Beim dritten Album veränderten sich für R.E.M. einige Umstände. Aufgenommen wurde "Fables Of The Reconstruction" in den Londoner Livingston Studios und der Produzent war für die Gruppe ein neuer Mann. Man begab sich in die Hände von Joe Boyd, der vorher schon für Pink Floyd, The Incredible String Band, Fairport Convention, Nick Drake, John Martyn oder Richard Thompson an den Reglern saß.
Bei der historischen Einbettung der Platte spielt definitiv das ellenlange Touren eine bemerkenswerte Rolle. Irgendwann kommt der Tiefpunkt, an dem anscheinend nichts mehr gehen kann. Als einziger Schreiber kommt im Booklet der Gitarrist Peter Buck zu Wort. Seine Erinnerungen sind zwar ziemlich knapp gehalten, aber mehr als deutlich. Er schreibt: »All four of us were completely out of our minds at the time. We had just spent four straight years on the road; we were tense, impoverished, certifable, and prime candidates for rehab.« Weiterhin stellt er fest, dass sie bis auf "Driver 8" sowie "Old Man Kensey" keinen weiteren Song parat hatten. Vor dem Trip nach London fand man Zeit für Proben und Vorbereitungen, die in Jim Hawkins' Boulevard Garage Studio in Athens stattfanden. Am letzten Tag der Proben ließ Hawkins die Bandmaschine mitlaufen und was R.E.M. dort spielte, gibt es auf der Bonus-CD "The Athens Demos" zu hören.
Die Deluxe Edition kommt als sehr gut gefülltes Box-Set über den Ladentisch. Neben den beiden Platten in Pappschubern gibt es das bereits erwähnte Booklet, vier Postkarten mit je einem Bild der Musiker (identisch mit denen auf dem Cover) sowie ein großes Poster mit den Maßen 90 cm x 60 cm. Was fehlt, ist eine Tracklist im Box Set. Ich habe sie mir von der Verpackungsfolie geknibbelt und in den Deckel der Schachtel geklebt.
In einem weiteren Statement des Gitarristen wird deutlich, dass man sich unvorbereitet für die Londoner Aufnahmen fühlte. Dafür und für alle anderen bereits benannten Umstände ist "Fables Of The Reconstruction" verdammt gut ausgefallen. Die elf Songs dokumentieren R.E.M. in einer anderen Verfassung und somit ist der musikalische Rahmen vorliegender CD nicht mit Murmur … beziehungsweise Reckoning … in einen Topf zu werfen.
Das amerikanische Quartett lässt viel mehr Moll- als Dur-Tonleiter einfließen und das Streichertrio im Opener dient auch nicht gerade der atmosphärischen Erhellung. So ist das nun einmal ... Winzigkeiten können Auswirkungen von ungeahnter Tragweite haben. Nun muss man sich nicht gleich ein Taschentuch bereitlegen, um die knapp vierzig Minuten zu überstehen. "Driver 8" sowie "Old Man Kensey" waren ja zu dem Zeitpunkt fast schon alte Bekannte und vorher auf den Deluxe Editionen zu hören. Abgesehen davon macht auch "Can't Get There from Here" mit Gebläseverstärkung ordentlich Dampf. Hier befindet sich die Combo auf ihrer eigenen Art von Funk-Versuchsstrecke. Na ja, das Ergebnis ist hörenswert. Bei all den Anleihen beim Folk beziehungsweise Country ist es eine fast logische Folge, ein Banjo zu hören.
Auch heute wird man das Gefühl nicht los, als befänden sich R.E.M. bereits mit "Fables Of The Reconstruction" in einem Kreisverkehr, unsicher darüber, welche Ausfahrt man denn nun nehmen sollte. Genau darin liegt allerdings auch wieder ein nicht wegzudiskutierender Vorteil dieser Platte. Neben Modifikationen von Bekanntem, lernt man eine neue Seite der Band kennen. Nochmals Peter Buck mit einem Fazit, dem ich mich anschließen möchte: »Fables is unique in our canon. We've never made another like it.«
Als Zugabe gibt es die bereits erwähnten "The Athens Demos" in guter Klangqualität. Bei allem Respekt, Joe Boyd, der auch schon bei den Demosaufnahmen zugegen war, hat die vier Jungs in eine tolle Endform gebracht. Wir hören hier echte Rohversionen von noch nicht ganz ausgereiften Kompositionen. Wie vorher, gibt es mit "Bandwagon" sowie "Hyena" Songs, die erst später das offizielle Licht eines Studioalbums erblicken werden.
Auch dieses Plattenjubiläum wird in bemerkenswerter Manier gefeiert und mit einer Stimmung wie Melancholie ist R.E.M. auch sehr schön anzuhören. Nicht zuletzt macht der weitere Inhalt des Box-Set die Deluxe Edition zu einer tollen Veröffentlichung.
Line-up: Fables Of The Reconstruction:
Michael Stipe (vocals)
Peter Buck (guitars)
Mike Mills (bass)
Bill Berry (drums)
With:
Camilla Brunt (violin)
Philippa Ibbotson (violin)
David Newby (cello)
Jim Dvorak (trumpet)
Peter Thomas (tenor saxophone)
David Britelli (tenor saxophone, baritone saxophone)
Tracklist |
Fables Of The Reconstruction:
01:Feeling Gravity's Pull (4:51)
02:Maps And Legends (3:10)
03:Driver 8 (3:24)
04:Life And How To Live It (4:08)
05:Old Man Kensey (4:09)
06:Can't Get There From Here (3:40)
07:Green Grow The Rushes (3:46)
08:Kohoutek (3:18)
09:Auctioneer (Another Engine) (2:45)
10:Good Advices (3:31)
11:Wendell Gee (3:05)
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The Athens Demos:
01:Auctioneer (Another Engine) (2:52)
02:Bandwagon (2:24)
03:Can't Get There From Here (3:41)
04:Driver 8 (3:31)
05:Feeling Gravity's Pull (4:36)
06:Good Advice (3:31)
07:Green Grow The Rushes (3:47)
08:Hyena (2:53)
09:Kohoutek (3:26)
10:Life And How To Live It (4:10)
11:Maps And Legends (3:12)
12:Old Man Kensey (4:07)
13:Throw Those Trolls Away (3:10)
14:Wendell Gee (3:07)
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Externe Links:
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