Soul Secret / 4
4 Spielzeit: 72:36
Medium: CD
Label: Golden Core Records, 2015
Stil: Prog Metal

Review vom 30.11.2015


Boris Theobald
Richtig geraten! "4" ist das ... nun ja, dritte Album von Soul Secret. Verwirrend? Macht nichts - Prog soll ja ruhig ein bisschen speziell sein. Außerdem könnte das, was hier auf CD verewigt wurde, bei Bands manch anderer Genres glatt für die Alben Nummer drei und vier zusammen reichen. Die Italiener haben nämlich mit einer Spielzeit von mehr als 72 Minuten ihr bis dato längstes Werk abgeliefert und gegenüber dem Vorgänger Closer To Daylight zehn Minuten draufgelegt. Und weil seit jenem Album vier Jahre vergangen sind, war nicht nur ausreichend Zeit, sich mit Lino Di Pietrantonio einen neuen Sänger zu holen, sondern auch ausführlich an einer Story zu basteln, aus denen die Lyrics für das erste Konzeptwerk der Band wurden.
Und es hat sich gelohnt, an etwas 'Großem' zu basteln. Die Geschichte von "4" ist eine ebenso intelligente wie einfühlsame, die den Hörer beschäftigt. Der Protagonist Adam verliert darin seine geliebte Frau Anne. Die ist unheilbar an Krebs erkrankt und entschließt sich, ihrem Leben durch aktive Sterbehilfe ein Ende zu setzen. Adam verliert seine große Liebe und damit auch jeglichen Halt und den Glauben an die Zukunft. Er realisiert, dass er nie den Mut für eigene Entscheidungen hatte: beruflich etwas zu wagen, mit Anne ein Kind zu bekommen und schließlich auch, sie davon abzuhalten, vorzeitig aus dem Leben scheiden zu wollen. Zum ersten Mal in seinem Leben will er eine große Entscheidung treffen und seinem eigenen Leben ein Ende setzen.
Diese Story erzählen Soul Secret mit einer filmreifen musikalischen Inszenierung. Es ist schon packend, wie die Band mit der Timeline der Geschichte spielt - los es geht im Opener "On The Ledge" beispielsweise, als Adam, offenbar in Selbstmordabsicht, auf einem Gebäudedach steht und Fernsehreporter zu hören sind, die gerade über herbeieilende Polizei und Feuerwehr berichten. Und es ist einfühlsam, wie auch Realität und Vorstellung miteinander verschmelzen. So spricht im Song "As I Close My Eyes" der Sohn zu Adam, den er und Anne nie hatten und nun auch nie haben werden, untermalt von surreal-verträumten Klängen, die an eine verschwommen wahrgenommene Spieluhr erinnern.
Das ist einer der introvertierten Momente des Albums "4", die natürlich unbedingt dazugehören, wie auch die Ballade "In A Frame" - in diesen ruhigen Sphären erinnert Sänger Lino Di Pietrantonio mit seiner tiefenwirksamen Klarheit ein wenig an Göran Edman. "In A Frame" ist eine Erinnerung an früher und als Teil der Story natürlich genauso sentimental wie die musikalische Umsetzung. Wie die Stimmung sich hier von wehmütig zu (kurzzeitig) glücklich entwickelt, ist wirklich wunderbar dem Gefühl nachempfunden, ein Bild von früher in die Hand zu nehmen und inmitten der Trauer kurz lachen zu dürfen.
Auch ansonsten geht die Musik Hand in Hand mit der Dramaturgie der Geschichte - das ist exzellent gemacht, bravo. Die grundsätzliche Gangart ist natürlich heavy und geprägt von düsteren Hochpräzisions-Riffs sowie von minutenlangen verschachtelten Instrumentalpassagen, die auf hohem Niveau mit Rhythmus-Bingo jeden Prog-Feinköstler glücklich frickeln - sehr komplex, aber immer wieder auf den Punkt und nie sinnfrei. Jeder einmal geöffnete Bogen wird auch wieder zugemacht, auch wenn die Melodien, typisch für italienische Progger, noch so ausschweifend ihre Pirouetten drehen. Man hört Bands wie Soul Secret, DGM oder Pathosray einfach an, aus welchem Land sie kommen. Der Haupteinfluss für Soul Secret ist hörbar Dream Theater. Insbesondere an Metropolis Pt. 2: Scenes From A Memory denkt man immer wieder mal.
Das liegt schon an der szenischen Erzählweise einschließlich Sprechsamples und Flüsterstellen; und es ist Soul Secret auch - möglicherweise nach diesem Vorbild - absolut gelungen, ihre Stücke im wahrsten Wortsinn so 'theatralisch' zu schreiben, dass sie teils eher wie musikalische Erzählstücke wirken denn als einzelne Nummern auf einem Album. Ein Highlight ist dabei "Turn The Black Page" mit seinem überwältigend mitreißenden Refrain, der sich von Zeile zu Zeile selbst immer mehr mit Energie aufbauscht. Das tröstet dann auch darüber hinweg, dass es auf dem Album ein paar Stellen gibt, die man beinahe genau so schon mal im 'Traumtheater' gehört hat (nach acht Minuten bei "On The Ledge", nach gut drei Minuten bei "Traces On The Seaside").
Ganz eigen klingen Soul Secret dafür mit den jazzigen Einlagen von Keyboarder Luca Di Gennaro, die natürlich auch im finalen Longtrack "The White Stairs" nicht fehlen dürfen, wo man nun wirklich am ganz großen Rad dreht und nochmal alles aufbietet. Die Mixtur aus atmosphärisch dichtem Power Prog, schrägen Keyboard-Einlagen, Latin-Passagen und Jam-Parts hat auch ein bisschen was von Spock's Beard. Und natürlich führt auch die Story am Ende nochmal dahin, wo alles angefangen hat - auf das Dach des Hauses, wo der Protagonist Adam vor der Entscheidung steht: springen oder nicht.
Keine Frage - "4" hat Tiefgang und Klasse und das Potenzial, bei vielen Hördurchgängen immer Neues zu entdecken, zum Beispiel auch, was alles hinter dieser Zahl Vier steckt: nicht nur ein aus vier Noten bestehendes Hauptthema. Mehr dazu verraten Soul Secret auf ihrer Homepage.
»We're just traces on the seaside
Then erased by the tide
Even if you weathered the ebb
There's another flow just waiting
("Traces On The Seaside")«
Line-up:
Lino Di Pietrantonio (vocals)
Antonio Vittozzi (guitars)
Claudio Casaburi (bass)
Luca Di Gennaro (keyboards, programming)
Antonio Mocerino (drums, percussion)

Cast:
Adam: Arturo Muselli
Anne: Victoria de Campora
Anchorwoman: Jasmine Wang
Reporter: Mel McMahon
Boss, Dr. Greedy: Dylan Ogle
Radio speaker: Giulia Fiume
Tracklist
01:On The Ledge (8:36)
02:Our Horizon (7:01)
03:K (5:43)
04:As I Close My Eyes (2:01)
05:Traces On The Seaside (4:48)
06:Turning The Back Page (6:51)
07:Silence (5:21)
08:In A Frame (3:48)
09:My Lighthouse (6:36)
10:Downfall (5:06)
11:The White Staris (16:44)
Externe Links: