Eine Band, zwei Sichtweisen.
Ingolf fängt an:
Unbestritten agierten die fünf musizierenden Kohlenpott-Kameraden auf ihrem 79er Nachfolgewerk mittlerweile wie eine eingespielte Lerntruppe, was aus heutiger Sicht eher an eine lauschige Geschichtsstunde längst ergrauter Rock-Geister erinnern mag, deren obskures Erbe man damit posthum beweihräuchern bzw. sentimentalisieren möchte. Mittlerweile um einen bandeigenen Manager und Fanclub verstärkt, enterten die Duisburger im Januar 1979 das Procom Studio in Bottrop-Kirchhellen, um unter der Schirmherrschaft ihrer Plattenfirma den Popularitätsstatus ihres Erstlings musikalisch zu untermauern und krautigen Grundierungen einen frischen Anstrich zu bescheren.
Weitab von den vorangegangenen übermächtigen Prog-Attitüden, werden nun großartige bombastische Arrangements und solistische Ausflüge gerafft, um gefälligere bzw. schnurgerade Wege einzuschlagen, ohne dabei den wohlig aufbereiteten Schoß ihres Debüts
gänzlich aufzugeben.
Die von gesellschaftskritischen Themen angefressenen und Eunuchengenöhle dominierten Gesangsdubletten suhlen sich nach wie vor in überzuckerten Keyboard-Sounds nebst aufgekratzten Gitarrenschwülsten, nur um diesmal dem pfiffig montierten Old School-Melodic-Souffle eine dickere Haube aufzusetzen.
Beinahe romantisch-säuselnd wandeln die Instrumentalisten auf irdischen Softrock-Pfaden, die den gegenwärtigen Ü-50 Sehnsüchten nach adoleszenten Gefühlsduseleien und deren musikalischen Generationssegnungen so ziemlich nahe zu rücken vermögen. Prätentiös und konzipiert wie Uriah Heep oder Grobschnitt in ihren besten Tagen, hinterlässt dieses regenerierte Teil Rock-Nostalgie, jenseits aller intuitiver Geschmackssicherheit, beim genremüden Hörer eher einen schalen Abgang und wenn überhaupt, mitleidserfüllte Anerkennung.
Aber angesichts anderer unausgegorener kompositorischer Schmähungen, die Anfang der 80er noch aus deutschen Giftkammern den Schlupf an die Oberfläche erspähen sollten, muss man den Ruhrpöttlern ihren Mut zur diffusen Komplexität und melodiösen Stimmhaftigkeit bescheinigen. Fast unheilvoll und prophetisch verkündete das mit einem hämischen Model-Gesicht gezierte Hochglanz-Konterfei die jungfräulichen Sprossen der 'Neuen Deutschen Welle', um dagegen mit dem Inhalt doch für Überraschungen bei so manchen geschmacksbefangenen Orgelrock-Lobbyisten zu sorgen.
Dieser unbedingte Wille zum Bombastischen, die wimmernden Männerchöre, verhallte Gitarren-Ausflüge nebst monolithischen Tastenakkorden und ein kartoniertes Schlagzeug bemühen sich redlich, der kompositorischen Anmut des Unfertigen eine krautig unbekümmerte
Identität einzuhauchen.
In liebenswürdigem Denglish vorgetragene Psychostudien sezierten auch schon mal heikle Themen, die im kommenden Jahrzehnt die Nachrichtengemüter und den hart umkämpften Alltag noch in Bewegung halten sollten. Das musikalische Plädoyer an die unberührte Schönheit der Natur in "Agonie", eine Art Protest gegen die Verseuchung der Umwelt durch skrupellose Fabrikanten und Spekulanten, oder bei "Tales Of Schroeder" über einen vereinsamten, zu Hause eingesperrten kleinen Jungen, dessen gemarterte Seele den aufkommenden Wahnvorstellungen von allem beherrschenden Fabelwesen nicht mehr entrinnen vermag. Letzteres vereint dann doch recht gekonnt Melodien mit einer Ladung ausgetüftelten Irrwitzes, was sich recht wohlwollend vom restlichen Proggeschwurbel abhebt und zumindest die spielerische Leidenschaft am Köcheln hält.
Interessant ist übrigens auch, dass die endgültige Hamburger Abmischung dieser Produktion in den Schaffenspausen eines Dieter Bohlen und dessen Kollegen heranreifte, was vielleicht die etwas polierten und eingeflochtenen instrumentalen Niedlichkeiten erklären würde. Trotz einer gewissen Orientierungslosigkeit erstaunt die aufrechte Musikalität, mit der die Protagonisten dem eher konservativen germanischen Geist jener Zeit entrückten, ohne sich dabei in ihrer klingenden Grundlagenforschung beirren zu lassen.
Lupenrein und holprig, bisweilen ein wenig überzuckerter abgegriffener Pathos paart sich streckenweise mit unverwüstlichen Hard Rock-Devotionalien und vermag beim akribischen Retro-Konsumenten ein wärmendes Gefühl anzufachen oder die heimische Plattenwühlkiste
einer fälligen Entstaubungskur zu unterziehen.
Was damals als ehrgeiziges musikalisches Unterfangen aus deutschen Landen galt, ist heute nur zu gern noch Politur für glanzvolle Erinnerungen, an denen ein rühriges Schleswig-Holsteinisches Label, das derzeit den Nachlass wertvoller Sky Records-Ergüsse vom Spinnwebendasein befreit, einen lobenswerten Anteil trägt.
Es sollte dem auch nichts entgegensprechen, dass der modebewusste Musikinteressierte den etwas angestaubten Tondokumenten germanischer Rock-Dinosaurier seine Aufmerksamkeit schenken und selbige nicht scheuen möge, wie der Belzebub das geweihte Nass. So ist es durchaus verständlich, dass die fünf Ruhrpott-Senioren gerade mal eben wieder eine Konzertbühne beschritten, um sich vom großen Retro-Kuchen ihren Anteil zu sichern, und um den nimmermüden Ego-Affen gehörig Zucker zu verabreichen. Zwei livehaftige Kostproben
von dieser konzertanten Vereinigung wurden als Beigabe mit dazugepackt, die sich in Anbetracht der Soundkriterien urgewaltig vom restlichen Songmaterial abzuheben vermag.
Steve sieht das wie folgt:
Das Review des überaus geschätzten Kollegen Ingolf ist in sich schlüssig begründet und eine gute Diskussionsgrundlage. Aber jedes Streitgespräch macht nur Sinn, wenn auch eine Gegenposition formuliert wird. Deshalb präsentiere ich hier meine Antithese: Shaa Khans "Anything Wrong?" kann zwar nicht ganz an das hohe Niveau des Erstlings "World Will End On Friday" anknüpfen, ist aber musikalisch durchaus nahrhaft und vor allem ein authentisches Stück deutscher Musikgeschichte.
"Anything Wrong?" muss man im zeitlichen Kontext sehen. Der 'Art Rock' war zu diesem Zeitpunkt bereits nichts als ein Anachronismus. Pink Floyd hatten mit "The Wall" ihren künstlerischen Höhepunkt erreicht - nicht wenige meinen, bereits weit überschritten. Genesis'
, lediglich kümmerliche 'Three', bereiteten gerade das grässliche "Duke" vor. Auch Gentle Giant
waren nur noch (a) "Giant For A Day" und so wurde 1979 eine ganze Dekade zu Grabe getragen. Die Totengräber hießen Punk, Heavy Metal und New Wave.
Wie sah es Ende der 1970er in Deutschland aus? Die göttlichen Frumpy
und Atlantis
waren schon lange Geschichte. Peter 'Du' Maffay
hatte gerade die Rockmusik entdeckt und Deutschrock-Pionier Udo Lindenberg musste ebenfalls bereits auf die Verkaufszahlen schielen. Diese wurden zu diesem Zeitpunkt den Szene-Giganten wie Jane, Birth Control und Nektar zum Verhängnis. Mittendrin Shaa Khan, die sich als 'kleine' Vertreter des Genres natürlich diesem negativen Sog schlecht entziehen konnten.
Optisch wird das bereits auf dem Cover deutlich. Die Artworks, die sich dem Betrachter nur mit Hilfe Bewusstseins erweiternder Drogen erschlossen, waren endgültig Geschichte. NDW, 'Neue Deutsche Wirklichkeit', war angesagt ... erinnert die Taucherin auf dem "Anything Wrong?"-Cover nicht irgendwie an Nina Hagen, die wenig später für gewaltige Furore sorgen sollte?
Musikalisch wirkt sich die Zeitenwende auf "Anything Wrong?" noch nicht aus. Hier frönt die Band noch Genesis'- und Yes'schen Klangcollagen, wenn auch vielleicht etwas verkrampfter als auf "World Will End...". Der Druck der Verkaufszahlen darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Wenig später musste Shaa Khan diesen Repressionen Rechnung tragen und sich auf deutlich härtere Wege begeben.
Textlich bewegt man sich auf den rebellischen Pfaden der Post-68er. Die Themen umfassen die damals populären Umwelt- und Tierschutzthematiken, aber auch die Isolation des Einzelnen in der Gesellschaft und die daraus folgenden Psychopathien werden thematisiert. Sangessprache ist weiterhin Englisch - auch dies ein Anachronismus.
Bei der Analyse des Songmaterials kann ich Ingolf in vielen Punkten beipflichten, möchte allerdings anmerken, dass man mit Hilfe eines gewissen Nostalgiefaktors "Anything Wrong?" wesentlich besser goutieren kann. Jedenfalls ist diese Scheibe um Längen ansprechender als was dem 'Kraut'-Fan bspw. mit den etwa zeitgleich erscheinenden "Sign No. 9" ( Jane), "Man In The Moon" ( Nektar) und vor allem "Colours" ( Eloy) geboten wurde - von Guru Gurus "Hey Du" 'mal ganz zu schweigen.
Die weit ausufernden Melodiebögen der Gitarre, die wabernden Keyboard-Landschaften, diese luftig-melodiösen Bässe auf "Anything Wrong?" erinnern mich stark an Camel bzw. deren deutsche Pendants Octopus. Einzig die Drums klingen etwas nach den berühmt-berüchtigten 'Dash-Trommeln'.
Die beiden Bonustracks "Anything Wrong?" und "Tales Of Schroeder", 2009 im Essener Pulp aufgezeichnet, sind etwas härter arrangiert und gefallen mir persönlich besser als die jeweiligen Studioversionen.
Wer eine persönliche Affinität zu den Heydays des 'Kraut Rock' hat, kommt eigentlich an Shaa Khans "Anything Wrong?" kaum vorbei. Ein authentisches Stück deutscher Musikgeschichte ... aber, ich beginne mich zu wiederholen ...
Line-up:
Klaus Grandt (lead vocals)
Heiner Waldmann (lead vocals, guitar)
Roland Soltysiak (drums, vocals)
Horst 'Schroeder' Schlechtriemen (keyboards, vocals)
Jochen Gutermuth (bass guitar)
Tracklist |
01:Anything Wrong?
02:Agonie
03:Howy The Professional
04:Another Fight
05:Tales Of Schroeder
06:Once Upon A Time
07:Anything Wrong? (Bonus live)
08:Tales Of Schroeder (Bonus live)
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