"The Complete Works" beinhaltet drei Alben von Phenomena und ist eine musikalische Dokumentation eines Zusammenschlusses vieler guter und bekannter Musiker. Dieses Projekt beginnt im Jahr 1982. Da findet nämlich eine Probe statt, an der sich Mel Galley (Vocals & Guitars), Richard Bailey (Keyboards), Merv Spence (Bass & Vocals) und Steve Bray (Drums) beteiligen. Aus einer Reihe von eigenen Stücken reift die Idee, ein Konzept zu entwickeln und dies musikalisch zu untermauern: Ein Professor entwickelt ein Computersystem, welches die Welt verändern soll. Und dann spielt da noch die Tochter des Professors eine wichtige Rolle, denn die kann sich schlecht von dieser Computerentwicklung lossagen. Klingt alles komisch und nicht einleuchtend, lässt aber eine Menge an Spekulationen zu. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand, dass Phenomena im weiteren Verlauf ein All-Star-Projekt werden würde, was es so in dieser Art und Weise, und vor allen Dingen über die lange Laufzeit, noch nicht gegeben hat.
Klar, für einzelne Stücke zu bestimmten Anlässen hatten sich immer mal wieder eine Reihe von Musikern zusammen gefunden, aber nun ist es so, dass der Vater des Gedankens, nämlich Mel Galleys Bruder Tom, seine Ideen nach ganz eigenen Vorstellungen umsetzen möchte. Beachtlich ist hierbei, dass sich die teilnehmenden Künstler bei den späteren Aufnahmen mit viel Engagement einbringen und so gemeinsam dafür sorgen, dass die entstandenen Werke inzwischen einen gewissen Kultstatus besitzen.
Dieser Kult hat seine Wurzeln bereits in den 70er Jahren, als eine Band namens Trapeze ordentlich zu Gange war. Dort spielten nämlich Mel Galley und der später maßgeblich beteiligte Glenn Hughes (vocals & bass) zusammen. Zwischen dieser Epoche und dem Phenomena-Projekt liegen wichtige Stationen der Musiker, die ihnen in weiten Teilen Ruhm und Achtung einbrachten.
Glenn Hughes schloss sich im Jahr 1973 der britischen Hard-Rock-Formation Deep Purple an. Hier kam er mit David Coverdale zusammen, der später Whitesnake gründete. Whitesnake lieferte wiederum einen Teil zu Phenomena bei. Ihr merkt schon, die ganze Geschichte ist etwas verworren. Etwas Licht bekommt man in die Sache allerdings hinein, wenn man sich die einzelnen Musicians und deren Herkunft mal genauer anschaut.
Nach 3 Jahren Planungsphase erscheint im Jahr 1985 das erste Album und das Line-up liest sich beeindruckend. Neben dem bereits erwähnten Glenn Hughes, der eine hervorragende Stimme abliefert, spielte der im Jahr 1998 verstorbene Cozy Powell das Schlagzeug ein. Der hatte in den 70ern zusammen mit Ritchie Blackmore, Ronnie James Dio und Bob Daisley die wohl prägnanteste Phase von Rainbow abgespult.
Neil Murray kommt von Whitesnake und hatte bis dato dort seine knurrigen Bassläufe abgeliefert. Eine Phase, als die Jungs um David Coverdale zusammen mit Bernie Marsden und Micky Moody noch eine Menge Blues in die Musik von Whitesnake einbrachten. Don Airey an den Tasten hatte zu Beginn der 80er Jahre ebenfalls bei Rainbow eine Unterkunft gefunden und das Album "Difficult To Cure" mit eingespielt. Hinzu kommen eine Reihe von Musikern, die zwar ebenfalls Qualität bieten, jedoch nicht ganz mit dem Glanz der genannten Stars mithalten können. Bei dieser Zusammenarbeit kommt ein Album heraus, welches schon für damalige Verhältnisse einen bombastischen Sound hat. Das spricht für die saubere Arbeit des Produzenten Tom Galley, und immerhin wird das gesamte Projekt ohne große Umwege von Gerry Brons Bronze Records unter Vertrag genommen. Wilfried M. Riemensberger baut zu diesem Zeitpunkt gerade das 'Metal Hammer'-Magazin auf, fungiert als Berater und sorgt dafür, dass das Projekt bei BMG International weltweit vermarktet wird.
Stilistisch kann man festhalten, dass die Musik schwer im melodischen Rock verankert ist, die kaum erahnen lässt, woher die Akteure eigentlich stammen. Glatt poliert und über die gesamte Dauer eingängig. Besonders auffällig sind auch die umfangreichen Chorgesänge, die vielen Synthesizer, aber auch die gefälligen Gitarren, die es Glenn Hughes ermöglichen, eine grandiose Gesangsleistung abzuliefern.
So handelt es sich beim Eröffungstrack "Kiss Of Fire" um einen melodischen Stampfer aller erster Güte, der natürlich von den Vocals eines Glenn Hughes lebt. Dabei geraten die Gitarren nicht in den Vordergrund, sondern der Synthesizer dominiert außerordentlich. Die Gitarre von John Thomas macht sich fast ausschließlich in den Solo-Läufen bemerkbar. Man merkt, dass dies ein Song zu einem Konzept ist, denn stimmungsmäßig machen die Melodien einfach neugierig auf das, was folgen wird.
"Still The Night" wurde von Pat Thrall geschrieben und spiegelt die musikalische Ausrichtung von Phenomena wieder. Sozusagen ein Paradebeispiel und man kann guten Gewissens sagen: Wem das gefällt, der kommt auch mit dem Rest mehr als gut zurecht.
Etwas außergewöhnlich ist die Melodie von "Dance With The Devil". Vom Rhythmus dem Titel durchaus angepasst, rockt der Song ordentlich los.
"Phoenix Rising" offenbart hingegen einen Hang zu einer Ballade. Kommen wir wieder zum Kern der Sache zurück. Für sich alleine würde ich dem Track nicht unbedingt eine besondere Note geben, aber im Konzept gesehen passt das wie die Faust aufs Auge.
"Who's Watching You" ist für mich ein Anspieltipp, denn es vereint so ziemlich die komplette Stärke von Phenomena: toller Gesang, heftige Synthies und rockige Gitarrenriffs. Man kann eigentlich über das gesamte Album kaum einen Ausfall ausmachen. Von daher gehört diese erste Scheibe des Projektes in jeden Schrank eines Melodic-Hard-Rock-Fans.
Die Bonus-Tracks, die "The Complete Works" dem Hörer bietet, sind hoch interessant. Das sind zum Teil Aufnahmen der ersten Proben, als man die Anfangsideen noch verarbeitete. Ein Vergleich mit den Endresultaten lohnt sich.
Line-up Phenomena I:
Glenn Hughes (vocals)
Cozy Powell (drums)
Mel Galley (guitars)
Neil Murray (bass)
Don Airey (keyboards)
John Thomas (guitars)
Richard Bailey (keyboards)
Ted McCenna (drums)
Pete Green (b.vox)
Alison McGinnis (b.vox)
Robin Smith (keyboards)
Rick Saunders (fiddle)
Neil Willars (boy soloist)
Paul Robbins (b.vox)
Der Erfolg stellt sich ein, und obwohl man den Eindruck hatt, dass auf dem 1. Teil an manchen Stellen mit angezogener Handbremse gerockt wurde, legt man im Jahr 1987 mit "Dream Runner" nach. Wilfried M. Riemensberger steht weiterhin zur Seite und entscheidet, dass eingeschlagene Konzepte fortzuführen. Und noch etwas ganz Entscheidendes spielt sich ab. Der 'Metal-Hammer' entwickelt sich zur absolut wichtigsten Presse für alle Metaller und Hard Rocker. Und genau hier findet man mehr als wohlwollende Worte, die das Projekt loben. So stößt man auf Akzeptanz und kann in aller Ruhe weiter machen.
Neben Glenn Hughes und Neil Murray gesellen sich andere, nicht weniger namhafte Musiker dazu. Da kommt zum Beispiel der Old-Scool-Rocker Scott Gorham, der zusammen mit Phil Lynott bei Thin Lizzy gerockt hatte. Der Bassist John Wetton, der u.a. bei Uriah Heep und später Asia spielte, bringt sich ebenso ein, wie Sänger Ray Gillen (u.a. Black Sabbath). Die Musik wird noch chart-tauglicher, ist immer noch bombastisch, verliert sich allerdings auch ein ums andere Mal in AOR-Gefilden.
Schon beim ersten Song dieser Langrille überzeugt Ray Gillen als Sänger, allerdings wirken die Gitarren von Kyoji Yamamoto etwas überladen. Die Chorgesänge graben sich in die Gehörgänge und das Schlagzeug rummst. Und wie schon auf dem Erstlingswerk bekommt man mit Track 2 "Surrender" melodischen Hard Rock vom feinsten geboten. Glenn Hughes in bestechender Form und ein toller Guitar-Sound von Mel Galley. Die Keyboards von Leif Johansen drücken ihren Stempel auf. In seiner Gesamtheit erhält man als Ergebnis den angesprochenen Bombast.
Auch die seichte Tour ist präsent. Harmonisch, fast schon lieblich, klingt "Did It All For Love". Die Vocals werden erneut gewechselt und John Wetton bedient das Mikro. Sehr gelungen. Die Handbremse wird, trotz enormer AOR-Lastigkeit, an manchen Stellen gelöst. So braten die Gitarren bei "Double 4, 55, 44" mehr als ordentlich. Natürlich schlagen alle Songs weitestgehend in ein und dieselbe Kerbe. Aber auch auf "Dream Runner" spürt der Hörer den gemeinsamen Spirit, den das Projekt ausmacht. "No Retreat, No Surrender" ist dafür das beste Beispiel.
Schließlich kommt man zu dem Schluss, dass Teil 2 in sich noch stimmiger, noch glatter ist. Eine gelungene Fortführung mit etwas mehr Abwechslung in der Bedienung der Instrumente, stilistisch auf einem hohen Level festgelegt. Überzeugende Leistung!
Line-up Phenomena II:
Ray Gillen (vocals)
Kyoji Yamamoto (guitars)
Neil Murray (bass)
Michael Sturgis (drums)
Leif Johansen (keyboards)
Glenn Hughes (vocals)
John Wetton (vocals)
Mel Galley (guitars)
Scott Gorham (guitars)
Neil Sturgis (bass)
Max Bacon (vocals)
Toshihiro Nimi (drums)
John Thomas (guitars)
Und noch etwas gehört in die Geschichte von Phenomena:
Tom Galley hat die Idee, einen dazugehörigen Film zu drehen. Hierfür kann man als ausführenden Produzenten Raymond Homer gewinnen und die Hauptrollen übernehmen in den Planungen Sean Connery und Emily Lloyd. Der Film wird nie fertig gestellt, übrig geblieben ist allerdings ein Trailer zum Song "Did It All For Love".
Es dauert bis ins Jahr 1993, als es Tom Galley doch gelingt, den dritten Teil "Innervision" auf die Musikwelt loszulassen. Noch während der Aufnahmen kommt es zum Streit mit Riemensberger. Dieser ist mit dem "weichen Sound" und den Lyrics nicht einverstanden, was dazu führt, dass die Plattenfirma die Veröffentlichung der Platte zunächst verweigert.
Das Line-up verringert sich in seinem Umfang. Allerdings kann man mit Brian May ( Queen) auch einen zusätzlichen, namhaften Gitarristen gewinnen. "Innervision" liegt kein gemeinsames Konzept mehr zu Grunde. Die Scheibe besteht aus einer losen Aneinanderreihung einzelner Songs, die die Qualität der beiden Vorgänger nicht halten kann. Sound und Bombast sind zwar immer noch vorhanden, aber dennoch wirkt dieser dritte Teil wie ein Fremdkörper.
Auch wenn "Rock House" diese Scheibe verheißungsvoll eröffnet und sicherlich ein klasse Stück ist, merkt man schon bei "Banzi", dass es hier mehr um Mainstream geht, als das eine Scharr von gestandenen Musikern gemeinsam und zusammenhaltend etwas an den Hörer bringen möchte.
"What About Love" ist eine glänzende Midtempo-Nummer, nur eines wird dabei ganz deutlich: Keith Murrell hält dem stimmlichen Vergleich mit Glenn Hughes nicht stand. Hätte man "Innervision" außerhalb der eigenen Konkurrenz veröffentlicht, dann ginge der Silberling als melodische Veröffentlichung durch, die sicherlich über dem Durchschnitt läge. Im Gesamtkonzept gesehen macht sich leider etwas Ernüchterung breit.
"If You Want To Rock" kracht mit seinen Bässen zu Anfang richtig los, entpuppt sich dann leider zu einem Rocker, den es schon viel zu oft gibt. Das beschreibt eigentlich das Manko von "Innervision". Es fehlen die Aha-Erlebnisse. Denn die kann man auch im Melodic Rock gekonnt unterbringen.
Bei "Shape It Up" wird das Tempo noch mal merklich angezogen. Dieses Stück kommt noch am glaubwürdigsten rüber, man spürt die Rockmusik, setzt die richtigen Breaks. Die Gitarre ist innovativ und auch die übrigen Instrumente wirken homogen, wie man es bisher gewohnt war.
"Rock My Soul" ist eine an Kitsch kaum zu überbietende Ballade, die zwar auf einen Kuschelrock-Sampler passen würde, für einen Zusammenschluss, der sich Phenomena nennt, jedoch zu einfach gestrickt ist.
So lautet das Fazit: Recht ordentlich, kann sich aber mit den beiden ersten Teilen nicht messen. "Innervision" ist kein gestandenes All-Star-Projekt mehr.
Tom Galley verkauft in der Folge alle Rechte von "Phenomena III", ohne sich mit Riemensberger abzustimmen. Man geht getrennte Wege. Heute findet man auf der offiziellen Website des Phenomena-Projektes keinen einzigen Hinweis auf die Beteiligung von Wilfried M. Riemensberger.
Line-up Phenomena III:
Scott Gorham (guitars)
Keith Murell (vocals)
Leif Johansen (keyboards)
Michael Sturgis (drums)
Brian May (guitars)
Tom Galley versuchte über Jahre, dass für einen vierten Teil eingespielte Material an den Mann zu bringen und somit zu veröffentlichen. Es dauert 15 Jahre, bis ihm das gelingt. 2006 erscheint endlich Psycho Fantasy.
Und nun, zum Jahresende, liegt "The Complete Works" vor. Die ersten drei Werke in einer Box, wodurch der Interessierte noch einmal die Chance hat, sich das Phenomena-Projekt komplett in die eigenen vier Wände zu holen. Und die sollte man nutzen, denn unterm Strich ist Phenomena immer noch eine sehr interessante Sache. Es ist ein Stück Musikgeschichte, bei der man beobachten muss, ob diese fortgeschrieben wird oder ob der Abschluss mit "Psycho Fantasy" nun gemacht wurde. Man darf gespannt sein.
Tracklist |
Phenomena 1:
01:Kiss Of Fire (4:53)
02:Still The Night (3:27)
03:Dance With The Devil (4:44)
04:Phoenix Rising (4:44)
05:Believe (5:53)
06:Who's Watching You (3:41)
07:Hell On Wings (3:56)
08:Twilight Zone (4:13)
09:Phenomena (2:05)
10:Still The Night (3:39)
Bonus:
11:Karma (5:21)
12:Coming Back Soon (4:36)
13:Assassins Of The Night (5:30)
14:Phoenix Rising (6:01)
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Phenomena II (Dream Runner):
01:Stop (4:36)
02:Surrender (3:23)
03:Did It All For Love (4:59)
04:Hearts On Fire (4:53)
05:Juke Box (3:47)
06:Double 6, 55, 44 (4:10)
07:No Retreat No Surrender (4:16)
08:Move You Lose (3:35)
09:Emotion Mama (3:46)
10:It Must Be Love (3:55)
Bonus:
11:Did It All For Love (4:28)
12:Forever (5:05)
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Phenomena III (Innervision):
01:Rock House (4:17)
02:Banzi (4:39)
03:What About Love (5:02)
04:Into The Fire (4:27)
05:A Whole Lot Of Love (5:40)
06:Secret Of Love (3:57)
07:If You Want To Rock (4:20)
08:How Much Do You Love Me (4:00)
09:Shape It Up (3:41)
10:Rock My Soul (5:04)
Bonus:
11:No Retreat No Surrender (4:13)
12:Scalpel & Heart (1:51)
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Externe Links:
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