Rush / Time Machine 2011: Live In Cleveland
Time Machine Spielzeit: ca. 163:00 (Konzert), ca. 16:00 (Bonusmaterial)
Medium: Blu-ray/DVD
Technik:
Bildformat: 16:9
Soundformate: DTS-HD Master Audio, Dolby Digital Stereo (DVD: DTS Surround Sound, Dolby Digital Stereo)
Untertitel: keine
FSK: 0
Label: Anthem, 2011
Stil: Prog Rock

Review vom 23.11.2011


Boris Theobald
Drei Stunden musikalische Dreifaltigkeit - aber braucht der Rush-Jünger nun auch diesen Diskus, wo die Band doch alle zwei bis drei Jahre eine neue Live-Konserve ausbrütet, viel öfter als neue Alben? Dazu gleich vorweg drei Worte: Ja, ja, ja! Und dabei weiß ich gar nicht, womit ich anfangen soll ... mit der Performance, der Stimmung, der Bühnendeko, den Begleitfilmchen - alles außerordentlich bemerkenswert! Reden wir doch mal über die Setlist! Songs wie "Time Stand Still" und "Stick It Out", das sind superbe Entscheidungen des Trios, die Fans wie ich ja auch schon live in Deutschland bestaunen durften. Doch der Kracher ist ganz klar "Moving Pictures" am Stück - dreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung. So entstand das Motto zur Tour, das auch die Shows wie die hier aufgezeichnete in Cleveland prägte: "Time Machine".
Und so beginnt der mehrminütige, gewohnt aufwändig produzierte Introfilm auch in einer 'anderen' Zeit - in der Zukunft! Das 'Haus Of Sausage' ist eine Weltraum-Würstchenkneipe. Geddy mimt den Mann hinterm Thresen, Neil den Cop auf der anderen Seite und Alex im Fat-Suit den Bandmanager Ray Danniels - zumindest dem Namen nach der echte Manager der Gruppe seit Schülerbandzeiten. Der Dicke managt hier allerdings die junge Space-Polka-Gruppe 'Rash'. Es ist zum Schießen komisch und wunderbar, das jetzt auch im heimischen Wohnzimmer gucken zu können. Der große rote Knopf an der 'Gefilter'-Zeitmaschine kommt mehr oder weniger freiwillig zum Einsatz; und wir landen im Jahr 2011. In Cleveland ...
Geddy trägt ein T-Shirt von 'Rash', Alex mittelfeinen Zwirn, und Neil ist ohnehin völlig umgeben von seinem 360-Grad-Drumset. Rush spielen mit Esprit und Energie - sehr viel Energie: Geddy quietscht bei "Spirit Of Radio" beinahe ein wenig zu heftig! Das gibt sich aber bald. Set Nummer eins steckt voller wunderbarer Dinge. Das ewig nicht gehörte Melodiewunder "Marathon", mit "Faithless" eines - wie er selbst sagt - von Geddys Lieblingsstücken auf Snakes And Arrows, oder das harte und eher düstere "Stick It Out" (was für eine Rarität!) ... Die schillerndste Perle ist für mich "Presto" mit seinen zauberhaften Atmosphären. Wahnsinn!
Nicht nur hier variiert Neil Peart immer wieder en detail mit seinen unvergleichlichen Fills. Und zum Ende von "Leave That Thing Alone" lässt Geddy Lee ein verlängertes Bass-Solo vom Stapel. Er 'entschuldigt' sich - es sei wohl mit ihm durchgegangen. So liebe ich sie! Statt oller Routine legen Rush eine fast kindliche Spielfreude auf die Planken. Die Performance ist Sahne (das Solo bei "Free Will" - übermenschlich!), und der Sound ist perfekt - ein Wort, das man mit Bedacht einsetzen sollte. Hier passt es. Noch ein Höhepunkt vor der Pause: "BU2B", einer von zwei Songs (neben "Caravan") vom kommenden Album "Clockwork Angels" - brachial, hart, düster, überwältigend ... und textlich tiefgründig. Auf der Bühne steigen Dampfsäulen auf, das ist imposant! Und natürlich untermalen neue, alte, witzige, surreale Filmchen auf der großen Leinwand die Messages der Songs.
Set Nummer zwei beginnt erneut mit einem Film, dieses Mal in den 80ern beim fiktiven Videodreh mit der Band 'Rash', gestört vom dicken Manager und ein paar prallen Barmädchen mit Bierkrügen auf dem Tablett ... 'Stop moving pitchers!' schreit Geddy, hergerichtet als Video-Regisseur ... aha?! Das falsche Trio spielt "Tom Sawyer", und der rote Knopf auf der Zeitmaschine bringt wieder wunderbares Chaos. Drums, Bass und Gitarre, aber bedient von Rush als Kindern, als Babys. Dann (die echten) Rush als Steinzeitmenschen, und die drei als sie selbst, aber am falschen Instrument. Dann als proggende Schimpansen! Blende on stage. Im Hintergrund spielen die Schimpansen, im Vordergrund Rush. Die Halle tobt, und daheim auf der Couch kugele ich mich gerne nochmal vor Lachen ...
"Moving Pictures" wird zum erwarteten Fest. Im Hintergrund laufen originelle szenische Bearbeitungen des Original-Plattencover-Motivs mit den drei Typen in den roten Overalls. Als Fahnenschwenker beim Zieleinlauf eines Autorennens ("Red Barchetta"), als Fluglotsen am Toronto Pearson International Airport ("YYZ"), oder einer Rotkäppchen-artigen Hexe im Wald auf der Spur ("Witch Hunt")... mit Würstchenköder - und Augenzwinkern. Bei "Witch Hunt" geht es auch los mit gigantischen Feuersäulen-Pyros, wow ... ich weiß noch, welche Wärme die ausgestrahlt haben! Am Glücklichsten macht mich das herrlich komplexe "The Camera Eye" mit seinen filigranen Atmo-Wechseln. Das ist echte Magie auf der Bühne; und das kommt auch auf der heimischen Mattscheibe rüber!
Wer sich wundert ... hinter "Moto Perpetuo" steckt Neils teils grunderneuertes Schlagzeugsolo. Und "O'Malley's Break" ist Alex Lifesons obligatorisches Akustik-Stückchen. Und es geht nahtlos in "Closer To The Heart" über. Ich habe aufgehört, die Gänsehaut-Momente zu zählen! Gegen Ende potenziert sich noch einmal der Spaß-Faktor: Reggae-Einlagen bei "2112" und "Working Man"; Geddy und Alex hopsen und tänzeln, Alex schäkert mit Neil. Die drei fühlen sich sichtlich wohl auf ihrer musikalischen Zeitreise, bei der alles stimmt. Auch die Bühne ist eine 'Time Machine'. Deko aus ollen Uhren und Oldtimer-Mikros; Zeitmaschinen mit kleinen, runden Bildschirmen, da wo zuletzt noch Waschmaschinen standen. Alles in diesen rötlich-metallischem Tönen alter Industrieanlagen gehalten. Sogar Neils Drums und Becken sind als Zeitmaschinen-Zahnräder designt.
Nach 163 Minuten Konzert plus Filmchen (sogar der Abspann ist genial: "The Spirit Of Radio" als Country-Song!) folgt das Bonusmaterial als i-Tüpfelchen. Die Outtakes der Clip-Drehs schlagen jede Comedy-Show. "Tom Sawyer" gibt es in Komplettlänge mit oben erwähnter wechselnder Fehlbesetzung. Neil Peart trommelt sich als Höhlenmensch auf dem Kopf rum; an den falschen Instrumenten äffen alle einander nach! Und dann spuckt die 'Time Machine' noch zwei Schmankerl aus: Eine uralte schwarzweiße Live-Version von "Anthem" und - fast zu krass, um wahr zu sein - ein Auftritt mit "Need Some Love" in einer Schulaula. Noch mit John Rutsey am Schlagzeug; Geddy hat Haare bis zum Hintern ... Wahnsinn.
Apropos Geddy: Der hat auf der Tracklist hinter "Presto" ein '*' platziert und bekennt sich schriftlich im Booklet zu einem 'unscheduled brain fart', einem Aussetzer im Solo, und dass sie diesen Fauxpas mit ein paar Sekunden aus einer anderen Show repariert haben. Und ich frage mich, wie viele andere Bands so was machen, ohne es zu kennzeichnen. Rush - Götter ... ganz menschlich. Unbeschreiblich!
Line-up:
Geddy Lee (vocals, bass, keyboards)
Alex Lifeson (guitars, mandolin, keyboards)
Neil Peart (drums, percussion)
Tracklist
Set One:
The 'Real' History Of Rush - Episode No. 2 "Don't Be Rash"
The Spirit Of Radio
Time Stand Still
Presto
Stick It Out
Wirkin' Them Angels
Leave That Thing Alone
Faithless
BU2B
Free Will
Marathon
Subdivisions
Set Two:
The 'Real History Of Rush - Episode No. 17 "... and Rock And Roll Is My Name."
Tom Sawyer
Red Barchetta
YYZ
Limelight
The Camera Eye
Witch Hunt
Vital Signs
Caravan
Moto Perpetuo (Featuring Love For Sale)
O'Malley's Break
Closer To The Heart
2112 Overture/The Temples Of Syrinx
Far Cry
Encore:
La Villa Strangiato
Working Man
 
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