Die musikalischen Zeiger der Zeit zurückzudrehen hat eigentlich immer Konjunktur. Aber je mehr Bands es tun, desto schwieriger wird es, auch richtig aufzufallen. Tja, mit Shadow Circus hab ich da einen Kandidaten in der Kompaktdisk-Zentrifuge, der nicht nur positiv auffällt, sondern regelrecht die Ohren anspringt und sich im Gehörgang festkrallt. "Whispers And Screams" ist eine akustische Wundertüte, da passt keine Hand drüber und kein Deckel drauf - je mehr man schüttelt, desto mehr Retro-Zaubereien kommen da raus. Mensch, stell dir vor, es treffen sich Kansas, Rush, Deep Purple, Genesis, Led Zep und The Who zum Jam, leeren zusammen ne Flasche Bourbon Whisky...
Das Quartett Bobick / Fontana / Folta / Croft feuert mit Retro-Klängen aus allen Rohren - organisch, ganz unmodern klingende, schön schmierige Gitarrenverzerrungen in allen Geschmacksrichtungen. Die Klampfe holt in vertrackten Rhythmen mit ultrasteilen Breaks und Tempowechseln zum Duell mit flirrenden Hammond-Tastensausereien aus; die Basslines brummeln präsent durch Höhen und Tiefen, und die messerscharfen Drums fangen die ganze Zirkus-Combo immer wieder ein. Hier und da kommen Country- und Blues Rock-Elemente mit dazu; und außerdem wirft auch noch der klassische Hard Rock seinen Anker aus, und zwar in Form eisenharter Riffs.
Und der Weg zwischen schwerem Getöse und 'laid back' gespielten Jam-Impressionen ist ein kurzer - ehe man sich verhört, verzieht sich der tight tosende schwerakustische Dampfhammer und macht Platz für zurückhaltende Rangehensweisen, seien sie jetzt sonnig-optimistisch im Yes-Gewand oder doch kribblig-mysteriös und geheimnisumwittert, wie bei "Big Fire", wo ich einzugs an die Atmosphäre von Rushs "Xanadu" denken muss, oder wie bei den flinken, leicht spannungsträchtigen Banks'schen Pianopassagen von "The Long Road Home", die einen dynamischen Rocker in einen surrealen Zauber hüllen.
Die ersten sieben Tracks auf "Whispers And Screams" sind Teil eines größeren Ganzen - "Project Blue" nennen die New Yorker diesen Siebenteiler. Die Botschaft jenseits der Noten vermag ich nicht zu erfassen - die Lyrics sind mir da zu verschlüsselt. Was mir aber sehr wohl positiv auffällt ist, dass das rein instrumentale "The Hand Of God" nochmal die Melodien und Gefühle des Vorangegangenen zusammenfasst. Und die Wunderlandreise führt den Hörer am Ende des Septetts nochmal zu einer neuen Überraschung: Slow und relaxt, leicht angebluest und mit Unterstützung weiblicher Soulstimmen klingt "Coming Back Home To You" geradezu wie ein Backstein in Pink Floyds "The Wall". Die Gesangseffekte über David Bobicks Stimme tragen mit zu dem Eindruck bei.
Und die Wundertüte ist immer noch nicht geleert... Mit "When The Morning Comes" folgt ein verträumter Akustiktrack mit Gitarre, Klavier und Cello - spirituell, Country-folkig angehaucht. Das geht runter wie Öl - irgendwie zerbrechlich, und dennoch voller Dynamik und Kraft spendend... ein songschreiberisches Kleinod von großer Bannkraft auf diesem Rock-Album. Dann mit "Willoughby" ein alles könnender, herrlich vertrackter Zehnminüter mit zig Gesichtern - das ist 1-A- Neal Morse-Kompositionskunst, und zwar par excellence. Nein, es würde niemand merken... Und es kommt mit "Angel" noch so ein eher ruhig gehaltenes, nachdenkliches Stück mit Klavier, bei dem das Songriting hörbar im Vordergrund steht, dessen Melodie mit leichter Lead-Gitarre und Lap Steel wie auf Flügeln davongetragen wird.
So viele Eindrücke in einer Stunde Shadow Circus. Und es ist kein wilder Schüttelreim, sondern ausgeklügelte Poesie. "Whispers And Screams"... erst, wenn man dieses Album vollends aufgesogen hat, erkennt man, wie treffend der Titel ist. Und es ist eine geniale Fusion aus dem 'Flüstern' und den 'Schreien', die mir am meisten im Ohr bleibt: Das imposante "The Horsemen Ride", das ganz klein beginnt und eine mitreißende Kraft entwickelt, allein schon durch diese abhebende Melodie... ein faszinierendes Stück Klangkunst, beinahe meditativ, eine Art Southern Rock-Ballade mit orientalischer Anziehungskraft. Etwas Vergleichbares habe ich bisher nur von Robert Plant auf Alben wie Fate Of Nations oder Mighty Rearranger gehört, klasse!
Um all das Gehörte zu verdauen, endet das Album mit einem instrumentalen 'Finisher' - "...Then In July, The Thunder Came" beendet "Whispers And Screams" mit düsteren Marschrhythmen und spannungsgeladenen, aber mit viel Hall im fernen Hintergrund agierenden, sub-dramatischen Lead-Gitarren-Hymnen... seltsam. Eigentlich erwarte ich danach, dass es jetzt los geht. Aber Shadow Circus sind eben irgendwie anders. Und genau deshalb sollte auch niemand bei all den Referenzen an ewig gestriges Nostalgie-Gedöns denken... schließlich haben Wolfmother und Spock's Beard ja auch bewiesen, wie großartig Bands agieren, die gleichzeitig zurück und nach vorn blicken können. Die Einflüsse sind altbekannt - der Zauber, der ist neu.
Line-up:
David Bobick (vocals)
John Fontana (guitar, keyboard)
Corey Folta (drums, percussion)
Jason Croft (bass guitar)
Special Guests:
Matt Masek (cello - #8, 10, 11)
Dione Dixon, Rasheedah Dixon, Sahirah Dixon (vocals - #7)
Tracklist |
01:Captain Trips [Project Blue Pt. 1] (5:44)
02:The Long Road Home [Project Blue Pt. 2] (4:16)
03:The Big Fire [Project Blue Pt. 3] (3:14)
04:The Seduction Of Harold Lauder [Project Blue Pt. 4] (3:32)
05:The Horsemen Ride [Project Blue Pt. 5] (6:48)
06:The Hand Of God [Project Blue Pt. 6] (4:41)
07:Coming Back Home To You [Project Blue Pt. 7] (5:28)
08:When The Morning Comes (4:35)
09:Willoughby (10:09)
10:Angel (7:39)
11:...Then In July, The Thunder Came (4:45)
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