufen, bevor es 1976 erst so richtig los ging, u. a. mit der Bass-Legende Speiche.
Um diese Nacht in Worte zu fassen, hätte ich locker ein Buch im Brockhaus-Format schreiben können, soviel Geschichten erzählte der Abend. Und mein Notizzettel wurde immer länger, bis ich schließlich merkte, dass es einfach unmöglich sein würde, jede Einzelheit zu dokumentieren. In jedem Fall muss der Abschnitt erwähnt werden, als Achim Mentzel die Bühne betrat und mit "Lucille", "Hey Tonight" und "Twist And Shout" drei Coverversionen offenbarte, die nicht nur durch sein Erscheinungsbild für Furore sorgten, sondern auch durch seine kräftige Stimme, die er ins Mikro trällerte. Ohne Zweifel gehoerte das zu den vielen Highlights des Abends. Der Entertainer tat genau das, wofür er verpflichtet wurde. Er nutzte die gesamte Bühne, um mit seiner Performance und seinen Textvorträgen für allerbeste Stimmung unter den Anwesenden zu sorgen. Schade nur, dass er gleich wieder weg musste. ZU gerne hätten wir später mit ihm noch ein paar Tassen Bier geschlürft.
Folgend durften sich die Albert Anders Band mit "Das letzte Hemd" und Altgold mit "Come Together" sowie "Corinna" für diesen Gig verewigen, dessen weitere Besonderheit war, dass dieser unvergessliche Abend von unzähligen Kameras mitgeschnitten wurde und voraussichtlich 2012 als DVD auf dem Markt erscheinen wird. Aller Voraussicht nach wird in diesem November schon mal eine CD von dem Konzert veröffentlicht werden.
Und dann kam es zu dem ganz besonderen Special des Abends. Diese vertraute Fender-Telecaster, die ich schon gefühlte 1.000 Mal zu sehen oder hören bekam, betrat die Bühne, vergaß aber das Kabel mitzubringen und schickte ihren Besitzer, in Form von Henrik Freischlader, umgehend los, um sich das fehlende Utensil von ihm bringen zu lassen. Und als dieser das Kabel mit der Telecaster verband, die ersten Töne von seinen Händen ins Leben gerufen wurden, vernahm ich ein angenehmes Raunen der Fans, die zum Teil um die Qualität des Wuppertalers wussten. Aber auch diejenigen, die ihn noch nicht kannten, wurden fortan von der derzeitigen Ausnahmestellung des deutschen Bluesers überzeugt.
Freischlader eröffnete sein fünfteiliges Intermezzo mit "Call Me The Breeze" ( J.J. Cale, Lynyrd Skynyrd). Er ließ sich von vier weiteren Stromklampfen begleiten, dazu noch von zwei Schlagzeug-Sets (gespielt von Olli Becker und Tina Powileit, die 1987 bei der DEFA-Produktion 'Die Alleinseglerin' auch als Schauspielerin Lorbeeren einheimste, aber auch an den Drums eine gute Figur abgab). Mein persönlicher Kracher des Abends folgte mit "The Memory Of Our Love" von Henriks aktueller Platte Still Frame Replay. WAS für ein Blues! Es waren aber nicht nur seine eigenen Soli, die uns zum Träumen veranlassten und für eine mucksmäuschenstille Arena sorgten, sondern er ließ auch seinen musikalischen Mitstreitern Glass, Borchert und J.J. Bailey viel Spielraum, was die zum Anlass nahmen, sich dem hohen Niveau nahtlos anzupassen und eindrucksvoll zu beweisen, welch sensible Saiten auch sie anschlagen konnten. Respekt, meine Herren!
Live ist eben live und so zog Freischlader einfach seine Version von Foxy Lady vor das eigentlich geplante The Blues und verlangte von den anderen Musikanten höchste Aufmerksamkeit, die er von Becker allerdings einmal vergebens erwartete, als dieser seinen Gesangs-Einsatz verpasste und Freischlader deshalb improvisierend eine Minute länger seine Gitarrenarbeit verrichten musste. Improvisation war für mich überhaupt das Motto des Konzerts und so gab mal J.J. Bailey per Fingerzeig an, wer gerade ein Solo beizutragen hatte. Oder es wurde durch Kopfnicken und Blickkontakte (von den meisten Zuschauern unbemerkt) kommuniziert, was dem Ganzen aber keinen Abbruch tat, sondern vielmehr genau DAS Salz in der Suppe war, welches diesem Event den Unvergesslichkeits-Stempel aufdrückte. Die letzte Nummer mit Freischlader hieß "Fool For Your Stocking" und erst danach ließen ihn die Fans mit frenetischem Applaus von der Bühne. War es von Anfang an ein tolle Vorstellung von Speiches Monokel Blues Band, so empfand ich, dass der Band durch die Präsenz von Henrik Freischlader und seinen filigranen Gitarrenläufen noch mal ein gehöriger Schub nach vorne verpasst wurde und alle Beteiligten die Zusammenarbeit in vollen Zügen genossen.
Bei "T For Texas" gab sich der in die Jahre gekommene Violinen-Spezi Hans die Geige die Ehre. Und ließ es sich trotz eines ihm widerfahrenen Unfalls nicht nehmen, die Fans mit glänzendem Geigenspiel zu beeindrucken. Letztlich war es das volle Line-up, insgesamt sechzehn Musiker(!), das sich zum Ende auf der Bühne versammelte und gemeinsam dem vollen Kesselhaus noch mal musikalisch alles gab, um uns nach gut vier Stunden Bühnenpräsenz (inkl. einer 20-minütigen Pause) die letzte Kraft aus den platten Füßen zu saugen. Es war schon fast ein Wunder, dass die Sicherungen des Kesselhauses, wegen der zahlreich und gleichzeitig eingesetzten Instrumente, stand hielten. Völlig fertig, aber äußerst angetan vom Ost-Berliner Blues-Ensemble stellte ich wieder mal fest, dass Musik verbindet. Bei geschätzten 90% an ostdeutschen Besuchern wurden wir als 'Westler' haufenweise mit Infos, Anekdoten, Geschichten und Tipps versorgt, die uns an diesem Abend die Erkenntnis brachten, dass es in der Berliner Musikszene längst keine Mauer mehr gibt! Und zu allerletzt verlas 'Zuppe' Buchholz das Line-up mit reichlich Danksagungen, von denen die letzte Eddy Czesnick gewidmet wurde, ohne dessen Engagement dieses denkwürdige Konzert niemals zu Stande gekommen wäre. Danke Eddy!
Line-up:
Heinz Glass (vocals, guitars)
J.J. Bailey (vocals, guitars)
Bernd 'Zuppe' Buchholz (vocals, harp)
Jörg 'Speiche' Schütze (bass)
Olli Becker (vocals, drums)
Guests:
Tina Powileit (drums)
Sören Birke (harp)
Pet Schneider (vocals, guitar)
Hans die Geige (violine)
Wille Borchert (guitar)
Comando Cocamango
Special guests:
Boddi Bodag (vocals, keyboard)
Achim Mentzel (vocals)
Henrik Freischlader (vocals, guitar)
Setlist |
01:Kindertraum
02:Bye Bye Lübben City
03:Amboss und Hammer
04:Boogie Mobil
05:Das Landei
06:Oma Krüger
07:Schwarze Marie
08:Der Schreier
09:Tell Me
10:You Talk To Much
11:Lucille (mit Achim Mentzel)
12:Hey Tonight (mit Achim Mentzel)
13:Twist And Shout (mit Achim Mentzel)
14:Das letzte Hemd (Albert Anders Band)
15:Come Together (Altgold Band)
16:Corinna (Altgold Band)
17:Call Me The Breeze (mit Henrik Freischlader)
18:The Memory Of Our Love (mit Henrik Freischlader)
19:Foxy Lady (mit Henrik Freischlader)
20:The Blues (mit Henrik Freischlader)
21:Foll For Your Stockings (mit Henrik Freischlader)
22:T For Texas
23:Das Lumpenlied
24:Das Monster von Schilkinsee
25:Wie die Großen
26:It's All Over Now
27:Picking Willi
28:Boom Boom (Out Go The Lights)
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