Verschlagerung

Von der universalisierten Verschlagerung der schwarzen Szene und Schneeflocken am Horizont



Zwischenruf vom 24.01.2013


Sabine Feickert
In meiner Rezension zum Unheilig-Buch "Als Musik meine Sprache wurde", schrieb ich »Auch wenn für mich selbst 'Unheilig hören' in der Ära "Puppenspiel" endet...«.
Ähnliches werde ich vermutlich für Faun verkünden müssen, zumindest wenn der Kurs, der auf der Hörprobe ihres neuen Albums "Von den Elben" erkennbar ist, fortgesetzt wird.
Auf der Facebook-Seite der Faune melden sich etliche Fans zu Wort, die ihre Enttäuschung über die neue Scheibe zum Ausdruck bringen oder ankündigen warten zu wollen, bis sich die Band wieder eines Besseren besinnt.
'Oberfaun' Oliver s. Tyr verkündet, dass der teils heftige Gegenwind wehtut, wertet aber die Reaktionen auch als Interesse und Anteilnahme. Er versichert, dass sich bei den Konzerten nichts ändern wird, diese eine reine Faun-Angelegenheit bleiben werden. "Von den Elben" sieht er in der Tradition bisheriger Scheiben, in denen schon häufiger ein bestimmtes Thema Pate für die Musik stand. In diesem Fall seien das nunmal deutschsprachige, romantische Lieder. Er sinniert weiter, dass noch nicht feststeht, wohin der Weg in der weiteren Zukunft führen wird und hält sich alle Möglichkeiten offen. Oliver sieht in der Musik mehr als nur ein Unterhaltungsprodukt, möchte damit eine Botschaft transportieren. Um diese einer größeren Anzahl Menschen zugänglich zu machen, sei es nötig gewesen, beim Erstlingswerk bei dieser ersten Plattenfirma der Bandgeschichte Zugeständnisse zu machen. Dass der Song "Diese kalte Nacht" zuerst in einem Schlagerradio gespielt würde, finde er selbst auch nicht gerade prickelnd, aber er hoffe, dass vielleicht Radiohörer zu den Konzerten kämen und dort die echten Faun kennen und schätzen lernen. Auch in Fernsehauftritten sieht er die Riesenchance, von einem breiten Publikum wahrgenommen zu werden und seine Botschaft verbreiten zu können, auch wenn er und 80% der Band selbst gar keinen Fernseher besitzen und bis vor zwei Wochen noch gar nicht gewusst hätten, wer Carmen Nebel sei. [Anmerkung der Autorin: das wusste ich bis eben auch nicht, ein Blick in Wikipedia und die Stichworte 'Melodien für Millionen' reichte mir, um festzustellen, dass ich das gar nicht näher wissen will].
»Natürlich werden wir auch in dieser Sendung so sein, wie wir seit über zehn Jahren auf der Bühne sind. Wenn wir den Zuschauern dort zu 'seltsam' sind, dann können wir dies nicht ändern.« meint s.Tyr weiter. Aaaaahjaaah!! Das vollständige Statement ist hier nachzulesen.
Ich bin hin- und hergerissen zwischen Verständnis für die Band, denn alles selbst machen und organisieren verschlingt wirklich viel Energie, die dann wieder dort fehlt, wo sie eigentlich gebraucht würde, nämlich bei der Musik. Und doch kann ich nur den Kopf schütteln über die Naivität solcher Aussagen wie:

»Wir sind die Selben geblieben,
anders können wir gar nicht,
auch unsere Überzeugungen
haben wir nicht aufgegeben,
im Gegenteil«

Nicht dass ich der Band hier Lügen unterstellen will – ich gehe schwer davon aus, dass sie von ihrer Aussage überzeugt ist. Doch wie sollen die Konzerte gleich bleiben, wenn Stücke aus dem neuen Album gespielt werden? Songs, die schon in ihrer Grundstruktur 'gefällig' angelegt sind?
Ob es ein Zufall ist, dass beide, sowohl der Graf als auch Faun bei der gleichen Plattenfirma gelandet sind? Ich glaube nicht, dass die als Alleinschuldiger für einen allgemeinen Trend zur Gefälligkeit ausgemacht werden kann, denn schon in meinem Review zu Lyriels Leverage klingelten bei mir diesbezügliche Alarmglocken – diese Scheibe ist übrigens auf einem anderen Label erschienen, es ist also auch nicht nur die eine Plattenfirma, die diesen Kurs fährt. Und auch Franz K. (wieder ein anderes Label) schlägt, sehr zum Entsetzen meines Kollegen Steve, in diese Schlagerkerbe. Sicher sind die Ausprägungen unterschiedlich stark, doch auch andere größere und große Labels kann man nicht vom Verdacht freisprechen, in vorauseilendem Gehorsam einen Trend zur Mainstreamigkeit zu fördern oder vielleicht auch zu fordern.
Nur, dass wir uns hier nicht falsch verstehen – ich finde, Musiker haben das Recht darauf, für ihre Arbeit angemessenes Geld zu verdienen und bestmögliche Arbeitsbedingungen zu erhalten. Auch wenn dies für viele wohl immer ein Wunschtraum bleiben mag und sie stattdessen mit Herzblut in ihrer Band spielen und für die täglichen Brötchen als Alleinunterhalter oder Gitarrenlehrer unterwegs sind. Plattenfirmen sind gewinnorientierte Unternehmen und keine Wohlfahrtseinrichtungen.
Aber sind denn wirklich DIE Plattenkäufer, DAS Radio- und Fernsehpublikum so – Entschuldigung – doof, dass man ihnen möglichst plattes, simpel und eingängig gestricktes Futter vorsetzen muss? Oder sind da möglicherweise die Manager so ängstlich, dass sie glauben, nur schunkeltaugliches Liedgut kann in die öffentlich-rechtlichen Medien reinkommen und für hohe Verkaufszahlen sorgen? Alle Ecken und Kanten abgeschliffen, möglichst gar keine Reibungsfläche mehr? Hätte nicht Faun (um bei diesem Beispiel zu bleiben) mit den bisherigen Sachen vielleicht auch die Chance auf Erfolg in den Medien gehabt, wenn – ja wenn – sie denn überhaupt mal eine Chance auf Präsenz bekommen hätten?
Und nun? Das große Heulen und Zähneklappern? Weit gefehlt! In solchen Momenten bin ich immer wieder heilfroh drum, dass wir uns die Unabhängigkeit von großen Veranstaltern und Plattenfirmen erhalten und dadurch die Möglichkeit haben, auch kleinere Bands und Projekte, die nicht in den Plattenläden landen, vorstellen zu können.
"Snowflakes" zum Beispiel. Nicht die, die gerade wieder aus diesen grauen Wolken am Himmel rieseln, sondern den gleichnamigen, kostenlosen Download-Sampler.
Darauf versammelt sind 19 Titel aus den Bereichen Neo Folk, Mittelaltermusik, Dark Wave, Singer/Songwriter – im Prinzip alles, was sich irgendwie unter dem Sammelbegriff 'dunkelromantisch' einordnen lässt - von Bands und Musikern, die (noch) nicht mit Major Labels arbeiten. Zusätzlich zur reinen Musik gibt es ein sehr schön gestaltetes, informatives Booklet, in dem die einzelnen Künstler porträtiert werden, selbstverständlich mit Internet-Adressen.
Geniale Geschichte also, um sich selbst auf Perlensuche zu begeben. Liebhaber von Instrumentalmusik sollten die Ohren bei Frozen Memory, Walden, Ohrenpeyn, dem jungen Saarländer Miro Klavier (gleich mit zwei Stücken vertreten) oder auch Ebenbild weit aufsperren.
Wer sich mehr fürs Wavige begeistern kann, dem sei Farblos oder auch Puppet Lane empfohlen. Als düster-melancholischer Singer/Songwriter zeigt sich Art Of Empathy. Nicht so düster, aber sehr langsam und melancholisch singt Nadine Maria Schmidt & Frühmorgens am Meer; Lamirah, eigentlich Sängerin der Gothic Rock-Band Volveryne, hat mit ihrem neoklassischen "Sofdu Unga Astin Min" ein sehr gefühlvolles isländisches Wiegenlied von 1911 als Soloprojekt beigesteuert. Eher etwas in Richtung Alternative mit Gothic Rock-Einschlag ist Melanculia angesiedelt, die sich mit "Fabulous Land" von einer langsam schleppenden Seite präsentieren, aber wohl auch ordentlich rocken können.
Auch auf ihre Kosten kommen Mittelalter-/Folkfans. Ob nun die deutschsprachigen Oilensanc mit ihrer "Nebelfee" oder Quellenthals "Abendlied" – vielleicht sind das zwei ganz heiße Tipps für enttäuschte Faun-Anhänger. Doch auch internationale Folksongs sind vertreten – noch dazu in Sprachen, die nicht so gängig sind: Shino hat mit Vodka-geschmirgelter Stimme einen russischen Song eingesungen, Morann ein türkisches Volkslied. Und wenn wir schon bei den Sprachen sind – ordentlich verblüfft hat mich da Ayuma mit ihrem "Liamo Soleo", bei dem ich mich gewundert habe, dass ich von diesem (für mich) eindeutig italienischen Lied kein einziges Wort verstehe … bis ich aus dem Booklet erfuhr, dass der ganze Song in einer reinen Fantasiesprache gesungen ist.
Zu guter Letzt noch als ganz besonderer Tipp der Engländer Paul Roland, der mit "A Long Time Ago" einen Psych-Folk-Titel beisteuert, der für ihn fast Programm sein könnte. Er ist schon seit über 30 Jahren in der englischen Musikszene aktiv und hat mich durch seine Klarheit und Eindringlichkeit beeindruckt.
Aber auch über die Schatzsucherei hinaus macht der Sampler Spaß und kann mit seinem sorgfältigen Aufbau auch als eigenständiges Werk bestehen. Initiiert und organisiert wurde "Snowflakes" von Axel Meßinger, der unter anderem für das Undergroundzine Dark Feather schreibt. Der Sampler kann bei axel@darkfeather.de angefordert werden.
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