Spielzeit: 60:58 Medium: CD Label: Freiland, 2011 (1985-1988) Stil: Underground Review vom 10.10.2011 Ulli Heiser

Wer auf dem Land wohnt, kennt den Anblick: Kühe im Nebel. Wenn du morgens durch die Gegend fährst und Nebelfetzen die Grenze zwischen Berg und Tal markieren, dann kann man sie sehen. Diese Nahrungskonkurrenten meiner vegetarischen Freunde sind immer wieder gerne gesehen (u.a.); und wer schon einmal den nassen Schlabberlappen dieser wohlschmeckenden Spezies auf seiner Hand gespürt hat, in die großen zutraulichen Augen geblickt hat, wird 'sein' Bild von Kühen mit sich tragen. Stehen sie im Nebel, kann man das unter dem Begriff Idyll ablegen ... Oder man denkt an Underground. An musikalischen Underground. Und der trägt in RockTimes sehr oft den Namen The Perc, aka Tom Redecker (Sireena, Shack Media) und in vorliegendem Fall auch "Electric Kindergarten". Vol. 1 Vol. 2 und Vol. 3 hatten wir bereits und nun also "Electric Kindergarten, Rarities Vol. 4".

Dieser ist total den Kühen im Nebel gewidmet. Tracks 1-8 von 1988 ("Female Prayers & Camel Slayers", MC Shack Kin 88035) und die Nummern 9 bis 13 stammen aus dem Jahr 1985 ("The Incredible Promaux Tape", MC Shack F 0047). Erstaunlich, wie variationsreich bzw. unterschiedlich die Stücke von den beiden Original-Tapes daherkommen. Behutsam von Marlon Klein (Dissidenten) digital auf die Reihe gebracht zeigen die 1985er Tracks das Zusammenspiel von Tom Redecker und Theo von Thyssen, während die 1988er Stücke von Tom und OWI stammen. Das heißt, Track 1 bis 3 gehen auf OWIs Konto, der Rest 'gehört' Tom. Die neueren Aufnahmen sind melodischer (Obacht, wenn jetzt jemand eine Schublade im Kopf hat auf der 'melodisch' steht). Ist "The Incredible Promaux Tape" musikalisch genau so, wie man es von einer Band dieses Namens erwartet, so kann man "Female Prayers & Camel Slayers" mit Fug und Recht als hochmelodisch einstufen. Sicher auch, weil Teile des 1985er Instrumentariums wie Vibratoren, Bettfedern und Schreibmaschinen weggelassen wurden.

Aber selbst innerhalb "Female Prayers & Camel Slayers" gibt es einen Unterschied: Die OWI-Tracks und die Redecker-Stücke. Laut Info hatte Tom Redecker zu seiner Zeit seine Russ Meyer-Phase. Die älteren unter uns werden es wissen, diese dicken Möpse ... Diese Vorliebe spiegelt sich in den Tracks 4 bis 8 wider. Diese Songs sind meine Highlights auf dem Album. Sprachsamples, Stimmen (ja ich höre gerade ein paar Fetzen »Vixen, Striptease-Show...« - eindeutig Russ Meyer).
"Super Angel" ist eine Hammernummer. Irgendwie höre ich Zitate, kann sie jetzt aber nicht ganz zuordnen, aber geil, wie Toms sonore Stimme den Namen Uschi Digard (nach Bildern könnt ihr selbst googlen) ins Geschehen bringt. "Night Show" ist superstarker 'schwarzer' Gesang (wenn clean), ansonsten klingt es, wie eine Bowie-Single, abgespielt auf 33rpm. Das hat was! "Godzilla's Revenge": abgrundtiefe Zombie-Stimme. Gruftig. Gruselig. "Godzilla" ist natürlich kein Zombie, aber das war mein erster Gedanke. Geräusche, minimaler Instrumenteneinsatz. Toms Stimme ist das Instrument.

"Electric Kindergarten Rarities Vol. 4" gehört neben den drei Vorgängern ins Regal der Kuriositäten. Natürlich ist auch dieses Volume wieder auf 500 Exemplare limitiert, dem Gedanken dahinter nach, spartanisch ausgestattet und mit Sicherheit nicht für die Konfirmationsfeier. Ob es im Kuhstall für mehr Ertrag sorgt, glaub ich nicht. Aber manche Stücke im dichten Nebel gehört ... ich möchte da keine Kuh sein ...
Kaufen Leute, diese Reihe kann man als Investition ansehen. Zwar nicht so selten wie die One Penny Black, aber diese Art von Musik wird sehr rar sein, in den heimischen Plattenregalen.

Line-up:
Female Prayers & Camel Slayers
OWI (vocals, guitar, drum machine - #1-3, harmonica - #1,3, keyboard - #2)
The Perc (keyboards - #1,4-8 tapes - #2,4-8, vocals & drum machine - 4-8)
The Incredible Promaux Tape
The Perc (vocals, percusiion, krupper, phaser voice, tapes, micro, guitar)
Theo von Thyssen (vocals, percussion, writing machine, vibrator)