Rasante Klassik-Schreddereien und majestätische Barock-Reminiszenzen, pumpender Power Metal mit Pathos und Passion, mit und ohne Gesang, und obendrein ein Stück, auf dem der Meister höchstselbst seine Stimme erhebt ... "Relentless" ist eben ein 'ganz normales' Malmsteen-Album. Studiowerk Nummer 15 - je nach Zählart sind alternative Nummerierungen möglich - des Wahl-Floridianers, das sind 68-einhalb Minuten, komponiert in 'freier Yngwie-Hauptsatzform'; und das zweite Album mit Lead Sänger Tim 'Ripper' Owens, von dem Yngwie in Interviews immer noch schwärmt, bis die Schwarte kracht. Das geht normalerweise nicht ewig gut (siehe Malmsteen-Quotient) - dieses Mal aber noch sehr wohl!
Nach der stürmischen und zugleich anmutvollen "Overture" kommt der Opener "Critical Mass" mit orientalischen Melodiezügen und überbordender Power herangerauscht. Nachdem Yngwie gewohnt enthusiastisch quer durch die Skalen flitzt, zeigt Owens mit einem satten Scream gleich, dass auch er Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Das macht sein Gesangsstil auf dem kompletten Album mehr als deutlich; er klingt aggressiv und geht mit teilweise schon fast an Übersteuerung grenzender Gewalt an den Job ran. Und ich kann mehr und mehr nachvollziehen, warum Malmsteen diesen Mann mag! War ich beim Gesangs-Debüt auf Perpetual Flame noch skeptisch, kann mich die Symbiose aus (einem präsenteren!) Ripper und Malmsteen nun mehr und mehr überzeugen.
Zwar sind Vergleiche mit alten Klassikern müßig - doch seinen Vorgänger Doogie White faltet Tim Owens mehrfach zusammen und steckt ihn locker in die Tasche. Der hatte 'einen Job gemacht' - aber das hier ist weitaus mehr - leidenschaftlicher kann man an die Sache kaum rangehen, auch wenn die gesanglichen Sperenzchen vom Charme einer Kreissäge für manchen Malmsteen-Traditionalisten (wie mich ...) gewöhnungsbedürftig sein mögen. Vergleiche mit Leuten wie Göran Edman oder Joe Lynn Turner funktionieren nicht - die Malmsteen-Mucke ist mit dem 'Ripper' am Mikro eben roher und kantiger geworden. Dennoch schafft es der Altmeister der Shred-Kunst, ohne Kompromisse mit markigen Melodien und erhabenen, gewohnt klassisch eingefärbten Harmonien um die Ecke zu biegen.
Yngwies Arpeggien sind auch nach Jahrzehnten immer noch ein Traum auf sechs Saiten. Klar klingen die Songs in ihrer Anlage nicht hochinnovativ; aber frische Kombinationen aus bewährten Zutaten sorgen auf "Relentless" für zahlreiche Glücksgefühle. Seien es schwergewichtige Mid-Tempo-Stampfer wie "Enemy Within", hochtechnisierte Funkenflugfabriken wie "Blinded" oder das supermelodische "Caged Animal" - (bis auf den Gesang) im "Fire & Ice"-Stil - überall reißen einen die druckvolle Rhythmussektion und die überzeugende Dynamik des Malmsteen'schen Riffings mit wie in 'besten Zeiten'. Die Soloparts sind elegant und edel, filigran und feurig, auch klanglich Malmsteen pur; Lust & Leidenschaft sind deutlich(er) hörbar (als seit langem)!
Neben endlosen harmonischen und melodischen Orientierungen an Namen von Bach bis Paganini gibt es auch ganz explizite Barock-Frickel-Parts, zum Beispiel von Bach'scher Orgel untermalt in "Tide Of Desire", einem Stück, das im übrigen auch auf "Facing The Animal" hätte stehen können. Und der eine Song, bei dem Malmsteen selbst singt, ist dieses Mal auch noch richtig stark ausgefallen: Das druckvoll pumpende und natürlich trotzdem gleichzeitig hochmelodisch verspielte "Look At You Now" gefällt mir wesentlich besser als Yngwies raue Vokalzutat "Magic City" auf dem vorherigen Album. Der Gesang ist tatsächlich gar nicht so schlecht ...
In Sachen Instrumentals hat "Relentless" außergewöhnlich viel zu bieten: einschließlich dem Intro acht Tracks! Die Stimmungen darin sind verträumt und atmosphärisch, höfisch neo-barock oder halsbrecherisch virtuos wie im herausragenden, dramatisch inszenierten Titeltrack mit raffinierter Themenarbeit und nicht zuletzt auch druckvoll pushenden Taktgebern. Alles in allem ist "Relentless" eine überaus runde Sache geworden - die Instrumentalstücke fügen sich bestens ins Gesamtbild einer Scheibe, die äußerst heavy ausgefallen ist und bombastische Dramatik bestechend mit der berühmt-atemberaubenden Malmsteen'schen Detailarbeit verbindet.
Teufelskerl Tim Owens 'rippt' sich dazu die Seele aus dem Leib ... im Duell oder im Duett mit dem Meister - da fällt die Entscheidung beim Hören mitunter schwer; und gerade das macht das Zusammenklingen beider so spannend - es ist Reibung vorhanden! Im Gegensatz zu "Perpetual Flame", als Owens seltsam-surreal in die Ferne gemischt zu sein schien, ist bei "Relentless" sogar die Produktion einen Tick besser. Reife Leistung, Mr. Malmsteen! Was fehlt, ist vielleicht eine Überballade der Marke "I'm My Own Enemy" oder "Forever One" oder eine Hymne wie "I'll See The Light Tonight". Dafür liefert "Relentless" prachtvollen Power Metal; und einen Schwachpunkt kann ich beileibe nicht ausmachen!
Line-up:
Yngwie Malmsteen (lead guitar, rhythm guitar, bass, lead vocals - #4, vocals, acoustic guitar, synthesizer guitar, keyboards, cello & sitar)
Tim 'Ripper' Owens (vocals)
Nick Marino 'Marinovic' (additional keyboards)
Patrick Johansson (drums)
Tracklist |
01:Overture (0:56)
02:Critical Mass (4:09)
03:Shot Across The Bow (4:39)
04:Look At You Now (5:46)
05:Relentless (4:58)
06:Enemy Within (5:55)
07:Knight Of The Vasa Order (6:07)
08:Caged Animal (4:48)
09:Into Valhalla (4:26)
10:Tide Of Desire (5:42)
11:Adagio B Flat Minor Variation (1:50)
12:Axe To Grind (4:46)
13:Blinded (4:27)
14:Cross To Bear (7:31)
15:Arpeggios From Hell (2:18)
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