Schandmaul / Unendlich
Unendlich Spielzeit: 53:51
Medium: CD
Label: Universal Records, 2014
Stil: Mittelalter

Review vom 27.02.2014


Sabine Feickert
"Unendlich"? - so ein Quatsch! Gefühlte fünf Minuten läuft der neue Schandmaul-Silberling, der mir hier in der Standardedition vorliegt, bis die Play-Taste auf den nächsten Druck wartet. Etwas länger kam es den Fans wohl vor, bis endlich wieder ein neues Album nach dem 2011 erschienenen Traumtänzer rauskam, doch die Schandmäuler brauchten ja auch Zeit zum Touren, Kinderkriegen, Touren, noch mehr Kinder kriegen und nicht zuletzt das fünfzehnjährige Bandjubiläum ganz groß zu feiern. Die Spannung wuchs allerdings schon ins Unendliche, in welche Richtung es weitergehen würde.
Der "Traumtänzer" war ja ziemlich romantisch geprägt, Befürchtungen, dass dieser Weg vertieft würde, waren nicht so ganz von der Hand zu weisen. Das neu eingespielte 'Best Of' So weit, so gut, weckte dagegen Hoffnung auf eine Weiterentwicklung im positiveren Sinn. So was in der Art von 'sich weiterentwickeln und sich dabei trotzdem selbst treu bleiben', Quadratur des Kreises sozusagen. Ansätze dazu hab ich ja schon auf "So weit, so gut" vernommen und meine Hoffnung hat sich weitgehend bestätigt. Insgesamt ist der Sound noch ein bisschen knarziger, rauher geworden und doch ist auch "Unendlich" ein echtes Schandmaul. Und das trotz Universal, Fernsehauftritten und Werbespots, hohem Einstieg in die Charts und jeder Menge Fanängsten und Shitstorms. Nachvollziehbar waren diese Ängste für mich durchaus, Negativbeispiele für Verschlagerung gibt es ja durchaus.
Aber weg von Befürchtungen und Befindlichkeiten, hin zu "Unendlich". Schon mit den ersten Tönen führt uns "Trafalgar" aufs weite Meer, weckt Fernweh, klingt fast ein bisschen orientalisch angehaucht und reißt mit – so wie die darin besungene See. Geht gut los!
Zurück an Land treffen wir einen gar lustigen "Tippelbruder", der »badadambadamdamdam« das nostalgische Bild eines wandernden Handwerkergesellen vors innere Auge zaubert. Zwar gibt’s die sogar heute gelegentlich noch (oder wieder), aber der hier besungene dürfte vor ein paar mehr als hundert Jahren auf Wanderschaft gewesen sein – sowohl von den Situationen (»an der Feuerstelle«) als auch von der Melodie her. Zwar sind Schlagzeug und Gitarre kräftig dabei, die eigentlichen Akzente setzen aber Flöte und Geige, auf denen die beiden 'Mädels' hier ihre Virtuosität unter Beweis stellen dürfen. Gefolgt wird der "Tippelbruder" vom "Kaspar" – ich lach mich schlapp, wer hat denn da besoffen Musikantenstadl geguckt und dabei gleichzeitig Punk gehört??? Zu geil die Nummer!!!
Deutlich 'solider' kommt das nachdenkliche "In deinem Namen". "Bunt und nicht braun" – das erste Lied, das ich vorab gehört habe, kurz nach dem frei.wilden Echogedöns - ist das ganz klare Statement für Toleranz und Menschlichkeit, entstanden wohl (auch) als Reaktion auf zunehmende Rechtstendenzen im weiten Feld des Deutschrock. Traurig genug, dass das nötig ist, umso schöner, wie Martin 'Ducky' Duckstein hier Worte gefunden hat, um ganz ohne erhobenen Zeigefinger oder gar Aggressivität, Position zu beziehen.
"Mit der Flut" ist die zweite Seemannsnummer auf der Scheibe, diesmal mit dem Fokus auf die Heimkehr nach langer Reise. Angekommen dann eine Rast unter dem ebenfalls nachdenklichen, fast ein wenig melancholischen "Baum des Lebens", unter dem es den Helden jedoch nicht hält. Er zieht weiter, während 'sie' das Kind Sigfrid, den nächsten großen Helden, gebärt und damit gleichzeitig ein altes Schandmaul-Thema (wieder) aufgreift. Wurde doch auf "So weit, so gut" die "Sigfrid Trilogie" als Rarität veröffentlicht. Zwar folgt noch das eher schwungvolle Instrumental "Tangossa", doch bereitet der "Baum des Lebens" schon den Kontext und die Stimmung für "Euch zum Geleit". Hier werden sich sicher die Geister scheiden, ich kann mir vorstellen, dass manche es kitschig finden werden (vor allem die Melodie beim Refrain), aber ganz ehrlich, ich hab auch nach etlichen Malen Anhören noch Tränen in den Augen dabei – zumindest dann, wenn ich auf den Text achte...
...schwierig, da was hinterherzuschicken. Schandmaul macht mit "Saphira" weiter, einer Nummer, die relativ 'gefällig' von einem Jungen erzählt, der auf die Jagd will und einen Edelstein findet, Krieg und Drachen und so weiter. Nicht unbedingt mein Favorit auf diesem Album.
"Mittsommer" besingt selbigen mit Natursymbolik und Schwung als Einladung zu »Schließ die Augen und dann tanz« - jau, genau das fällt mir dazu auch ein. Barfuß in der Sonne auf einer saftig grünen Wiese, im langen Kleid! "Little Miss Midleton", das zweite Instrumental macht mit genau dieser Stimmung weiter, wird sogar noch fröhlicher und beschwingter, ein echter Munter- und Launemacher!! Wenn die Laune dann schon so richtig gut ist, kann "Der Teufel..." mit seinem ironischen Sauflied Einzug halten und sich fragen »wer ist der Typ im Spiegel, wieso ist ihm nur so übel« - der nächste Brüller, vor allem der russische Hintergrundchor macht einfach nur Spaß!
"Mein Bildnis" wird dann wieder ernsthafter und bereitet so langsam auf das Ende der kurzweiligen "Unendlich" vor. Doch zuvor folgt noch ein romantischer Ausflug zum "Märchenmond", der den leicht orientalischen Anklang des Openers nochmal aufgreift und die CD ausklingen lässt. Oder aber den Bogen zum Anfang wieder zurückschlägt; die liegende Acht, die "Unendlichkeit" schließt, wenn man denn dieses Bild verwenden möchte.
Ziemlich viele Einflüsse und wahrscheinlich auch Kompromisse vereint "Unendlich" auf etwas mehr als 50 Minuten Laufzeit. Die anderen Projekte der Musiker klingen durch, als Bereicherung. Vielleicht sind sie es auch, die verhindern, dass Schandmaul zu sehr in eine bestimmte Richtung abdriften, denn wie schon gesagt, man erkennt die Zugeständnisse, aber auch das Nebeneinander der unterschiedlichen Charaktere. Als bunte Vielfalt und nicht als fauler Kompromiss. Mit dem Hintergrund der Bandgeschichte und doch voller Weiterentwicklung und vor allem Spaß an der Spiel(manns)freude. Die 'fruchtbarste Band der Welt' hat mit "Unendlich" wieder mal eindrucksvoll bewiesen, dass sich bei ihnen die Fruchtbarkeit nicht allein auf's Kinderkriegen bezieht. Sehr schönes Album, gut gemacht!!
Line-up:
Birgit Muggenthaler-Schmack (Dudelsack, Flöten, Schalmeien, Gesang)
Matthias 'Hiasl' Richter (E-Bass, Fretless-Bass, Akustikbass)
Stefan Brunner (Schlagzeug, Percussion)
Martin 'Ducky' Duckstein (E-Gitarre, Akustikgitarre, Klassische Gitarre, Gesang)
Anna Katharina Kränzlein (Geige, Drehleier, Bratsche, Gesang)
Thomas Lindner (Stimme, Akustikgitarre, Akkordeon)
Tracklist
01:Trafalgar
02:Tippelbruder
03:Kaspar
04:In Deinem Namen
05:Bunt und nicht braun
06:Mit der Flut
07:Baum des Lebens
08:Tangossa
09:Euch zum Geleit
10:Saphira
11:Mittsommer
12:Little Miss Midleton
13:Der Teufel...
14:Mein Bildnis
15:Märchenmond
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