Nach dem letztjährigen Konzert im Mai verschlug es den Hamburger erneut nach Wilhelmshaven. Die Veröffentlichung der aktuellen Platte Hatte ich dich nicht gebeten im Auto zu warten warf vielleicht bei einigen die Frage auf, wie er wohl die neuen Songs präsentieren würde, zumal auch Bläser involviert waren.
Doch Reincke hielt es wie im letzten Jahr - 'unplugged' sozusagen - die 'Gitarrenarmee' mit drei akustischen Gitarren marschierte wieder. Allerdings mit einem Unterschied: Nicht der Bassist Stephan Gade bediente die dritte Gitarre neben Michy Reincke und Ralf Denker, sondern Jörn Heilbut war diesmal dabei, und das - nebenbei erwähnt - erfreute mich.
Aber zuvor gab es, wie im Vorjahr, eine 'Vorgruppe'. Diesmal war es nicht Katharina Vogel, die vorgestellt wurde, sondern eine Newcomerin aus Hamburg namens Buket. Gleich vorweg: Ihr gelang es nicht, so wie ihre Kollegin es konnte, mich 'anzusprechen', denn der Vortrag konnte mich überwiegend emotional nicht positiv bewegen, trotz unbestritten guter stimmlicher Leistung, die sich aus der von der Sängerin erwähnten Gesangsausbildung wohl ergeben haben wird. So meine ich, dass die Zurschaustellung vieler Varianten menschlichen Stimmumfangs und Gesangsstile zu viel des Guten war. Reduzierung und Klarheit in der Aussage hätten mehr ausdrücken können, etwa wie der von fünf gesungenen Titeln dritte, der in Form einer Ballade genau diese Zurückhaltung in positivem Sinne bieten konnte. Darüber hinaus blieb keiner der Songs wirklich hängen - hieran muss wohl noch gearbeitet werden.
Bei Reinckes erstem Song ("Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen") mit der nun vollzählig versammelten Band unterstützte Buket noch als Backgroundsängerin, bevor sie später in dieser Eigenschaft noch einmal auftreten sollte - bei den Zugaben. Nun, zu dritt, fegte die 'Gitarrenarmee' gleich los, erneut mit druckvollem Sound, mit sehr viel Harmonie, einer traumwandlerischen und rhythmischen Einheit, die mich auf eine gute Reise mitnahm. So ist mir vermehrt aufgefallen, dass ein starkes Westcoast-Feeling mitschwang. Musik, die in jene Richtung geht, wie sie unter anderen von den Eagles klingen könnte, spielten diese ebenfalls 'unplugged'. Ja, dieses Gefühl wurde jedenfalls für mich transportiert und als musikalischer Freund der Eagles war ich emotional sofort auf diesem Level. Nun, dafür spricht auch, dass die Titel der letzten Platte wie auch die älteren Songs in diesem neuen Gewand in ganz andere Arrangements gepackt waren und obendrein, weil sie alle diesen ganz besonderen Erkennungswert haben, für die Güte der Songs.
Hierbei, im direkten Vergleich und in der Gegenüberstellung alter und neuer Lieder, ließ sich eine klare Entwicklung erkennen, sowohl in der Struktur im allgemeinen als auch in den Texten im Besonderen. Das spricht auch für das, was Reincke über das 'Taxi-Phänomen' berichtete: Über Entwicklung - nämlich, Dinge nicht solange in der Kommode zu belassen, bis sie 'kommod' werden, sondern das Schubladendenken zu verlassen. Daher sei es auch, mit Bezug auf das Cover der neuen Platte, nun wohl eher ein Weltraumtaxi, mit dem man unterwegs sei. Unter Hinweis auf den Weltraum passte der Song über die Außerirdischen, die die Erde nicht betreten wollen, gut - "Wir fliegen vorbei". In diesem Zusammenhang sprach Reincke auch von einer Zeit des Umbruchs, in der wir leben. So müsse man sich auch nicht mehr alles gefallen lassen, sich aber nicht unbedingt beschweren, denn, im Sinne des Wortes, würde das doch nur einen selbst 'beschweren'. Dann solle man sich doch lieber empören, und - so sehe ich es auch - dann geht es wohl eher 'empor'. Auch wies er auf Joni Mitchell hin, die bereits einst in einem Text davon sprach, dass wir alle 'Sternenstaub' seien ( »We are stardust, We are golden «, aus "Woodstock") und so leitete er über zum Song, dessen Titel diese Tournee trägt: "Steh' auf und scheine".
Inmitten der neuen Songs gab es natürlich auch wieder einmal etwas Altes - hier 'ein Lied zum Mitmachen', "Nächte übers Eis". Das ansonsten in Wilhelmshaven so kultivierte Publikum sollte hierbei ruhig mal so richtig ausflippen. Durch die gute Atmosphäre und Stimmung verflog die Zeit wie im Flug, sodass nach einer Stunde und fünf Minuten eine Pause anstand, doch zuvor bekamen Michys Mitstreiter noch einmal ihr Fett weg, Ralf brauche diese Pause, um wieder seine Tabletten zu nehmen und Jörn möge endlich, angesprochen auf seine Fußperkussion, mit dem Geklöter aufhören. Ans Publikum gerichtet, noch der diskrete Hinweis auf den Erwerb von CDs, solange es dieses Format noch gäbe und das qualitativ unglaublich hochwertige Poster.
Im letzten Titel vor der Pause kam es dann zur Gitarrenekstase, Reincke wurde von seinen links und rechts flankierenden Begleitern immer mehr angetrieben, immer schneller wurde es, ein hartes Stück Arbeit!
Nach etwa zwanzig Minuten Pause folgte die Fortsetzung, um noch für gut eineinhalb Stunden nachzulegen, wenngleich auch einige Batteriewechsel den Start verzögerten und erneut für die eine oder andere Anekdote Anlass gaben. Zum Beispiel zu einem mit Michy angekündigten Interview im Penthouse, was wohl eher zu einer kurzzeitigem Umsatzsteigerung des Blattes führte. Einer meiner liebsten Songs folgte alsbald mit "Du brauchst keine Angst zu haben", dem ein Ansage über die Ängste in unserer Überflussgesellschaft vorausging. Zu "Für immer blond" oblag es dieses Mal Jörn, eine geeignete Kandidatin aus dem Publikum auszuwählen, die auf der Bühne Mundharmonika spielen durfte. An diesem Abend war es Susanne, die ihren großen Auftritt hatte. Ferner gab es noch eine Solovorstellung von Michy. Ohne seine Begleiter sang er "Sie war's wert", bevor mit "Es ist alles Musik" alle drei wieder das Tempo kraftvoll anzogen und einen für mich echten neuen Hit zu Gehör brachten.
Der Zugabeteil startete mit "Valerie Valerie" und nach dem "Taxi" war es "Es wär so schön" vorbehalten, diesem mitreißenden Konzert ein würdiges Ende zu setzen. Abermals verstand es Heilbut, den Sound perfekt auszukleiden und mit leider viel zu kurzen Soloeinlagen Akzente zu setzen. So hätte ich mir unter anderem bei einem mit Slide gespielten Solo dieses gern noch etwas ausführlicher gewünscht. Neben seiner gitarristischen Tätigkeit, oblag es Jörn auch noch, die Arbeit als Rhythmusgeber mittels am Bein befestigter Schellen zu übernehmen. Dies veranlasste Michy dazu, ihn erneut als 'Klötermann' zu bezeichnen, in Verbindung mit einem Ausflug in frühere Fernsehzeiten, "High Schepperell". So lag es nahe, auch einen Seitenhieb auf die Männergesellschaft bei "Bonanza" abzufeuern, mit dem Hinweis auf den armen gebeutelten und offensichtlich mißbrauchten chinesischen Koch ( Hop Sing). Der Wortspielereien gab es viele, aber so sind ja schließlich auch viele der Texte aufgebaut - mit dieser Doppeldeutigkeit, die den wahren Sinn oft spontan verborgen lässt. Hinzu kamen, besonders im ersten Set, immer wieder längere Ansagen mit kleinen 'Weisheiten' und Frozzeleien, wie zum Beispiel: »Alkohol kann zu schweren Verletzungen führen, wenn er nicht richtig eingenommen wird« oder »Da sind jemandem die Kontaktlinsen herausgefallen « (als eine Flasche Bier umfiel).
Wiederum hat sich gezeigt, dass mit Michy Reincke ein ganz besonderer Geschichtenerzähler philosophischen Ausmaßes die deutschsprachige Musiklandschaft entscheidend bereichert, oder gar, und ich muss mich da gar nicht unvorsichtig weit aus dem Fenster hängen, in der ersten Liga spielt, ohne dass es übermäßig bemerkt werden würde. Aber das kann ja auch gar nicht, denn, verglichen mit vielen deutschsprachigen Interpreten, die sich erfolgreich in den Charts tummeln, sind seine Beiträge mittlerweile wahrscheinlich für die breite Masse zu hochwertig geworden, als dass sie dort Berücksichtigung finden könnten. Vielleicht sind seine Texte ja auch zu anspruchsvoll, zu kompliziert und unverständlich für viele, sein spezieller Witz und Humor auch zu tiefsinnig. Und genau das zeigt sich dann auch durch viele Musikwünsche aus dem Publikum, die fast ausschließlich auf alte Titel abzielen. Gut, dass er nicht mehr darauf bedingungslos eingeht und noch immer den galanten Kompromiss findet, nur ein paar alte Songs einzuflechten und das unvermeidliche "Taxi nach Paris" in den Zugabeteil zu verfrachten. Ich bin gespannt auf den nächsten Hit in den Charts. Mitunter schien das alte Vorbild Bob Dylan auch wieder durch, zum Beispiel atmete der Song "Mein schwarzes Herz" gewaltig die Atmosphäre dieses Kollegen.
Noch eine kleine Anmerkung: Nach dem bereits in Richtung 'Unplugged' steuernden Album Palais Salam wäre es sehr schön, könnte man diese akustische Liveatmosphäre der aktuellen Konzerte auch auf einem Tonträger nachvollziehen, sei es als CD oder DVD. Wie wäre es also bei Gelegenheit mit einer entsprechenden Veröffentlichung?
Im Übrigen geht noch ein Dank an das Team vom Pumpwerk für die problemlose Akkreditierung.
Line-up:
Michy Reincke (vocals, guitars)
Ralf Denker (guitars, melodica, harmony vocals)
Jörn Heilbut (guitars, harmony vocals)
Susanne (mouth harp)
Setlist |
01:Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen
02:Niemand kommt so selten vor
03:Deine Augen genügen
04:Wir fliegen vorbei
05:Steh auf & scheine
06:Gib alles oder vergiss es
07:Mein schwarzes Herz
08:Nächte übers Eis
09:Raffinierte Methoden im Umgang mit Frauen
10:Du brauchst keine Angst zu haben
11:Erzähl mir nicht, dass Du nur tust, was man Dir sagt
12:Sie begegnete mir auf die gleiche Art wie der Blitz in einen Baum einschlug
13:Für immer blond
14:Mach Dein Herz laut
15:Sie wars wert
16:Es ist alles Musik
17:Valerie Valerie
18:Taxi nach Paris
19.Es wär so schön
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