Gut vernetzt und das richtige Bauchgefühl
Tom Redecker
Nach Teil 4 der Furious Swampriders-Saga bot es sich an, mit Sireena-Boss Tom Redecker ein Gespräch zu führen.

(Die Fotos im Interview zeigen einige der Künstler des Albums / © Sireena Records)

Interview vom 02.06.2012


Ulli Heiser
RockTimes: Tom, Compilations aus dem Haus Sireena sind ja immer irgendwie besonders. Stellt die Spirit Of Sireena-Reihe noch die Werkschau der Label-Künstler dar, sind die Electric Kindergarten-Rarities ja eine Fundgrube wahrer Underground-Raritäten. Ich gebe zu, nicht immer leicht verdaulich, aber das sollen sie ja nicht sein, sondern dokumentieren, was die deutsche Musikszene (auch an Kuriositäten) in den unveröffentlichten Archiven zu bieten hatte und hat. Die "Swampriders"-Serie geht einen anderen Weg und räumt den Künstlern, die mitmachen wollen, ja eigentlich alle Freiheiten ein. Es gibt keine Stilgrenzen. Richtig? Bitte erzähle unseren Lesern, wie und warum es zu dieser Reihe kam.
Tom: Geplant war ein Soloalbum, das ich 1990 machen wollte und dazu eine Menge Gäste auf der Liste hatte. Dann kam uns die Idee, dass die Leute eigene Songs beisteuern sollten, damit war die Solo-Idee vom Tisch - und "The Furious Swampriders" geboren. Während beim ersten Ausritt fast ausschießlich deutsche Independent-Musiker die Platte bestritten, war es zwei Jahre später bei der Fortsetzung schon internationaler. Magnapop waren dabei, Gun Club, Floyd Westerman und so weiter. Und nun beim vierten Teil halten sich deutsche und ausländische Bands die Waage. Alle haben eines gemeinsam: Sie haben Titel geschrieben, die kein Mainstream sind, die Songs haben Ecken und Kanten, sind teils sperrig, düster, staubig - aber so müssen Swampriders klingen.
RockTimes: Apropos, was bedeutet Swampriders? Man kann es übersetzen, aber welcher Gedanke leitete dich, als du diesen Namen gewählt hattest?
Tom: Ein Swamprider ist jemand, der versucht vorwärts zu kommen, aber nicht den glatten Weg (Mainstream) wählt , sondern den verschlammten, schwierigen, dabei aber interessanteren Weg. Man trifft da auf coolere Leute.
RockTimes: Wie muss man sich das Entstehen eines Swamprider-Albums vorstellen? Die Musiker sind ja sicher nicht alle mit dir im Studio. Wenn ich so einige Namen lese - ich nehme mal stellvertretend den Willie Nelson - kann ich mir nicht vorstellen, dass die alle mal schnell vorbeijetten.
Tom: Bei dem ersten Teil war das tatsächlich so, dass sich speziell für die Swampriders musikalische Projekte zusammengetan haben. Das lässt sich allerdings nicht immer realisieren. Inzwischen sind wir froh, wenn wir exklusive Titel bekommen, aber auch bereits erhältliche Songs, die thematisch ins Konzept passen, nehmen wir gerne.
RockTimes: Die Auswahl der Musiker zeugt von einer großen Wissensbandbreite über die Musiklanschaft. Mag es bei einem Magazin wie RockTimes noch irgendwie verständlich sein, Leute wie z. B. Dad Horse Ottn zu 'kennen' - da ja eine Riesenanzahl an Promotern die unterschiedlichsten Sachen schicken -, so muss ja nicht automatisch jeder Labelchef dies alles mitbekommen. Du hast deine Ohren und die Nase also sicher am Puls des Geschehens auch außerhalb des Sireena-Lagers.
Tom: Das grundsätzliche Interesse an guter Musik lässt ja nicht nach. Es passieren ja weiterhin tolle Geschichten, auch ausserhalb des Wiederveröffentlichungs-Rasters von Sireena Records. Also habe ich die Nase nach wie vor im Wind, und da kriegt man schon noch eine Menge mit.
RockTimes: Sireena bringt viele Veröffentlichungen als CD und LP heraus. In unserer Redaktion gibt es immer mehr Stimmen, die LPs vorziehen. Es scheint, als erlebe dieses Medium eine Art Renaissance. Mit Recht, denn für uns 'Alte' ist Vinyl einfach ein Stück erlebte Musikgeschichte. Darf man fragen, wie die Aufteilung der Verkäufe ist? Also mehr CDs als Vinyl oder umgekehrt?
Tom: Noch ist die CD der dominante Tonträger, aber Vinyl holt mit Riesenschritten auf. Das ist wirklich so und inzwischen auch im Ausland. Das macht uns besonders glücklich, da auch wir mit Vinyl großgeworden sind. Hat was von Back to the Roots.
RockTimes: Leider ist dein Partner Lothar vor sieben Jahren verstorben. Daher, so schreibst du, hat sich Teil 4 der "Swamprider"-Serie verzögert. Das lässt hoffen, dass wir auf Teil 5 nicht so lange warten müssen. Eine Fortsetzung ist doch sicher geplant?
Tom: Wir gehen da erst einmal in eine andere Richtung. Da die ersten beiden Teile der "Furious Swampriders"-Saga ja schon lange vergriffen sind, schwebt mir eine "Best Of Early Days" vor. Da waren großartige Bands bei wie Rumble On The Beach, Ferryboat Bill, Vee Jays, Magnapop, Gun Club, Element Of Crime, Floyd Westerman und viele andere. An diese wunderbaren, zum Teil exklusiven Songs würde ich gern noch einmal erinnern.
RockTimes: Da erübrigt sich eine Frage, die ich gerade stellen wollte. Und zwar, ob alle Teile noch erhältlich sind. Von daher ist es eine gute Idee, den 'Zu-spät-gekommenen' einiges davon noch einmal zugänglich zu machen. Wie ist das eigentlich, wenn eigene oder Label-Platten Sammlerraritäten und ausverkauft sind? Freut dich das, oder denkst du, hätte ich doch besser die Auflage etwas größer gemacht?
Tom: Natürlich freut man sich, wenn die Platten gut angenommen werden. Nach Abverkauf einer Auflage wird bei guter Nachfrage auch weitergepresst. Wenn nicht - hat sich das erledigt.
RockTimes: Viele der Musiker sind ja in Deutschland beheimatet; Gelegenheit also, den einen oder anderen in der Electric Family 'einzusetzen'. Oder ist das Line-up der Family tabu?
Tom: Da gabs ja schon einige Schnittmengen. Wenns passt, dann sind die Kollegen sehr gern auch bei der Electric Family gesehen.
RockTimes: Mal abgesehen von den "Swampriders": Sireena bringt ja als LP-Erstauflage die Yes-Scheibe "Open Your Eyes". Wie kommt man als deutsches 'Speziallabel' an eine Band dieser Größenordung? Oder andersrum, warst du schneller als die 'ganz Großen'?
Tom: Das läuft über eine Agentin in England, mit der wir schon im letzten Jahr bei CHIC zusammengearbeitet haben. Als wir herausfanden, dass die besagten YES-Alben "Open Your Eyes" und "Magnification" noch nie auf Vinyl erschienen sind, haben wir Kind und Kegel versetzt, um den für unsere Verhältnisse beachtlichen Vorschuss zusammen zu kriegen. Jetzt heisst es abzuwarten. Aber das Bauchgefühl bei dem doch großen Interesse ist gut. Wir sind einfach gut vernetzt und bekommen eine Menge von den Fans mit, die unser Programm mögen und Tipps geben. Das fehlt den 'Großen' eindeutig.
RockTimes: Sireena deckt eine enorme Bandbreite ab. Von alten, fast vergessenen, Bands aus allen Stilrichtungen, Leute wie Henry Vahl, Heidi Kabel oder Lale Andersen, bis aktuell hin zu Yes. Du hast mir mal erzählt, dass es stilistisch kaum Grenzen gibt.
Gibt es andere Grenzen, oder wen hättest du gerne unter dem Sireena-Brand?
Tom: Die stilistische Vielfalt des Sireena-Programms ergibt sich aus unserem vielseitigen Musikgeschmack. Wir haben ja zwei grundsätzliche Pfeiler, das sind Kraut- und Progressive Rock auf der einen und Punk/New Wave auf der anderen Seite. Aber Blues Rock oder Jazz Rock oder eben Henry Vahl gehören genau so zu unserem Oeuvre. Wichtig ist auch die musikhistorische Sichtweite. Es ist uns wichtig, großartige Musik am Leben zu erhalten, sonst würden viele Musiker schlicht und einfach vergessen werden.
Sicherlich gibt es Geschmacksgrenzen, Volksmusik und Schlager zum Beispiel wird man von uns wohl kaum erwarten. Da haben wir auch keine Ambitionen. Aber Neil Young oder Zappa, das wären Kaliber, die wir gern auf dem Label hätten, wer weiss. Aber wir wollen uns nicht beklagen. Ramones, Yes, Nektar oder Grobschnitt haben wir ja bereits im Programm und viele andere auch. Demnächst auch Edgar Broughton und Zzebra. Das ist schon alles ganz richtig so.
RockTimes: Edgar ist ein Guter. [Und ich melde hiermit gegenüber den RT-Kollegen schon mal ein Vorrezensionsrecht ein. Auch was Zappa und Neil Young betrifft]. Ich drück UNS die Daumen, auf weitere Kaliber. Wobei, oft passiert es mir, dass (mir) unbekannte Bands so richtig einschlagen.

Dafür, dass gerade Sireena immer wieder solche Perlen ausgräbt, ein dickes Dankeschön.
Danke Tom für das Gespräch und im Namen aller Musikliebhaber: Macht genau so weiter.
Tom: Danke schön, das gebe ich gern zurück.
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